Grünes Gewölbe:Der harmlose Herr R.

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Das Grüne Gewölbe in Dresden. Das Museum sollte so sicher sein wie der amerikanische Militärstützpunkt Fort Knox. (Foto: imago images/epd)

Der Einbruch ins Grüne Gewölbe wurde offenbar vom selben Täter verübt wie der Diebstahl einer Goldmünze in Berlin - und zwar während einer Prozesspause. Die Geschichte zeigt, wie Berliner Behörden bisweilen mit kriminellen Clans umgehen.

Von Verena Mayer, Berlin

Als Wissam R. zusammen mit seinen Cousins Ahmed und Wayci im Januar 2019 ins Berliner Landgericht schlurfte, war der Andrang groß. Den jungen Männern wurde einer der aufsehenerregendsten Museumseinbrüche der vergangenen Jahrzehnte zur Last gelegt: das Verschwinden einer hundert Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum im März 2017. Drei Diebe hatten ein Fenster aufgestemmt, eine Panzerglasvitrine mit einer Axt zerschlagen und die autoreifengroße Big Maple Leaf durch mehrere Räume nach draußen gerollt - und das alles in 16 Minuten, ohne, dass jemand etwas mitbekam. Der Zuschauerraum war nun bis auf den letzten Platz gefüllt, die drei R.s waren umringt von Fotografen, weshalb sich einer von ihnen eine Zeitschrift vors Gesicht hielt. Sie trug den Titel "Wissen und Staunen".

Inzwischen ist das so etwas wie das inoffizielle Motto des Falles. Denn wie man jetzt weiß, war der Angeklagte Wissam R. nicht nur am Diebstahl der Goldmünze beteiligt, sondern möglicherweise auch am Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden, bei dem im November 2019 Schmuckstücke von unschätzbarem Wert gestohlen wurden.

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Seit Monaten sucht die Soko "Epaulette" die Männer, die in das Grüne Gewölbe eingestiegen sind und Schmuck aus Gold und Diamanten gestohlen haben. Nun hat die Polizei jemanden aufgespürt, der nah an den Täter dran war.

Am Dienstag wurde Wissam R. bei einer groß angelegten Razzia in Berlin-Neukölln zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern aus seiner Familie verhaftet und nach Dresden gebracht. Nach zwei 21-jährigen Zwillingsbrüdern, ebenfalls Verwandte von Wissam R., wird noch gefahndet. Zahlreiche Spuren hätten zu den R.s geführt, heißt es aus der Staatsanwaltschaft Dresden, etwa am Tatort und in einem Fluchtauto. Die drei Männer haben sich zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert.

Sie alle stammen aus der Familie R. Sie wird der sogenannten Clan-Kriminalität zugerechnet und ist in den Schlagzeilen, seit ein Familienmitglied 2014 am Einbruch in eine Sparkasse beteiligt war, bei dem innerhalb kürzester Zeit 300 Schließfächer ausgeräumt wurden. Ob Wissam R. tatsächlich einer der Diebe aus dem Grünen Gewölbe war, wird erst der Prozess zeigen. Seine Geschichte offenbart aber auch so die kriminelle Energie, mit der manche Mitglieder aus Großfamilien agieren, und die Strukturen, auf die sie zurückgreifen können. Und, das vor allem: wie die Berliner Behörden mit kriminellen Clans umgehen.

"Wissen und Staunen": Einer von vier Angeklagten, der im Januar 2019 im Prozess wegen des Diebstahls der Goldmünze aus dem Bode-Museum in Berlin vor Gericht steht. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Nach der Razzia vom Dienstag lobte sich die Berliner Politik für ihr erfolgreiches Durchgreifen, der SPD-Politiker Tom Schreiber sprach sogar von einem "Festakt gegen die Clan-Kriminalität". Im Fall von Wissam R. stellt man jedoch fest, dass möglicherweise das Gegenteil zutrifft. Ein bayerischer Amtsrichter, der einmal mit Wissam R. zu tun hatte, drückte es so aus: Wie die Berliner Justiz Wissam R. behandelt habe, zeuge "von großer Milde".

Der 23-Jährige ist der Berliner Justiz seit Langem bekannt. Seit 2012 steht er regelmäßig vor dem Amtsgericht Tiergarten, neun Einträge, meist Diebstahl und Einbruch, hatten sich gesammelt. Die Cousins, mit denen er sich umgab, waren ebenfalls aktenkundig, Ahmed R. war bereits in früher Jugend mit Gewalt- und Eigentumsdelikten aufgefallen. 2017 geriet Wissam R. ins Visier der Ermittler, als an Kleidungsstücken aus seiner Wohnung Goldpartikel gefunden wurden, die von der gestohlenen Münze stammten. Die Richterin sprach später von "hochprofessionellem Vorgehen" und nannte den Einbruch den "Coup des Lebens".

Dennoch blieben die R.s während des gesamten Prozesses auf freiem Fuß, dreizehn Monate lang. Und Wissam R. hatte in einer dreiwöchigen Unterbrechung im November 2019 so womöglich die Gelegenheit, nach Dresden zu fahren und dort im Grünen Gewölbe zuzuschlagen.

Denn Wissam R. wurde bereits kurze Zeit nach seiner Festnahme Ende 2017 haftverschont. Wegen seines jugendlichen Alters und weil keine Haftgründe, also etwa Fluchtgefahr, bestanden. Er musste sich lediglich dreimal wöchentlich bei einem Polizeiabschnitt melden und ein Praktikum bei einem Kurierdienst machen. Der junge Mann konnte also morgens zu Gericht kommen und nachmittags wieder gehen. Dazwischen hatte er Zeit für einen Kurztrip nach Erlangen, wo er sich im November 2019 in einem weiteren Prozess verantworten musste. Im Herbst 2018 nämlich soll Wissam R. in eine Erlanger Firma eingebrochen sein, die Hydraulik-Spreizer herstellt. Geräte, die etwa die Feuerwehr verwendet, um Unfallopfer aus Autowracks zu befreien. Oder Kriminelle, um etwas aufzuhebeln, möglicherweise Fenster in einem Museum. Eine DNA-Spur R.s fand sich am Tatort, das Amtsgericht Erlangen verurteilte Wissam R. wegen des Einbruchs zu zweieinhalb Jahren Haft.

Es dauere halt etwas, bis jemand zum Haftantritt aufgefordert werde, heißt es

Die musste er, weil die Strafe nicht rechtskräftig war, zwar nicht antreten, aber das Urteil hätte der Berliner Justiz zumindest zu denken geben können. Denn zu den Gründen, weswegen man jemanden in Untersuchungshaft nehmen kann, gehört die Wiederholungsgefahr, also eine erneute Straftat. Wissam R. blieb trotzdem auf freiem Fuß. Die U-Haft diene in erster Linie der Sicherung des Strafverfahrens, sagt eine Sprecherin des Berliner Landgerichts. Und das sei nicht gefährdet gewesen, schließlich habe Wissam R. alle Hauptverhandlungstermine wahrgenommen. R. saß immer mit Wasserflasche neben seinem Anwalt, guckte interessiert in die Runde, weiblichen Prozessbeteiligten hielt er höflich die Tür auf. Sein Verteidiger beschrieb Wissam R. als gehemmt und wenig eigenständig, als jemanden, der langsamer sei als andere.

Die Berliner Justiz schien das auch so zu sehen, jedenfalls konnte Wissam R. seine Freiheit auch noch genießen, nachdem er im Februar 2020 zu viereinhalb Jahren Haft wegen des Goldmünzen-Diebstahls verurteilt worden war. Und als das Urteil dann im September dieses Jahres endlich rechtskräftig wurde - da war Wissam R. noch immer zu Hause. Es dauere eben eine gewisse Zeit, bis jemand zum Haftantritt aufgefordert werde, heißt es aus der Berliner Justiz.

Und noch ein Vorfall hätte die Behörden alarmieren müssen. Auf dem Weg ins Amtsgericht Erlangen geriet Wissam R. in eine Fahrzeugkontrolle. Im Kofferraum seines Autos werden Sturmhauben, Handschuhe, ein Brecheisen und ein Schlagbohrer gefunden, Dinge, wie sie auch bei Einbrüchen verwendet werden. Das war am 27. November in Erlangen. Zwei Tage nach dem Einbruch ins Grüne Gewölbe.

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:Gefährlicher Glanz

Erst das Berliner Bode-Museum, dann der Diebstahl von Dresden. Beide aufsehenerregende Coups ähneln sich sehr. Das könnte den Angehörigen eines Berliner Clans zum Verhängnis werden.

Von Verena Mayer, Berlin, und Ulrike Nimz, Leipzig

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