Es gibt ja die interessantesten Graffiti auf dieser Welt, auch in Hamburg, dem Tor zur Welt. Zu den am häufigsten bemalten Fassaden der Stadt an Alster und Elbe gehört eindeutig die des Autonomen Zentrums "Rote Flora", deren Nutzung ebendiese Stadt einem zwar gerne dunkel gekleideten, aber bei Wandmalereien zuweilen auch zu Buntem aufgelegten Kollektiv überlassen hat. Also, Vorhang auf für das Pimmelgate, das Festival der Schreiber, Maler und Übermaler.
Beim verunglückten Weltgipfel G 20 fiel die Rote Flora im Schanzenviertel zum Beispiel mit Schriftzügen auf, die mit dem Ableben des Kapitalismus zu tun hatten, und einer Kundgebung namens "Welcome to hell". Zu ihren Lieblingsgegnern zählen traditionell die städtischen Ordnungshüter, angeführt vom jeweiligen Innensenator. Der heißt seit ein paar Jahren Andy Grote, ist wie der Bürgermeister und der wohl künftige Bundeskanzler in der SPD, und man kann sagen, dass er es im Zuge vom Pimmelgate auch zu überregionaler Bekanntheit gebracht hat. An der Roten Flora steht in einem angemessen theaterhaften Rahmen nun dies, womöglich dauerhaft: "Andy, du bist so 1 Pimmel." Nach einem Komma folgt aktuell der Zusatz "tritt zurück". Als Künstler hat sich über dem Gemälde eine "Soko Wand und Farbe" geoutet, was ganz lustig ist, wenn man die Geschichte dieses Kunstprojekts betrachtet.
Ein Hin und Her auf Twitter, dann eine Razzia
Wie kommt der Mann aus dem rot-grünen Senat zu dieser grafischen Ehre? Es begann vor einigen Monaten zeitgemäß elektronisch. Da twitterte nach Corona-Gedränge mit Flaschenwürfen und Polizeieinsatz im Szeneviertel erst Grote Ende Mai, dass "in der Schanze die Ignoranz" feiere, während man wieder in den Lockdown müsse. "Was für eine dämliche Aktion!" Dann erinnerte ihn ein anderer Twitterfreund daran, dass Grote im Juni 2020 selbst mit einer Party gegen die Corona-Regeln verstoßen hatte. "Andy, du bist so 1 Pimmel", schrieb er. Das war der Start zum Pimmelgate.
Beamte durchsuchten die Wohnung des Autors, sie fahndeten nach Beweismaterial, es ging um Beleidigung. Ein Polizist hatte Anzeige erstattet, und Grote Strafantrag gestellt. Er riet allen Betroffenen in solchen Fällen dazu, damit so etwas verfolgt werden könne. Man werde als Politiker oder politisch Aktiver ja ständig mit Beleidigung und Häme im Netz überzogen. Das stimmt, wobei deutlich schlimmere Wörter als "Pimmel" vor allem gegen politisch aktive Frauen ständig die Runde machen, ohne dass die Staatsgewalt in den Morgenstunden zur Razzia anrückt.
Inzwischen schien sich die Sache beruhigt zu haben, aber dann tauchten T-Shirts und Aufkleber mit dem Pimmel auf und am Wochenende das erwähnte Graffito an der Roten Flora. Die Polizei ließ es übertünchen, ein munterer Malwettbewerb nahm seinen Lauf. Die Polizei pinselte weiß drüber, Vorhang zu. Die Linken aus der Bastion erneuerten das Gemälde, Vorhang wieder auf. Einmal. Zweimal. Dreimal. "Wer hat den größten Pinsel?", fragte sehr zu Recht die Hamburger Morgenpost. Die Polizei habe Besseres zu tun, heißt es jetzt, und die Innenbehörde sei froh über das Ende des Kinderkrams. Vorläufiger Endstand: 3:2 für die Pimmel-Maler.