Haft- statt Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal:Verurteilter Mörder, Justizopfer, verklärter Schwerverbrecher

Zwei Hinrichtungstermine gab es bereits - nun wurde die Todesstrafe für den verurteilten Polizistenmörder Mumia Abu-Jamal in eine lebenslängliche Freiheitsstrafe umgewandelt. Die Unterstützer des Bürgerrechtsaktivisten kämpfen nun für seine Freilassung. Die Angehörigen seines mutmaßlichen Opfers gegen eine Stilisierung Abu-Jamals zum Justizopfer.

Lena Jakat

Mumia Abu-Jamal ist nicht nur ein verurteilter Mörder und Bürgerrechtsaktivist. Er ist ein Symbol für diverse Kämpfe der Linken - gegen Justizwillkür, Rassismus, die Todesstrafe. Eine lebende Legende. Und das darf er auch weiterhin bleiben. Nach fast 30 Jahren juristischer und stets auch politischer Grabenkämpfe wurde Abu-Jamals Todesstrafe am Mittwoch in eine lebenslängliche Freiheitsstrafe umgewandelt.

Haft- statt Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal: Plakate für einen verurteilten Mörder: Wann immer der Fall von Mumia Abu-Jamal neu verhandelt wurde, waren seine Unterstützer nicht weit.

Plakate für einen verurteilten Mörder: Wann immer der Fall von Mumia Abu-Jamal neu verhandelt wurde, waren seine Unterstützer nicht weit.

(Foto: AFP)

Erste Unterstützer, darunter Desmond Tutu, südafrikanischer Aktivist, Bischof und Friedensnobelpreisträger, fordern bereits die Freilassung des 57-Jährigen. Doch schon die Aussetzung der Todesstrafe ist für das weltweite Unterstützernetzwerk Abu-Jamals ein gigantischer Erfolg.

Einer, der sich nicht zum Schweigen bringen lässt

"Sie wollen nicht nur meinen Tod", sagte Abu-Jamal einmal über die US-Justiz, "sie wollen mein Schweigen." Er hat sich nie zum Schweigen bringen lassen. Und so einen wichtigen Sieg errungen.

In den frühen Morgenstunden des 9. Dezembers 1981 wird der weiße Polizist Daniel Faulkner in einem Rotlichtviertel Philadelphias erschossen aufgefunden. In der Nähe des Tatorts sitzt der schwarze Taxifahrer Mumia Abu-Jamal zusammengesackt am Boden, eine Kugel im Bauch, seine Waffe liegt in der Nähe. Ein halbes Jahr später wird der 28-Jährige des Mordes an dem Polizeibeamten für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.

Rund um diese dürren Fakten entbrennt in den folgenden Jahrzehnten ein erbittert geführter, hochpolitischer Glaubenskampf. Die Frage danach, was genau in dieser Nacht geschah, spielt dabei schnell nur noch eine untergeordnete Rolle.

Die Legende Abu-Jamals beginnt in einem Amerika längst vergangener Tage. Mitte der sechziger Jahre kommt es in Philadelphia zu schweren Rassenunruhen, in deren Folge sich die schwarze Bevölkerung der Stadt im Osten der USA zunehmend politisiert, zum Teil auch radikalisiert.

Zu ihnen gehört der junge Wesley Cook. Als er als 14-Jähriger bei einer Demonstration von weißen Polizisten verprügelt wird, bricht er die Schule ab, schließt sich der radikalen Black-Panther-Bewegung an und ändert seinen Vornamen. "Die Revolution sollte morgen anfangen, wieso musste man da zur Schule gehen", beschreibt Jamal viel später in einem Spiegel-Interview die damalige Aufbruchstimmung.

Aus Wesley wird Mumia, Suaheli für "Prinz". Der selbsternannte Königssohn fungiert zunächst als eine Art Pressesprecher für die Bürgerrechtsorganisation - überwirft sich jedoch nach wenigen Jahren mit den schwarzen Panthern. 1995 wird bekannt, dass Jamal schon damals, als 16-Jähriger, von der Bundespolizei FBI beobachtet wurde. Seine Akte umfasst 800 Seiten.

Der rhetorisch begabte Mann mit der angenehmen Bassstimme geht zum Radio - doch auch mit dem Rundfunksender überwirft er sich nach kurzer Zeit: Wegen mangelnder Objektivität verliert er seinen Sprecher-Job. Er wird Vorsitzender der schwarzen Journalistenvereinigung von Philadelphia, gehört der anarchistischen afroamerikanischen Bewegung Move an und setzt sich für die Legalisierung von Marihuana ein. Nach der Geburt seines ersten Sohnes ändert er auch noch seinen Nachnamen - in Abu-Jamal (Vater des Jamal).

Die Anklage sieht in Abu-Jamal einen eiskalten Killer

Ende der siebziger Jahre arbeitet Abu-Jamal als Taxifahrer in seiner Heimatstadt, die auch zehn Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings noch von offenem Rassismus geprägt ist. Die Korruption blüht, Polizeibeamte verhaften Schwarze mit Hilfe gefälschter Beweise, Afroamerikaner werden geschlagen und gefoltert. So schildert es eine Anklageschrift, die 1978 vom Justizministerium der USA erhoben wurde.

Mitten in diesem Klima aus Korruption, tiefem Misstrauen und Enttäuschung über die ausgebliebene Revolution fällt 1982 der Prozess gegen Mumia Abu-Jamal, der von Anfang an ein politischer ist. Die Anklage und die Hinterbliebenen des erschossenen Polizisten sehen in Jamal einen eiskalten Polizistenmörder, für die Verteidigung und politische Weggefährten hingegen ist er das Opfer einer rassistischen, verlogenen Justiz.

An dieser ideologische Front stehen sich die beide Parteien bis heute gegenüber.

Als Todeskandidat AM 833 kämpft Abu-Jamal aus Zelle 9 in Trakt G der State Correctional Institution Greene in Pennsylvania heraus weiter für seine Unschuld. Er verfasst Streitschriften, Bücher und Kolumnen, hält per Tonband Vorträge an Universitäten und spricht Kommentare für Radiostationen weltweit.

Das Netzwerk seiner Unterstützer wird immer größer - und prominenter: Salman Rushdie und Susan Sarandon kämpfen ebenso für seine Freilassung wie Desmond Tutu und die Ehefrau des verstorbenen französischen Präsidenten François Mitterrand, Danielle Mitterrand. In Paris wird er zum Ehrenbürger ernannt, Menschenrechtsorganisationen und Schriftstellerverbände setzten sich für ihn ein.

Gregor Gysi wendet sich 1995 mit einem Hilfegesuch an den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der dem PDS-Politiker zusichert, sich für den Todeskandidaten aus Philadelphia einzusetzen. Erst Anfang 2010 richten mehr als 7000 Menschen einen Appell an US-Präsident Barack Obama, sich für Abu-Jamal einzusetzen. Zu den Unterzeichnern der Petition gehört unter anderem der Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Spenden und Bucherlöse in Millionenhöhe finanzieren Abu-Jamals Verteidigung.

Mit jedem weiteren Jahr, das Abu-Jamal - der sich stets weigerte, seine Rastalocken abzuschneiden - in der zwei mal drei Meter großen Gefängniszelle verbringt, wird er mehr und mehr zu einer Ikone der Linken weltweit. Bürgerrechtler stilisieren ihn zum Symbol des Kampfes gegen Rassismus, für Menschenrechtsorganisationen wird er zum Beispiel für Justizwillkür, für Gegner der Todesstrafe zum besten Argument, für Skeptiker des imperialistischen Amerikas zum Freiheitskämpfer schlechthin.

Längst hat er für eine diffuse linke Gefolgschaft - ganz losgelöst von seinem tatsächlichen Schicksal - den Stellenwert eines Che Guevara erreicht. Antifa-Gruppen verehren ihn, Marihuana-Konsumenten feiern ihn wie einen zweiten Bob Marley. Sein strahlendes Gesicht wird weltweit vermarktet: auf T-Shirts, Postern und sogar Teddybären.

Verfolgt vom mutmaßlichen Mörder ihres Mannes

Es ist jedoch diese Omnipräsenz Abu-Jamals, die seine Gegner erst bestärkt: Maureen Faulkner, die Witwe des erschossenen Polizisten, ist nach dem Prozess in Philadelphia weit weggezogen, ans andere Ende des Kontinents, nach Südkalifornien. Doch Abu-Jamal verfolgt sie - in Gestalt der Debatte um seine Freilassung - bis dorthin.

So beginnt Faulkner, sich in der Gegenbewegung zu engagieren, organisiert Protestmärsche von Polizisten, schreibt Briefe, bittet Politiker um Unterstützung. 2007 veröffentlicht sie gemeinsam mit dem Journalisten Michael Smerconish ein Buch über ihre Version der Wahrheit, Murdered by Mumia. Es trägt den Untertitel: Eine lebenslange Strafe aus Verlust, Schmerz und Ungerechtigkeit.

"Ich bin keine rachsüchtige Person"

Für Faulkner und ihre Unterstützer ist Abu-Jamal kein Held, sondern ein Mörder. Im Gespräch mit dem Spiegel macht sie 2001 deutlich, dass es bei ihrem Kampf nicht nur um den Tod Abu-Jamals gehe. "Ich bin keine rachsüchtige Person", betont Faulkner. Aber wenn er sterben würde, "wäre das ein Ende." Ansonsten, sagt die Frau, die ihr Leben einem Mann verschrieben hat, mit dem sie vor 30 Jahren gerade einmal 13 Monate lang verheiratet war, "würde ich immer denken, dass er doch noch freikommt."

Danach sieht es im Moment jedoch nicht aus. Nach Jahrzehnten juristischen Hin und Hers, nach zahllosen erfolglosen Versuchen mehrerer Verteidigerteams, nach dem höchst umstrittenen Geständnis eines anderen Mannes und zwei bereits angesetzten Hinrichtungsterminen 1995 und 1999, wird die Todesstrafe gegen Jamal in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Die Möglichkeit, Berufung einzulegen, wird ihm jedoch nicht gewährt.

Maureen Faulkner zeigt sich mit der Entscheidung des Gerichts einverstanden. "Meine Familie und ich haben drei Jahrzehnte des Leidens hinter uns, für das Mumia Abu-Jamal, seine Anwälte und seine Unterstützer verantwortlich sind", sagt Faulkner. Abu-Jamals Anhänger hätten sich in vielen Fällen nicht einmal die Zeit genommen, sich mit dem Fall vertraut zu machen, bevor sie seine Freilassung gefordert hätten. "Dafür haben wir einen unvorstellbaren Preis bezahlt - körperlich, seelisch und finanziell."

Bezirksstaatsanwalt Seth Williams hat die Entscheidung zwei Tage vor dem 30. Jahrestag der Ermordung Daniel Faulkners bekanntgegeben. "Es ist Zeit, diesen Fall ruhen zu lassen, der Stadt Philadelphia und vor allem der Familie von Daniel Faulkner zuliebe", sagt Williams zu Begründung. Er ist der erste schwarze Bezirksstaatsanwalt der Stadt Philadelphia.

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