Haiders Verklärung:Kärnten heute

An diesem Samstag wird Jörg Haider beerdigt. Unser Autor kommt aus Kärnten, dem Land des omnipräsenten Rechtspopulisten: "Der ist posthum ganz besonders weg", sagt er.

Egyd Gstättner, Klagenfurt

Am Samstag klingelt das Handy in aller Herrgottsfrüh und reißt mich aus dem Schlaf. Ein befreundeter Redakteur. Er sagt, dass er unseren geplanten Wochenendausflug zur Marunada nach Opatija absagen müsse. Er sei auf dem Weg in die Redaktion, der Jörg Haider sei in der Nacht bei einem Unfall gestorben.

Haiders Verklärung: Man konnte Angst haben vor einem wie Jörg Haider, der auf die Frage, wovor er Angst habe, die Antwort gab: "Vor nichts".

Man konnte Angst haben vor einem wie Jörg Haider, der auf die Frage, wovor er Angst habe, die Antwort gab: "Vor nichts".

(Foto: Foto: dpa/Robert Jäger)

Ich schalte den Fernseher ein, sehe das Autowrack und die Unfallstelle, über die ich selbst - wie die meisten Klagenfurter - schon Hunderte Male gefahren bin. Nicht gefährlich eigentlich. Es ist - nur zwei, drei Kilometer vom Südrand Klagenfurts entfernt - der Weg ins Rosental, ins Bärental, auch der Weg nach Slowenien, der Weg nach Istrien, nach Opatija, ans Meer. Blickt man an der Unfallstelle in den Rückspiegel, sieht man vielleicht noch das neue Klagenfurter Europameisterschaftsstadion, vielleicht den Friedhof von Viktring-Stein, wo vor ein paar Tagen der Altlandeshauptmann Wagner beerdigt worden war, Jörg Haider stand in der ersten Reihe der Trauergäste.

Ich bin betroffen, ja.

Ich bleibe auch zu Hause. An diesem Tag - der Tag nach dem Landesfeiertag - will ich auf dieser Strecke nicht fahren (es ginge auch nicht, sie bleibt ja bis zum Nachmittag gesperrt), das Land nicht verlassen. Jörg Haider war zwölf Jahre älter als ich, aber so superfit, supergesund und superschneidig, so unverwüstlich und unzerstörbar wie kein Zweiter. Er schien hervorragendes genetisches Material zu haben: Sein Vater war fast hundert Jahre alt geworden, seine Mutter ist neunzig. Ich habe gedacht: Der Jörg Haider wird ebenfalls hundert. Ich habe gedacht: Der bleibt noch mindestens 15 Jahre Landeshauptmann. (Nicht, dass ich es gehofft habe). Ich habe nicht gedacht, dass ich bei meinen Blutwerten jemals in die Situation kommen werde, meine Gedanken zu seinem Tod zu notieren.

Ich bin betroffen, ja. Wenn hier in Österreich seit zwanzig Jahren an keinem Tag eine Zeitung erschienen, keine Nachrichtensendung gesendet worden ist, die nicht über ihn berichtet hätte, wenn ein Mensch zu Lebzeiten so omnipräsent war wie Jörg Haider, dann ist er posthum wirklich ganz besonders weg. Es ist mir recht, dass ich diesen Tag erlebe, den viele andere nicht mehr erleben konnten: der Rektor der Universität Klagenfurt, Günther Hödl, der Stadttheaterintendant Dietmar Pflegerl, der Verleger Hubertus Czernin, der denunzierte Dichter H.C. Artmann. Es ist mir recht, dass sein Tod Teil meines Lebens ist und nicht umgekehrt.

Man kann fassungslos sein über den Tod eines Mannes, auch wenn man in vielen politischen Fragen anderer, gegenteiliger Meinung gewesen ist. Und wenn ich einmal mit dem Zweck einverstanden war, dann haben mir die Mittel nicht gepasst. Man kann nicht anders als bestürzt sein, umso mehr, wenn es ein so vorzeitiger und schrecklicher Tod ist. Man kann fassungslos und bestürzt sein über diesen Tod, auch wenn man - gerade als Landeshauptmann, Volksvertreter und Vorbild des einfachen Mannes - eigentlich nicht mit 142 Kilometern pro Stunde bei Nacht und Nebel durch ein 70 km/h-Ortsgebiet rasen sollte.

Nein, wenn man in seinem politischen Leben so viel mit Tafeln und Taferln zu tun hat, darf man nicht mit 142 Kilometern pro Stunde so viel Schwung haben, dass man auch noch ein Verkehrsschild niedermäht, das die Geschwindigkeit wenig später sogar auf 50 Stundenkilometer beschränkt. Man kann bestürzt sein über diesen Tod, auch wenn es in diesem Fall nicht so einfach ist, das Pietätsgesetz des De mortuis nihil nisi bene zu beherzigen. Denn bei jedem anderen Raser hätte es geheißen: "Er gefährdete mit seinem rücksichtslosen Verhalten nicht nur seine eigene, sondern auch die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer."

Jetzt aber liest man in vielen Zeitungen von den 142 Kilometern pro Stunde im Ortsgebiet, als seien sie Pech und höhere Gewalt gewesen, als sei niemand dafür verantwortlich zu machen. Viele Leserbriefe beklagen, dass "das Schicksal so brutal sein kann".

Bei aller Anteilnahme: 142 km/h im Ortsgebiet sind kein Schicksal. 142 km/h im Ortsgebiet sind auch mit dem Begriff "menschliches Versagen", den die Polizei verwendete, nicht zutreffend beschrieben. 142 km/h im Ortsgebiet - und, wie sich erst am Mittwoch herausstellte: mit 1,8 Promille - sind nicht, wie der Bundespräsident Fischer zu erkennen gab, eine "menschliche Tragödie": sie sind nichts anderes als ein Verbrechen.

Man kann bestürzt sein über diesen Tod ebenso wie über die anschließende Heiligenverehrung. In der Sendung "Kärnten heute", produziert vom Landesstudio Klagenfurt, das zum Amtsantritt Jörg Haiders durch und durch parteipolitisch besetzt und tiefrot gewesen, in der kürzesten Zeit dann tiefblau (und schließlich eben tieforange) und mit entsprechend in die Positionen gehievten Vertrauensleuten der Haussender für Haiderbelangsendungen geworden war, sah man, wie Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen zur Unfallstelle oder zur Landesregierung pilgerten, um ein Kerzenmeer zu installieren und sich ins Kondolenzbuch einzutragen, aber es entstand der Eindruck: Das sind nicht Tausende. Das sind alle. Ausnahmslos alle.

Kärnten heute

Wie damals, als er in der Vorweihnachtszeit 100 Euro - sein Geld war es ja nicht - an Leute mit niedrigem Einkommen bar auszahlen ließ, als "Teuerungsausgleich". Die Menschenschlange ist damals nicht kürzer gewesen als die, zu der sich die um Haider Trauernden nun am gleichen Platz formieren.

Griasdi, griasdi, griasdi. Das war im Großen und Ganzen das Rezept im Land. Zum Beispiel hat er einfach einen oberösterreichischen Fußballclub mit Erstligalizenz gekauft, hierher übersiedelt, nannte ihn Austria Kärnten (es gibt bereits einen abgewirtschafteten FC Kärnten) und ließ ihn hier Bundesliga spielen. Das ist so, als wäre es dem Präsidenten von 1860 München in der zweiten Liga zu fad. Also kauft er Borussia Dortmund, nennt die Borussia sofort 1861 München und lässt sie in der Allianz-Arena in der Bundesliga kicken. Da kam die beleidigte Konkurrenz nicht mit. Wen bitte interessieren angesichts von 100-Euro-Handgeld denn Naserümpfen, Rechtsstaat, Waffen-SS, ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich oder Besuche bei Saddam? Griasdi! Die Moderatorin Sonja Kleindienst verabschiedete sich ungefähr mit den Worten: "Liebe Kärntnerinnen und Kärntner, ich wünsche Ihnen so viel Kraft, wie Sie jetzt brauchen."

Ein Freund von vielen

Dass in Kärnten die Sonne untergegangen ist, wie Haiders Stellvertreter in der ersten Pressekonferenz sagte, mag eine dem Anlass entsprechend emotionale und verständliche Reaktion sein. Aber tatsächlich scheint die Sonne hier in Kärnten. Man muss nur hinschauen. Dass die Sonne hier so oft scheint, ist übrigens der Hauptgrund, warum ich all die Jahre in Kärnten geblieben bin. Und man sollte schon erwähnen, dass der Landeshauptmann keinem Attentat zum Opfer gefallen, keiner Krankheit erlegen, dass er nicht einmal von einem Autofahrer mit 142 Kilometern/h auf dem Heimweg abgeschossen worden ist.

Der Landeshauptmann hat sich vielmehr überschlagen und erschlagen.

Ein anderer politischer Repräsentant im Land - kein Parteifreund Haiders, aber wie so viele mit ihm befreundet - den ich beim Mittagessen im Schweizerhaus am Kreuzbergl getroffen habe, sagte mir, er sei jetzt sehr traurig. Haider sei aber letztlich so gestorben, wie er gelebt habe. Wie Lady Diana. Er sei einen Popstartod gestorben. (Man könnte freilich auch sagen: Immer auf der Überholspur - und dann übersehen, dass am rechten Rand die Bankette nicht befahrbar sind).

So singen wir jetzt ein Liadle - eben jenes, das Jörg Haider noch kurz vor seinem Tod höchstpersönlich für eine DVD-Produktion anstimmte: "Pfiat di, liabe Alm, da Summa is umma!"

Wenig später, ich saß noch beim Mittagessen, hat sich auch der Redakteur noch einmal am Handy gemeldet und mich um ein Statement für die Zeitung gebeten. "Eine menschliche Tragödie", habe ich gesagt, "mein Beileid der Familie und insbesondere der Gattin. Alles andere kann an diesem Tag nicht Thema sein." Es gab wenig Verkehr in der Klagenfurter Kreuzberglgegend am vergangenen Samstag. Die Autos krochen. Als ich einen Zebrastreifen über die Sterneckstraße betrat, blieb eines schon fünfzehn Meter vor dem Zebrastreifen stehen! Viele Leute standen offenbar wirklich unter Schock.

Rasende Wechsel von Themen, Trachten, Tonfällen

Nihil nisi bene: Wenn mich an Jörg Haider etwas wirklich verblüfft hat, dann war es einerseits sein Wandlungsreichtum, andererseits seine atemberaubende Geschwindigkeit: Er war schneller und wendiger als Mitbewerber, Konkurrenten, Kritiker. Er war unberechenbar und plötzlich, er war nicht zu erwischen. Bei Debatten wechselte er Themen und Tonfälle je nach dem Publikum, das anwesend war. Im Fall von Niederlagen war er nicht zu sprechen, um sie nicht bestätigen zu müssen. Abgewählt wurde er nie: Wenn Gefahr im Verzug war, schob er eine andere Figur vor, die er dann abservierte. Gewonnen hat immer er. Ich, den viele Ängste plagen, habe Angst gehabt vor einem, der auf die Frage, wovor er Angst habe, geantwortet hat: "Vor nichts". Wohin das führen soll, habe ich mich gefragt. Vielleicht hat der vorige Samstag eine Antwort gegeben.

Nicht nur Themen und Tonfälle, auch Trachten und Garderoben hat Haider rasend oft gewechselt. Allein die Fotos, die am letzten Tag seines Lebens, dem Landesfeiertag, von ihm geschossen wurden, zeigen ihn in zwei verschiedenen Kostümen: Den Kärntner Anzug für die Feierveranstaltungen untertags, DesignerDiscoklamotten für die Feierveranstaltung am Abend, die Blitzlichtparty, und dann die Familienfeier. Von Feier zu Feier zu Feier. Es mag viele Kärntner geben, die diesen Kärntner Anzug tragen, viele andere bevorzugen legere Kleidung. Aber es wird nur wenige geben, die am selben Tag in beide schlüpfen.

Gerade rufe ich eine Mail meines portugiesischen Übersetzers aus Braga ab, der hofft, "die Rechtsextremen mögen seinen relativ frühen Tod nicht dazu nützen, Haider zum Märtyrer zu machen", und der mich um detaillierte Informationen zu den Umständen bittet, die er im Minho natürlich nicht hat. Bevor ich mich an die Antwortmail nach Portugal mache, möchte ich hier noch den dritten Anruf festhalten, den ich am Todestag Haiders von einem guten Bekannten bekommen habe: In der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober wurde fast auf die Minute genau zu dem Zeitpunkt, als Jörg Haider dort tot eintraf, im LKH Klagenfurt ein Kind geboren: ein kleines Mädchen, das, wie ich gehört habe, Angelina heißen soll: Engelchen.

Es ist die erste Nichtzeitgenossin aus Kärnten. Angelina war - Ironie des Schicksals - eine Frühgeburt.

Egyd Gstättner, 46, ist Schriftsteller und lebt in Klagenfurt. Im August erschien sein jüngster Roman "Der Mensch kann nicht fliegen" im Picus Verlag, Wien.

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