Süddeutsche Zeitung

Hai-Attacken bei Sharm el-Scheich:Gefahr von unten

Nach dem Tod einer Deutschen bei einer Hai-Attacke verlassen Hunderte Touristen das ägyptische Ferienparadies - vielleicht heben die Behörden deshalb das Tauchverbot schon bald auf. Nun wird spekuliert, ob Veranstalter von Tauchexkursionen die Tiere extra angelockt haben.

C. Pollmer und M. Weiss

Es scheint, als diente in Scharm el-Scheich "Der Weiße Hai" als Filmvorlage für die Realität: In der vergangenen Woche hatte ein Hai im Roten Meer vier Touristen aus Russland und der Ukraine verletzt. Die ägyptischen Behörden verhängten ein Badeverbot, gaben am Samstag aber trotz Bedenken Entwarnung - auch aus Furcht vor Einbußen im Tourismus. Am Sonntag dann riss ein Hai einer 71-jährigen Touristin aus Baden-Württemberg den rechten Arm und ein Bein ab. Die Frau erlag ihren Verletzungen.

Experten aus den USA reisen nun in die Region, um die Vorfälle zu untersuchen. Auf Anordnung der Tourismusbehörde ist der Strand von Scharm el-Scheich für 72 Stunden gesperrt worden. "Danach entscheidet der Gouverneur, wie es weitergeht", sagt Wagih Helal, stellvertretender Leiter der Behörde. Jener Gouverneur, Mohammed Schuscha, kündigte wiederum an, die Sperre notfalls auszuweiten, bis alle potentiell gefährlichen Haie vor der Küste gefunden und gefangen sind. Gleichzeitig hat die ägyptische Kammer für Tauchen und Wassersport mitgeteilt, bereits an diesem Dienstag ihren Mitgliedern das Tauchen "in der Mehrheit der Gebiete von Scharm el-Scheich" wieder zu erlauben.

Der Ort ist ein beliebtes Ziel von Badeurlaubern und Tauchern, drei Millionen Touristen kommen jährlich. Vor allem im Winter fliegen Urlauber aus Deutschland und England ans Rote Meer, in der Hoffnung auf ein paar warme Tage. Während das britische Außenministerium Urlauber davor warnte, alleine tauchen zu gehen, ist eine ähnliche Mitteilung durch das Auswärtige Amt in Berlin nicht zu erwarten. "Touristische Regionen sind von unseren Reisewarnungen für Ägypten nicht betroffen - eine Warnung ist auch nicht vorgesehen", sagte ein Sprecher.

Unterdessen sind Hunderte Touristen aus Scharm el-Scheich abgereist, teilten Tourismusunternehmen im Land mit. Andere verlegten ihren Urlaub nach Israel. Warum es zu der Häufung von Angriffen kam, ist noch unklar. Eigentlich gehört der Mensch nicht ins Beuteschema von Haien. Nur wenige Arten, darunter der Weiße Hai, fressen regelmäßig Säugetiere, alle anderen halten sich an Fische. "Haie sind scheu und vorsichtig, und nicht aggressiv", sagt Alexander Godknecht, Präsident der Hai-Stiftung, die sich weltweit für den Schutz von Haien einsetzt. Dass dennoch wiederholt Menschen angegriffen werden, liegt an einem Missverständnis: Wenn Haie Blut im Wasser wittern, vermuten sie leichte Beute. Dann kann es vorkommen, dass sie zuschnappen, sobald sich etwas bewegt.

Blutspuren im Wasser

Blutspuren im Wasser kommen regelmäßig vor, wären jedoch meist vermeidbar. "Tauchunternehmen locken Haie als Touristenattraktion oft gezielt mit Fischabfällen an", sagt Godknecht, "das sollten sie lieber bleiben lassen." Auch Taucher, die mit Harpunen Fische jagen und ihren Fang am Gürtel tragen, verteilten Blut im Wasser. Und die Nase der Haie ist empfindlich: Manche Arten können Blut noch in einer Verdünnung von eins zu zehn Milliarden wahrnehmen. Das entspricht etwa einem Tropfen Blut in einem olympischen Schwimmbecken.

Noch ist nicht klar, welcher Art der Hai angehört, der die Deutsche in Ägypten angegriffen hat; es wird vermutet, dass es ein Weißspitzen-Hochseehai war. Nach den Unfällen in der vergangenen Woche fingen die ägyptischen Behörden einen Weißspitzen- und einen Mako-Hai, eine Umweltschutzorganisation bezweifelte jedoch, dass es sich bei den gefangenen Tieren um die tatsächlichen Schuldigen handelt. Was das Tier in die Nähe des Strandes getrieben hat, weiß man nicht - eigentlich wäre sein Jagdgebiet auf hoher See. Manche Umweltschützer spekulieren, dass die Attacken an der Überfischung der Meere liegen, und Haie nur deshalb Menschen angreifen, weil ihnen ihr natürliches Futter ausgeht. Wissenschaftliche Belege dafür gibt es nicht.

Was den Haien gewiss zusetzt, ist der Mensch. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation werden jährlich 100 Millionen Haie durch die Fischindustrie getötet, teils wegen ihrer Rückenflosse, die als Delikatesse gilt, teils gehen sie als Beifang ins Netz. Auch die Wasserverschmutzung macht ihnen zu schaffen. Laut der Artenschutzorganisation IUCN ist von 64 Ozeanhai-Arten jede dritte akut vom Aussterben bedroht.

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SZ vom 07.12.2010/mob
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