Süddeutsche Zeitung

Geiselnahme in der JVA Burg:Häftling mit "ambivalentem Vollzugsverhalten"

Dass der Attentäter von Halle ein gefährlicher Menschenfeind, Antisemit und Rassist ist, zeigte er schon im Prozess. Nun, zwei Jahre nach seiner Verurteilung, hat er im Gefängnis Geiseln genommen, um seine Freilassung zu erzwingen.

Von Iris Mayer, Leipzig

Der rechtsextreme Attentäter von Halle und verurteilte Doppelmörder Stephan B. hat versucht, mit einer Geiselnahme seine Freilassung aus dem Hochsicherheitsgefängnis zu erzwingen. Dem 30-Jährigen gelang es am Montagabend beim Nachteinschluss in der JVA Burg bei Magdeburg, nacheinander zwei Vollzugsbeamte in seine Gewalt zu bringen. Er konnte mit einer Geisel bis zu einer Sicherheitsschleuse vordringen, bevor er im Innenbereich des Gefängnisses von acht Beamten überwältigt und dabei leicht verletzt wurde.

Das Justizministerium wollte sich am Dienstag mit Hinweis auf laufende Ermittlungen des Landeskriminalamtes nicht dazu äußern, ob und welche Art von Waffe Stefan B. nutzte. Die Volksstimme hatte unter Berufung auf Sicherheitskreise über einen selbstgebauten Schussapparat berichtet. Eine Gefahr für die Öffentlichkeit bestand laut Ministerium zu keinem Zeitpunkt.

Am 9. Oktober 2019 schützte nur die Tür der Synagoge die Menschen darin

Am 9. Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag, hatte B. einen Anschlag auf die Synagoge von Halle an der Saale geplant. Der Rechtsextremist scheiterte an der Synagogentür, erschoss dann zwei Menschen und verletzte auf seiner Flucht weitere schwer. Im Dezember 2020 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Naumburg wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehr als 55 Fällen zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung - die höchste in Deutschland mögliche Strafe. Im Prozess zeigte der Angeklagte keinerlei Reue, warf nach der Urteilsverkündung einen Ordner in Richtung der Nebenkläger.

Es sei bekannt, welche Gefahr von dem Gefangenen ausgehe, sagte Sachsen-Anhalts Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) auf einer Pressekonferenz, deshalb werde er engmaschig kontrolliert. Schon einmal hatte Stefan B., der am Dienstag als Häftling mit "ambivalentem Vollzugsverhalten" beschrieben wurde, versucht, zu fliehen. Am Pfingstwochenende 2020 war er während des Hofgangs in der JVA Halle über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert. Bevor ihn Justizbeamte wieder unter Kontrolle brachten, war er minutenlang ohne Aufsicht. Nach der Pannenserie im Gefängnis "Roter Ochse" in Halle wurde B. in die JVA Burg verlegt.

Anspruch auf Gegenstände des alltäglichen Bedarfs

Auch da blieb er auffällig, zum Jahrestag des Anschlages vor wenigen Wochen verkeilte er seine Zellentür mit Papier, wurde zur Strafe für einen Tag in einen Raum mit permanenter Videoüberwachung verlegt. Im Gegensatz zu den anderen Gefangenen sei B. keiner Arbeit nachgegangen, sagte ein Ministeriumsbeamter. Anspruch auf Gegenstände des alltäglichen Bedarfs habe er dennoch gehabt. Laut Sicherheitskreisen wurden bei ihm eine Bastelschere, ein Messer und ein Dosenöffner sichergestellt. Seine Einzelzelle sei regelmäßig kontrolliert worden und "sehr, sehr übersichtlich ausgestattet" gewesen, hieß es dazu aus dem Justizministerium.

Überprüft wurde auch die Post von B. Einen Brief an einen Kontakt in Brandenburg fing die JVA ab. Darin soll B. eine Anleitung zum Waffenbau beschrieben haben, die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg leitete deswegen im vergangenen Jahr ein Ermittlungsverfahren ein. Zur Anklage kam es nicht, das Verfahren wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt, wie ein Sprecher der SZ sagte. Monatelang hatte Stephan B. ebenfalls - zunächst unbemerkt - einen Briefwechsel mit einer Polizistin geführt, die ihm unter einem Tarnnamen geschrieben hatte. In mehr als zehn Briefen soll sie Verständnis für den Anschlag auf die Synagoge geäußert haben, sie ist inzwischen nicht mehr im Dienst. In der JVA Burg wurde Stephan B. ausschließlich von männlichen Justizbeamten bewacht, nun wird geprüft, ob er in ein anderes Bundesland verlegt wird.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung stand, Stephan B. sei vorgeworfen worden, eine Anleitung zum Waffenbau an den Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Stephan E., verschickt zu haben. Nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg gab es dafür nach Überprüfungen bei der JVA, dem LKA und der Staatsanwaltschaft Stendal jedoch keine Hinweise. Vielmehr richtete sich das Schreiben an einen Kontakt in Brandenburg.

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