Der Mann, der am Montagabend versucht hat, aus der Justizvollzugsanstalt in Burg bei Magdeburg auszubrechen, ist, das wird nach dem Vorfall sehr schnell klar, kein gewöhnlicher Gefangener, von dem die Öffentlichkeit zuvor noch nie gehört hat.
Es ist Stephan B., 30, jener Rechtsextremist, der als Attentäter von Halle bekannt ist. Zwei Menschen hat er getötet, als er im Oktober 2019 an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in die Hallenser Synagoge eindringen wollte. Nur eine massive Holztür, die B.s Schüssen standhielt, verhinderte, dass er in der Synagoge, wo sich Dutzende Menschen aufhielten, ein Massaker anrichten konnte. Als es ihm nicht gelang, aufs Gelände zu kommen, tötete er eine 40 Jahre alte Passantin und in einem nahegelegenen Döner-Imbiss einen 20-Jährigen. Bei seinen Morden in Halle nutzte B. mehrere selbstgebaute Waffen.
Im Dezember 2021 wurde B. vom Landgericht Naumburg wegen zweifachen Mordes und 55-fachen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Er sitzt seine Strafe im Gefängnis in Burg ab, dem größten und nach Darstellung der Justiz auch sichersten Gefängnis Sachsen-Anhalts.
Zwei Geiseln, beides JVA-Angestellte, hat B. genommen, um seine Flucht zu erzwingen. Das bestätigt das Justizministerium am Tag nach dem Vorfall - und äußert sich auch zum Ablauf der Tat: Zunächst habe B. beim abendlichen Einschluss gegen 21 Uhr einen Vollzugsbeamten in seine Gewalt gebracht. Mit der ersten Geisel sei B. auf den Freistundenhof gelangt und habe dort einen zweiten Bediensteten in seine Gewalt gebracht, der ihm den Weg aus dem Gefängnis bahnen sollte. Wie viele Türen die Bediensteten für B. öffneten, wie weit die Flucht also fortgeschritten war, hat die Justiz noch nicht mitgeteilt.
B. habe bei seinem Ausbruchsversuch am Montagabend einen Gegenstand mitgeführt, von dem noch nicht gesagt werden könne, ob es sich um eine Waffe gehandelt habe, heißt es aus dem Justizministerium.
B. gilt als unkooperativer Häftling
Nach "weniger als einer Stunde" sei es mehreren Justizvollzugsbeamten gelungen, B. zu überwältigen und die beiden Kollegen aus der Geiselhaft zu befreien, sagte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU). Dabei sei B. leicht verletzt worden. Derzeit sitze er in einer speziell gesicherten Einzelzelle.
Ob in der JVA in Bezug auf Stephan B. Sicherheitsbestimmungen missachtet worden seien, werde untersucht, sagte die Justizministerin. Der Rechtsextremist hatte bereits an Pfingsten 2020 einen Ausbruchsversuch unternommen, der vereitelt wurde. Während eines Hofgangs war er über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert und hatte fünf Minuten ohne Aufsicht nach Auswegen aus dem Gefängnis gesucht, bevor ihn Justizbedienstete wieder einfingen.
Geiselnahme in der JVA Burg:Häftling mit "ambivalentem Vollzugsverhalten"
Dass der Attentäter von Halle ein gefährlicher Menschenfeind, Antisemit und Rassist ist, zeigte er schon im Prozess. Nun, zwei Jahre nach seiner Verurteilung, hat er im Gefängnis Geiseln genommen, um seine Freilassung zu erzwingen.
B. gilt als unkooperativer und schwieriger Gefangener, der im Haftverlauf ein, wie es Weidinger ausdrückt, "ambivalentes Verhalten" an den Tag gelegt habe. Mal kommuniziere er mit dem Anstaltspersonal, dann wieder lehne er sich auf. So habe er etwa wenige Monate zuvor seine Zellentür von innen mit Papier verkeilt und sei damals bereits für einen Tag in eine Ausweichzelle verlegt worden. Die Zelle des Gefangenen werde regelmäßig durchsucht. Wie er die Komponenten seines selbstgebauten Schussapparats beschafft habe, müsse noch ermittelt werden.
Die Opposition in Sachsen-Anhalt fordert eine schnelle Aufklärung des Vorfalls. "Die Welt schaut auf Sachsen-Anhalt und die Landesregierung trägt eine besondere Verantwortung und muss besonders sorgfältig handeln", sagt Linken-Fraktionschefin Eva von Angern. Der Parlamentarische Geschäftsführer der sachsen-anhaltischen Grünen-Fraktion, Sebastian Striegel, dringt auf eine Sitzung des Rechtsausschusses.
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich im Fernsehsender Welt geäußert. "Das ruft diejenigen auf, die Gefängnisse verantworten in Deutschland, auch da noch mal sehr genau hinzugucken. Insbesondere bei so jemandem wie dem Attentäter von Halle, wo wir wissen, dass er schon mal versucht hat während des Prozesses zu fliehen".
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es unter Bezug auf die Nachrichtenagentur epd, Stephan B. habe einen "selbstgebauten Schussapparat" benutzt. Das ist vom Justizministerium in Sachsen-Anhalt nicht bestätigt worden. Die Agentur hat ihren Bericht korrigiert und auch wir haben den Text entsprechend geändert.