Süddeutsche Zeitung

Guatemala:Nahezu alles, was unterhalb des Fuego lebte, ist tot

1,7 Millionen Menschen sind von dem verheerenden Vulkanausbruch betroffen. Rettungskräfte berichten von schmelzenden Schuhsohlen und immer wieder wälzen sich neue Lavaströme den Hang hinab.

Von Boris Herrmann

Man muss es wohl so drastisch sagen: Das Dorf San Miguel Los Lotes im Süden Guatemalas existiert nicht mehr. Es liegt begraben unter der Lava und der Asche, die der Volcán de Fuego ("Feuervulkan") ausgespuckt hat. Nahezu alles, was dort lebte, ist tot. Menschen, Tiere, Pflanzen. Ein zentralamerikanisches Pompeji.

Das Ausmaß der Schäden ist auch am dritten Tag nach dem Ausbruch noch nicht abzuschätzen. Neben San Miguel wurden zwei weitere Ortschaften weitgehend zerstört. Am Montagabend sprachen die guatemaltekischen Behörden von etwa 70 Todesopfern. Schon zu diesem Zeitpunkt gingen die Behörden davon aus, dass diese Zahl noch steigt. Am Dienstag hieß es dann, es würden noch immer fast 200 Personen vermisst. "Wir haben eine Zahl der Vermissten - es sind 192", sagte der Leiter des Katastrophenschutzes, Sergio Cabañas. "Wir kennen ihre Namen, ihr Alter und aus welchen Dörfern sie stammen."

Wegen seiner Hänge gilt "Fuego" als einer der gefährlichsten Vulkantypen der Welt

Laut der Regierung Guatemalas sind insgesamt 1,7 Millionen von dem Vulkanausbruch betroffen. Tausende wurden in Notlagern untergebracht. Präsident Jimmy Morales rief den Notstand aus und versprach schnelle, umfassende Hilfsmaßnahmen, aber das ist gar nicht so einfach. Die Asche glüht noch. Rettungskräfte, die nichts mehr retten können, berichten in lokalen Medien von schmelzenden Schuhsohlen. Immer wieder wälzen sich neue Lavaströme den Hang des Kraters herab. Am Dienstag mussten die Helfer die Sucharbeiten deshalb vorübergehend einstellen. Polizisten, Soldaten, Feuerwehrleute, freiwillige Helfer und Journalisten, die nach dem Vulkanausbruch herbeigeeilt waren, mussten teilweise wieder in Sicherheit gebracht werden. Der Feuervulkan liegt gut 40 Kilometer westlich von Guatemala-Stadt, er ist 3700 Meter hoch, wegen seiner steilen Hänge gilt er als einer der gefährlichsten Vulkantypen der Welt.

Auf Bildern aus dem Krisengebiet sind Menschen zu sehen, die wie Zombies umherirren. Zwischen rauchenden Klumpen, die einmal ihre Häuser waren. Augenzeugen berichteten von Leichen, die so dick mit Asche bedeckt waren, dass sie an Statuen erinnerten. Weiträumig brach die Strom- und Wasserversorgung zusammen. Es zeichnet sich wie so oft eine Katastrophe nach der Katastrophe ab. Die Zeitung Prensa Libre hat ihre Redaktionsräume in Guatemala-Stadt zum Sammellager für die notwendigsten Hilfsmittel umfunktioniert. Sie rief die Bevölkerung auf, Trinkwasserkanister, Tütensuppen, Klopapier und Medikamente gegen Verbrennungen zu spenden. Zahlreiche Länder der Region, darunter Mexiko, Kolumbien und die USA, sagten ihre Hilfe bei den Bergungsarbeiten zu. In Guatemala mehren sich derweil die Stimmen, die von einem Versagen des nationalen Katastrophenschutzes sprechen. Als der Alarm ausgelöst wurde, hatte die Aschewolke den Sonntag bereits in eine Sonnnacht verwandelt.

Der Fuego spuckte seit 2002 nahezu täglich Feuer und Asche, im Mai hatte sich eine Schlammlawine den Krater herabgewälzt. Schon Stunden vor der großen Eruption gab es Berichte von einer zunehmenden Aktivität. Die Behörden gaben an, die Sache im Blick zu haben, und rieten zu üblichen Vorsichtsmaßnahmen, etwa dem Abdecken von Nahrungsmittel und Trinkwasser. Ein Sprecher des Katastrophenschutzes räumte später ein: "Als die Lava die Gemeinden erreichte, wurden noch die Evakuierungsanordnungen formuliert."

Es steht nun auch die Frage im Raum, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Feuervulkan in Guatemala und den jüngsten Ausbrüchen der Vulkane Merapi in Indonesien und Kilauea auf Hawaii geben könnte. Guatemala und Indonesien liegen auf dem sogenannten Pazifischen Feuerring, einem Vulkangürtel, der sich von der Südspitze Südamerikas über Kanada, Japan und die Philippinen bis nach Neuseeland zieht. Hawaii liegt zwar nicht auf dem Gürtel, dafür aber mittendrin auf der hyperaktiven Pazifischen Platte. Auch der Reventador in Ecuador, etwa 90 Kilometer von der Hauptstadt Quito entfernt, ist gerade wieder verstärkt aktiv, Ähnliches gilt für den Popocatépetl in Mexiko. Das heißt aber nicht, dass all diese Vulkane miteinander verbunden wären. Experten halten es für unwahrscheinlich, dass es sich hier um eine große Kettenreaktion handelt. Gleichwohl befindet sich die gesamte Region in erhöhter Alarmbereitschaft.

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SZ vom 06.06.2018/olkl
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