Erdbeben:Zahl der Todesopfer nach Katastrophe in Haiti steigt auf knapp 2000

Tropical Storm Grace Hits Haiti After 7.2 Quake

Nach dem Beben kam der Regen: Eine Frau in Les Cayes, Haiti, steht knöcheltief im Wasser.

(Foto: Richard Pierrin/Getty Images)

Nach dem Beben der Stärke 7,2 kam Sturm "Grace". Zehntausende Menschen sind obdachlos.

Vier Tage nach dem verheerenden Erdbeben im Karibikstaat Haiti spitzt sich die Lage zu. Die Zahl der geborgenen Toten stieg auf knapp 2000. In den betroffenen Gebieten warteten am Dienstag (Ortszeit) viele Verletzte verzweifelt auf medizinische Hilfe und Nahrungsmittel. Durch das Beben wurden auch mehrere Krankenhäuser zerstört. Viele Menschen wurden in Notzelten behandelt, aber die Mediziner konnten nicht allen Hilfesuchenden helfen. Zudem erschwerte der Sturm Grace die Arbeit der Helfer.

Die Zahl der bestätigten Todesopfer ist auf 1941 gestiegen. Das verkündete die Zivilschutzbehörde des Landes am Dienstag auf Twitter und korrigierte auch die Zahl der Verletzten auf mehr als 9900 hoch.

Am Samstag hatte ein Beben der Stärke 7,2 das Land erschüttert. Gut 37 000 Häuser wurden nach Angaben der Zivilschutzbehörde bei der Naturkatastrophe zerstört, fast 47 000 beschädigt. Unicef zufolge sind 1,2 Millionen Menschen betroffen.

16 Menschen aus den Trümmern eines Gebäudes gerettet

Über das Erdbebengebiet ist dann in der Nacht von Montag auf Dienstag Sturm Grace mit starkem Regen hinweggefegt. Videos in sozialen Medien zeigten überschwemmte Straßen. Auf der vom Erdbeben schwer getroffenen Halbinsel Tiburon, wo Zehntausende Menschen obdachlos geworden waren, stand das Wasser stellenweise knöchelhoch, wie auf Bildern zu sehen war. Die Bewohner der Gegend, von denen viele bisher im Freien schliefen, suchten etwa in Zelten und unter Planen notdürftig Schutz.

In einem beschädigten Krankenhaus in Les Cayes - mit einer Bevölkerung von etwa 90 000 Menschen die größte Stadt im betroffenen Gebiet - waren Patienten zunächst im Innenhof untergebracht worden. Wegen des Regens wurden sie aber hineingebracht, wie der Journalist Frantz Duval auf Twitter berichtete. "Das Dilemma an diesem Morgen: der Schlamm im Freien oder das rissige Gebäude - wo ist man besser geschützt", schrieb er.

Es gab allerdings auch gute Nachrichten: Am Dienstagmorgen (Ortszeit), drei Tage nach dem Beben, wurden nach Angaben des Zivilschutzes in der Ortschaft Brefèt aus den Trümmern eines früheren UN-Gebäudes 16 Menschen lebend geborgen. Auch kommt allmählich Hilfe in der Erdbebenregion an. Die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID) flog nach eigenen Angaben 52 Menschen zur medizinischen Behandlung aus.

In Haiti, dem ärmsten Land Amerikas, waren bereits im Januar 2010 bei einem Erdbeben der Stärke 7,0 mehr als 220 000 Menschen ums Leben gekommen und mehr als eine Million Menschen obdachlos geworden. Der Wiederaufbau litt stark unter Korruption und Verschwendung. Fehlende oder beschädigte Infrastruktur droht auch die Hilfs- und Rettungseinsätze nach dem neuen Beben zu behindern.

Auch wegen Kämpfen zwischen rivalisierenden Banden um Territorium ist die Fernstraße, die die Hauptstadt Port-au-Prince mit Haitis Süden verbindet, häufig unpassierbar. Diese Gewalt trieb allein im Juni 2021 nach UN-Zahlen etwa 15 000 Menschen in die Flucht. Die haitianische Menschenrechtsorganisation RNDDH kritisierte den Umgang der Regierung mit der Katastrophe als "totales Chaos". "Sie sind völlig sich selbst überlassen", hieß es hinsichtlich der Erdbebenopfer. Einige suchten auf eigene Faust nach Zelten zum Schutz vor dem Unwetter. Vor personell unterbesetzten und schlecht ausgestatteten Krankenhäusern warteten verzweifelte Verletzte.

Interimspremierminister und EU-Kommission kündigen Hilfe an

Interimspremierminister Ariel Henry kündigte bei Twitter schnellere Hilfe an. "Wir werden unsere Energien verzehnfachen, um die größtmögliche Zahl von Opfern zu erreichen und ihnen zu helfen", schrieb er. Henry ordnete auch drei Tage Staatstrauer ab Dienstag an. Haitis ohnehin schwer unterfinanziertes Gesundheitssystem ist durch die sich zuletzt verschlimmernde Pandemie überstrapaziert. Hinzu kommt eine tiefe politische Krise, die sich nach der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse durch eine Kommandotruppe in seiner Residenz am 7. Juli verschärft hat.

Die EU-Kommission hat angekündigt, Haiti mit zunächst drei Millionen Euro zu unterstützen. Das Geld solle etwa für medizinische Versorgung vor Ort, für Wasser-, Abwasser- und Hygienedienste sowie für Unterkünfte und Schutzmaßnahmen für die am stärksten betroffenen und benachteiligten Gemeinschaften eingesetzt werden, teilte die Kommission am Dienstag mit. "Wir sind bereit, weitere Unterstützung zu leisten", versicherte EU-Kommissar Janez Lenarčič.

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