Süddeutsche Zeitung

Schüsse auf Hamburger Hells Angel:Mord-Verabredung via Teletext

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Am 26. August vergangenen Jahres erscheint spätabends, gegen 23 Uhr, im Videotext eines privaten Fernsehsenders eine Nachricht. "Ich habe das schönste Kleid gefunden" steht dort geschrieben, verfasst von einem Nutzer namens "lixyz". 50 Minuten später hält am Hamburger Millerntor ein silbergraues Mercedes-Coupé neben einem weißen Bentley an einer roten Ampel, und vom Beifahrersitz des Mercedes werden fünf Schüsse auf den Fahrer des Bentleys abfeuert. Der 38-jährige Fahrer wird lebensgefährlich an Kopf und Oberkörper verletzt und ist seitdem querschnittsgelähmt. Wegen des Videotextes.

So erzählt es ein Kripobeamter als Zeuge vor dem Landgericht Hamburg. Angeklagt in dem am vergangenen Mittwoch begonnenen Prozess ist ein 28-Jähriger, der einst der Bikergang "Mongols" angehörte, einer mit den Hells Angels verfeindeten Gruppe. Er soll seine Freundin zu der Tat angestiftet haben. Als direkter Täter kommt er nicht in Betracht, er saß damals wegen einer anderen Sache in Strafhaft. Seiner 24 Jahre alten Lebensgefährtin wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Mord und schwere Körperverletzung als Mittäterin vor. Die zierliche Frau soll den Mercedes gefahren haben. Der eigentliche Schütze konnte bislang nicht ermittelt werden.

Die Kripo ist sich nach Angaben des Zeugen sicher, dass die Angeklagte den angeschossenen Hells Angel vor der Tat beschattete. Als sie seinen Bentley vor einem Lokal auf St. Pauli entdeckte, habe sie die verschlüsselte Nachricht per SMS an das Teletext-Portal abgesetzt. In dem Absenderkürzel seien ihre Initialen verborgen. Der Kommunikationsweg über den Teletext sei zwar eine "Einbahnstraße" gewesen, weil ihr Freund im Gefängnis kein Handy gehabt haben dürfte, sagt der Beamte. Aber den Teletext habe er immer zur vollen Stunde am Fernseher lesen können.

Die Tat Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge ein Racheakt. Gut zwei Jahre vor den Schüssen am Millerntorplatz war das Paar Opfer eines ähnlich heimtückischen Überfalls im Stadtteil Schnelsen geworden. Dabei waren die beiden Angeklagten schwer verletzt worden, die Frau sogar lebensgefährlich. Diese Tat konnte bislang nicht aufgeklärt werden, aber die Angeklagten sollen den Hells Angel verantwortlich gemacht haben. Ein zweites Motiv sei die Wiederherstellung der Ehre des Angeklagten gewesen. Mongols und Hells Angels hatten sich 2015 und 2016 mehrfach mit brutaler Gewalt in Hamburg bekämpft. Offiziell gibt es die Clubs in der Hansestadt nicht mehr. Die Mongols lösten sich Anfang 2016 auf, die Hells Angels wurden bereits 1983 verboten.

Durch die Auswertung von Videoaufnahmen kam die Polizei schnell auf das Mercedes-Coupé. Die Kennzeichenabfrage ergab nach Angaben des Kripobeamten, dass der Wagen auf einen Mann aus dem Umfeld des Angeklagten zugelassen ist. Sogar die Ortung des Wagens gelang über die eingebaute SIM-Karte des Fahrzeugs. Somit konnten die Ermittler den Fluchtweg der Täter durch eine Funkzellenabfrage rekonstruieren.

Die Polizei überwacht fortan den Mercedes. Am Bahnhof einer brandenburgischen Stadt steigt die Fahrerin aus, Beamte fotografieren sie - es ist die Angeklagte. Längst wissen die Beamten auch, wo die Frau hinwill: zu einem Besuch ihres Freundes in der JVA Hamburg-Billwerder. Ihr Handy ist zwar auf eine fiktive Person angemeldet, aber in der JVA ist bekannt, dass die Nummer zu ihr gehört. Das Gespräch der beiden dort hören die Ermittler ab. Am Folgetag wird die 24-Jährige verhaftet.

Vor Gericht scheint sie ihren Freund zu ignorieren. Beide wollen vorerst schweigen. Der Verteidiger des 28-Jährigen erklärt lediglich, dass sein Mandant den Vorwurf der Anstiftung zur Tat bestreite. Rechtsanwalt Siegfried Schäfer, der die 24-Jährige vertritt, sagt nach der Verhandlung, es sei "nicht günstig", dass seine Mandantin mit dem Auto fotografiert worden sei. Er betont jedoch, dass bislang nicht klar sei, wer das Mercedes-Coupé am Tattag gefahren habe. Das Gericht hat 17 weitere Verhandlungstermine bis zum 28. Mai angesetzt.

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