Gucci:Um Gottes willen

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Als erste Modemarke überhaupt stellt Gucci im Kreuzgang der Westminster Abbey eine neue Kollektion vor. Das bietet Stoff für erregte Diskussionen - und ist doch gar nicht so ungewöhnlich.

Von Dennis Braatz, London

Nicht mal fünf Minuten, nachdem Guccis Sicherheitsleute die Abteitüren zur Show-Location geöffnet haben, hat die Modewelt schon ihr neues Lieblingsstück gefunden. Es ist ein smaragdgrünes Sitzkissen, knapp 40 mal 40 Zentimeter, mit Troddeln an jeder Ecke und bestickt mit Schlangen, Hunden, Tigern oder Blumen. Für jeden Gast liegt eins bereit, damit der Aufenthalt auf den kalten Steinbänken so angenehm wie möglich wird. Es gibt nahezu niemanden in dieser Gemeinde, der sein Kissen nicht sofort abfotografiert und über Instagram in die Welt hinausjagt.

Von all dem Drumherum, also den Säulen und staubigen Inschriften aus dem 13. und 14. Jahrhundert, den handgemalten Lageplänen an der Wand und der Schiffsdecke landet dagegen kaum etwas in den sozialen Medien. Eigentlich bedauerlich, sind wir hier doch in Westminster Abbey. Um genau zu sein: in den Cloisters, dem quadratischen Kreuzgang, der direkt neben der Hauptkirche liegt. Unweit der Ruhestätten von Charles Dickens oder Isaac Newton.

Dass ausgerechnet Gucci als erste Modemarke überhaupt im wichtigsten Gotteshaus des Landes seine Cruise-Kollektion (eine Zwischenkollektion, die dann im November in die Läden kommt) zeigen darf: Darüber war der Designer Alessandro Michele dann sogar selbst überrascht. Und natürlich gab es im Vorfeld nicht zu knapp Empörung. Sogar aus der Branche selbst. Vanessa Friedman von der New York Times fragte zum Beispiel über Twitter, ob es nicht doch etwas seltsam sei, Mode an diesem Ort zu zeigen. Die deutlichsten Worte fand der britische TV-Pastor Peter Owen-Jones: "Wir verkaufen unsere Seele für Hosen!" Sollte er jetzt über sein Smartphone mitkriegen, wie all die Modeleute nur mit ihren neuen Kissen posieren: Gott bewahre!

Die meisten Modeleute sehen es eben anders: Erstens, weil Westminster Abbey für sie schon immer auch das Setting großer Mode war. Jeder kennt das Kleid von Queen Elizabeth, das sie 1953 hier zu ihrer Krönung trug, entworfen von Norman Hartnell und genäht von neun Frauen in acht Monaten. Oder Kate Middletons Hochzeitskleid von Alexander McQueen, das ebenso ein textiler Meilenstein war. Zweitens, weil sie finden, dass sich auch Orte wie Kirchen ruhig der modernen Welt öffnen sollten. Und drittens natürlich, weil Gucci die derzeit wohl gefragteste Modemarke der Welt ist. Entsprechend hoch ist natürlich die Erwartungshaltung, als der erste Look ums Gemäuer biegt: gelber Tartanrock mit Spitzenstrumpfhose und Regenbogenpullover, darauf eine Katze. Im Hintergrund läuft das Volkslied "Scarbourough Fair".

Es folgt ein schwarzer Pelz mit Mohnblumen-Print, Union-Jack-Strick, ein männliches Modell in Acid-Jeans und Nietenschmuck. Alessandro Michele hat seinen ohnehin überdekorierten Stil also mit ziemlich allem kombiniert, was die britische Mode so hergibt; und die gibt vom Spießer bis zum Punk eben alles her. Stilistisch ist das meisterhaft umgesetzt, aber es ist auch so viel auf einmal, dass man sich schnell daran sattsehen kann. Im Backstage-Bereich muss es nach der Show diesmal besonders schnell gehen; der Chor tritt gleich auf, wie fast jeden Tag zur selben Zeit, und bis dahin soll hier alles wieder abgebaut sein. Michele steht im Pulk und lässt sich beglückwünschen, wie immer mit perfekt gewelltem Langhaarschnitt, Mittelscheitel und Rauschebart. "Wenn man einen Punk-Bourgeoisie-Look hier in Westminster Abbey zeigt, dann wirkt er nur noch stärker", erklärt er.

Übrigens, Aufregung hin oder her: Die Cloisters lassen sich schon seit mehr als zehn Jahren für Events mieten. Auf der Homepage von Westminster Abbey kann man sogar Beispielfotos anschauen, wie die altehrwürdigen Gänge mit hübsch dekorierten Steh- und Esstischen aussehen. 400 Gäste passen nach eigenen Angaben für Drinks, 160 zum Dinner rein. Die Verantwortlichen bei Gucci erfuhren davon auch erst, als die in London angeheuerte Produktionsfirma, die sich um die komplette Umsetzung der Show kümmern sollte, die Cloisters als Austragungsort vorschlug. Die Abbey, so eine Pressesprecherin des Hauses, habe nur eine Bedingung gestellt, nämlich, dass nicht zu viel Haut gezeigt wird - und darauf habe man sich natürlich eingelassen.

Der Schaden dürfte sich für alle Beteiligten also in Grenzen halten. Bis auf ein paar Moderedakteurinnen vielleicht, denen nach der Show auf der Straße ihr Sitzkissen geklaut wurde. Sehr, sehr unchristlich aus den Händen gerissen!

Man sollte sich halt gut überlegen, was man auf Instagram postet.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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