Süddeutsche Zeitung

Grünes Gewölbe:Der Deal könnte platzen

Rückgabe der Beute und Geständnisse im Prozess gegen milde Strafen - das war der Deal, den Anklage und Verteidigung im Prozess um den Diebstahl im Grünen Gewölbe schlossen. Doch wegen allzu großer Erinnerungslücken der Angeklagten stellt die Staatsanwaltschaft nun alles infrage.

Von Iris Mayer, Dresden

Das Ritual funktioniert immer gleich. Mal um Mal diktiert der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel den Verteidigern im Prozess um den spektakulären Juwelendiebstahl im Grünen Gewölbe einen Fragenkatalog. Die Verhandlung wird unterbrochen, allen Angeklagten der Berliner Großfamilie R. werden die Handschellen angelegt, und Justizbeamte führen sie heraus aus dem Hochsicherheitsgerichtssaal des Dresdner Oberlandesgerichts. In einem geschützten Raum besprechen sich Verteidiger und Mandant, danach kehren alle zurück. Die Antworten werden verlesen, allein die Erkenntnisse bleiben überschaubar.

Seit Wochen geht das so, die Prozedur wiederholt sich vier-, fünfmal pro Verhandlungstag. Ist der Richter fertig, kommt der Fragenkatalog der Staatsanwaltschaft. Häufig ist das Erinnerungsvermögen der Angeklagten getrübt oder bestätigt nur bereits bekannte Geständnisse. Am häufigsten fällt die Aussage, dass der Mandant keine Angaben machen werde, weil dies "potenziell drittbelastend" sei - soll heißen: die eigentlichen Drahtzieher des spektakulären Diebeszugs durchs Grüne Gewölbe sind in Dresden gar nicht angeklagt. Das wäre möglich, aber wie glaubwürdig wäre es?

Nachdem kurz vor Weihnachten Teile der Beute zurückgegeben wurden, schlossen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht einen Deal. Bei glaubhaften Geständnissen und der Bereitschaft, Fragen der Richter und Staatsanwälte zu beantworten, winken vergleichsweise milde Strafen zwischen viereinhalb bis sechs Jahren und neun Monaten. Dritte müssen nicht belastet werden. Vier Angeklagte nahmen den Deal an, ein fünfter will nur an der Vorbereitung beteiligt gewesen sein, und der sechste hat ein Alibi für die Tatnacht im November 2019 vorgelegt.

Die Verteidiger präsentieren dem Gericht nun Details und persönliche Lebensumstände ihrer Mandanten, die das Bild eines gezielt und skrupellos agierenden Diebeskommandos ersetzen sollen durch eine Erzählung mit leicht schusseligen Nebenfiguren, die ausführten, was zwei Unbekannte ihnen aufgetragen haben sollen. Am Freitag berichteten die Verteidiger von Wissam R. - der bereits für den Goldmünzendiebstahl im Berliner Bode-Museum verurteilt wurde -, dass dieser bei einem Erkundungsbesuch im Grünen Gewölbe einen Wachmann im Pretiosensaal gefragt habe: "Sind alle Steine echt?" Der habe "Ja" geantwortet und ihm mit Blick auf eine Vitrine gesagt: "Das sind die teuersten." Genau diese Vitrine habe man später ausgeräumt. Nach dem Coup im Bode-Museum sei er "größenwahnsinnig geworden", am Diebeszug durch das Grüne Gewölbe habe er sich beteiligt, weil er Geld für seinen Kokain-Konsum brauchte. Der wird anschließend ausführlich in einer weiteren Einlassung geschildert: "Ich habe für die Nacht gelebt, es ging mir nur noch ums Partyleben." Irgendwann sei es normal gewesen, morgens erst mal eine Line Kokain zu ziehen, "ich fühlte mich unsterblich". Zum Teil habe er bis zu zwei Gramm Kokain pro Tag konsumiert, dazu Tabletten, Cannabis zum Runterkommen und Alkohol.

Aus den Antworten der Verteidiger von Rabieh R. erfährt man, dass er nach dem Einbruch in die Wohnung seiner Eltern gefahren sein will, um von da aus zur Schule zu gehen. Auf der Rückfahrt von Dresden nach Berlin habe man zu sechst in einem als Taxi getarnten Mercedes gesessen, "es war extrem eng". Wie die Waffe in eines der beiden Fluchtfahrzeuge kam, will keiner gewusst haben. Die Angeklagten hätten nicht von der Beute profitiert. Bashir R. ließ seine Anwälte erklären, er habe sich zwar einen Anteil erhofft, ihm sei aber nichts Konkretes versprochen worden. Nur dass er zufrieden sein werde. Über den Verbleib der fehlenden Diamanten äußerte sich kein Angeklagter, genauso wenig wie zur Frage, wer über die Rückgabe entschied und wer die beiden Drahtzieher sein sollen, die immer wieder als "X und Y" in den Antworten auftauchten.

Die Staatsanwaltschaft überzeugt all das nicht: "Wir hatten mit Blick auf die Glaubwürdigkeit der Geständnisse bereits Zweifel, der magere Ertrag der Vernehmungen hat das nicht verändert", sagte Oberstaatsanwalt Matthias Allmang am Freitag. Zahlreiche Fragen seien unbeantwortet geblieben und zwar immer dann, "wenn sie objektiv nachprüfbar werden". Die Befragung habe sich als black box entpuppt, man könne die Antworten nicht kritisch hinterfragen, dies widerspreche der Strafprozessordnung. Zudem seien Aussagen "offensichtlich passend gemacht" worden, dies erschüttere die Glaubwürdigkeit in Gänze. Die Anklage beantragte daher die Vernehmung von weiteren Zeugen. Sollten sich daraus ernsthafte Zweifel an den Erklärungen der Angeklagten ergeben, könnte der Deal noch platzen. Ein baldiges Urteil rückt damit wieder in weite Ferne.

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