Häusliche Gewalt:Männer, die verkannten Opfer

Frauen werden dreimal so oft Opfer häuslicher Gewalt wie Männer. Die Dunkelziffer ist hoch. Doch die Dunkelziffer männlicher Opfer ist weitaus höher. Weil die Scham so groß ist.

Violetta Simon

Frauen, die prügeln: Ein Bild, das nur schwer vorstellbar ist. In den Köpfen der Gesellschaft sind Frauen Opfer, keine Täterinnen. Entsprechend verstörend wirkt die Meldung aus Berlin: Wie die Kriminalstatistik 2011 belegt, geht immer mehr häusliche Gewalt von Frauen aus. Im vergangenen Jahr war fast jeder vierte Tatverdächtige weiblich (24,7 Prozent). 2006 war es nur gut jeder fünfte.

Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) will die Zahlen so nicht stehen lassen: "Diese Statistik ist nicht so einfach zu deuten", gibt Sprecherin Jennifer Rotter zu Bedenken. "Es handelt sich hier um eine Eingangsstatistik, das heißt: Die Frauen sind tatverdächtig, keine Täter." Ebenso könne es sich um Gegenreaktionen von Männern handeln: "Was häufiger vorkommt, ist, dass sich die Frau zur Wehr setzt und der Mann aus Wut eine Gegenanzeige stellt." So würde aus einem Opfer plötzlich eine Täterin.

Sind Männer heute also wirklich häufiger Opfer von Gewalt als vor fünf Jahren? Oder schlagen Frauen nur häufiger zurück? "Beides", sagt Alexander Tönnjes, Sprecher der Berliner Polizei. Frauen seien durchaus gewalttätig. "Sie beißen, schlagen, treten, kratzen, nehmen eine Bratpfanne oder einen Schlagstock zu Hilfe oder werfen mit Vasen".

Der Grund für die erhöhten Zahlen sei aber in erster Linie die erhöhte Sensibilität der Polizei, der Umgebung und der Institutionen in den vergangenen zehn, 15 Jahren. "Es findet eine Verschiebung vom Dunkeln ins Helle statt, die Taten werden vermehrt angezeigt." Das gelte für alle Fälle häuslicher Gewalt. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 10.532 Tatverdächtige sowie 12.957 Opfer im Berliner Raum registriert - etwa drei Viertel der Misshandelten waren Frauen. Die Dunkelziffer ist sehr viel größer.

Doch weibliche Gewalt richtet sich nicht nur gegen Männer. "Wir wissen, dass es auch in gleichgeschlechtlichen Beziehungen eine hohe Quote an häuslicher Gewalt gibt", sagt BIG-Sprecherin Rotter.

Claudia Apfelbacher, Geschäftsführerin der Lesbenberatung in Berlin, relativiert diese Aussage: "Sicher findet auch in lesbischen Beziehungen Gewalt statt. Doch wir leben nach wie vor in einer patriarchalen Gesellschaftsform mit unterschiedlichen Machtverhältnissen." Eine Gemeinsamkeit sieht sie indes in der möglichen Ursache für die Gewaltspirale: "In homosexuellen Beziehungen, egal ob lesbisch oder schwul, ist Gewalt immer auch eine Folge von Ausgrenzung". Diese existiere auch bei Paaren mit Migrationshintergrund und anderen Konstellationen, die in einem gesellschaftlich nicht anerkannten Milieu leben. "Dieses Stresspotenzial wirkt sich auf den Umgang mit dem Partner aus", sagt die Pädagogin.

Die Scham des Mannes

Viele Opfer häuslicher Gewalt trauen sich trotz jahrelanger Misshandlungen nicht zur Polizei. Es ist Angst, aber auch Scham, die sie davon abhält. Und sie sorgt nicht nur bei Gewaltdelikten gegen Frauen dafür, dass viele Täter unbehelligt bleiben. Gerade Männer wagen oft nicht, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass ihre Blessuren von einer Frau stammen.

Auch wenn - oder gerade weil - Männer seltener Opfer von häuslicher Gewalt durch Frauen werden, fällt es ihnen schwer, Hilfe zu suchen. Nach Angaben des Vereins Opferhilfe Berlin melden sich im Laufe eines Jahres nur fünf bis zehn Männer bei der Beratungsstelle - im Vergleich zu 7000 Frauen. Den Zahlen der Kriminalstatistik entsprechend müssten es etwa 1750 sein. "Vielen Männern fällt es schwer, sich bei uns zu melden", erläutert die Sozialpädagogin Antje Gentzmann von der Opferhilfe Berlin. Der Begriff "Opfer" sei noch immer schambesetzt.

Hinzu kommt die ungläubige Reaktion der Umwelt. "Männer werden als Opfer nicht ernst genommen", sagt Polizeisprecher Tönnjes. "Ein Mann, der sich meldet, weil er grün und blau geschlagen wurde, dem glaubt man nicht. Die Gesellschaft kann es sich nicht vorstellen, also gibt es das auch nicht".

Ein weiterer Grund für den zögerlichen Umgang mit weiblicher Gewalt ist die Befürchtung vieler Beratungsstellen und Opferschutz-Initiativen, dass Zahlen und Fakten aus dem Zusammenhang gerissen werden, "um männliche Gewalt zu rechtfertigen und damit die Auswirkungen von Männergewalt auf Frauen zu verharmlosen", ist auf der Webseite der vom Bundesinnenministerium gegründeten Initiative Broken Rainbow zum Thema "Lesbische Täterinnen häuslicher Gewalt" zu lesen.

Verharmlosen will die Initiative aber auch die Gewalt gegen Männer nicht: "Trotzdem ist es notwendig zu akzeptieren, dass Frauen gewalttätig sein können, Verbrechen verüben und auch zu Morden fähig sind."

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