Süddeutsche Zeitung

Grubenunglück in West Virginia:Skrupelloser Kohlebaron

"Der geht über Leichen": Nach der tödlichen Gasexplosion in der Mine von Upper Big Branch kommen massive Sicherheitsverstöße ans Licht. Die Angehörigen attackieren den Boss des Bergbaukonzerns.

Ch. Wernicke

Feige war er nie. Sein Leben lang hat sich Don Blankenship jedem Kampf gestellt. Und so hält es der bullige Boss des Bergbau-Konzerns Massey Energy auch jetzt, da es um Leben und Tod geht.

Bleich sieht er aus und müde von noch einer Nacht, in der er wieder an der Front war. Also draußen bei den Rettungstrupps. Mindestens 25 Bergarbeiter sind bereits tot, zerfetzt von einer Gasexplosion, die die Mine von Upper Big Branch in West Virginia am Montag erschüttert hatte. Vier weitere Kumpel sind seither drinnen im Berg verschollen.

Blankenship weiß, dass es für sie kaum mehr Hoffnung gibt. Und dass, sobald die Suche nach Überlebenden offiziell beendet ist, es um seinen Kopf gehen wird.

1342 Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften

Unfälle, so hat Don Blankenship dieser Tage einen lokalen Radioreporter belehrt, "gehören nun mal unvermeidlich zum Prozess des Bergbaus dazu". Es sind solche Sätze, die in den engen Tälern West Virginias die Wut aufsteigen lassen. "Der geht doch seit Jahren über Leichen", sagt die Mutter eines toten Bergarbeiters in Montcal, dem kleinen Weiler, wo sie in der kleinen Holzkirche jetzt seit drei Tagen für die vier Verschollenen beten. Eilig bittet die Frau die Reporter, ihren Namen zu verschweigen: "Wir arbeiten hier doch alle bei Massey, andere Jobs gibt's hier nicht."

Don Blankenship ahnt, dass sie hinter seinem Rücken so über ihn reden. Na und? "Die Leute wollen Dampf ablassen und ihren Zorn gegen irgendwen richten", winkt der Manager mit dem Schnauzbart ab.

Nur, dieser 60-jährige Vorstandschef ist nicht irgendwer: Seit 18 Jahren lenkt er die Geschäfte bei Massey, dem unbestritten mächtigsten Bergbaukonzern in den Wäldern der Appalachen. Blankenship Regiment folgte stets einer simplen Formel: "Was gut für die Kohle ist, ist auch gut für West Virginia."

Das hat Folgen. Ganz Amerika hat, da die Nation vor dem Fernseher mitbangt um die vier Kumpel, nun erfahren, wie es so zugeht bei Massey. Seit 2005 stellte die staatliche Bergaufsicht exakt 1342 Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften allein in der Unglücksmine fest, die Bußgelder in Höhe von insgesamt 1,89 Millionen Dollar ficht Blankenship störrisch vor Gericht an.

Immer wieder monierten die Kontrolleure die mangelnde Belüftung der Mine, den exzessiven Kohlestaub und die gefährlich hohe Konzentration von Methan vor Ort am Kohleflöz. Das, so mutmaßen jetzt alle Experten im Rettungszentrum, war wahrscheinlich auch die Ursache des größten US-Minenunglücks seit einem Vierteljahrhundert. "Die Wucht dieser Explosion war absolut verheerend", sagt Mineninspekteur Kevin Stricklin, "da drinnen ist etwas schrecklich schiefgelaufen."

Auch draußen lief manches schief. Das jedenfalls meint Michelle McKinney, deren 62-jähriger Vater Benny Willingham am Montagnachmittag im Bergwerk ums Leben kam. Trotzig steht die blonde Frau mit den verweinten Augen nahe der Absperrung zur Schicksalsmine. In der Hand hält sie einen barocken Holzrahmen mit einem Foto, das ihre Eltern samt Enkelsohn zeigt.

"Diese Typen rufen uns nicht mal an"

30 Jahre lang sei ihr Vater stolzer Bergmann gewesen, 17 Jahre verdingte er sich bei Massey: "Und er hat jeden Sonntag um Gottes Schutz gebetet." In vier Wochen lockte die Rente, das Ticket für die Kreuzfahrt auf die Jungferninseln hatte Willingham schon gebucht.

Als es am Montag in der Mine knallte, erfuhr Michelle McKinney zunächst gar nichts. "Sein Leben lang hat mein Vater seinen Buckel krumm gemacht für Massey", schimpft sie verbittert, "und diese Typen rufen uns nicht mal an."

Massey-Kritiker überrascht all dies kein bisschen. Der Betrieb werde nach Gutsherrenart geführt, und Dan Blankenship sei "ein Kohlebaron, wie es sie eigentlich seit hundert Jahren nicht mehr gibt." Das sagt Cecil Roberts, der Präsident von Amerikas Bergbaugewerkschaft. Roberts hat bereits vor dreißig Jahren seine Schlacht gegen Blankenship verloren. Damals hatte der König der Kohle seinen Angestellten das Zugeständnis abgerungen, allesamt die Gewerkschaft zu verlassen. Als Souvenir aus jenen Tagen heißer Arbeitskämpfe hat Blankenship den kaputten Fernseher behalten - samt der zerborstenen Mattscheibe, die eine Gewehrkugel traf.

Viel Feind, viel Ehr. So hat es Blankenship immer gehalten. An der umstrittenen Methode, auf der Suche nach Kohle ganze Bergkuppen wegzusprengen und das schwarze Gold dann im billigeren Tagebau abzutragen, kann er nichts Verwerfliches finden. Umweltschützer nennt er "Verrückte", Al Gore und seine Lehre vom Klimawandel sei "grünes, dummes Zeug" oder eine Verschwörung der Vereinten Nationen: "Und da sitzen Venezuela und Iran mit drin."

Viele Menschen in West Virginia denken ähnlich. Zwar neiden sie Blankenship das Millionengehalt und die 300.000 Dollar Jahresprämie, die er zuletzt kassierte. Aber irgendwie ist der schwarze Hubschrauber, mit dem der Manager von Mine zu Mine fliegt, auch immer ein Zeichen der Hoffnung: "Solange der Kerl hier herumfliegt, haben unsere Kinder Hoffnung auf einen Job", sagt ein Massey-Angestellter. Anonym, natürlich.

Nun muss sich Blankenship für neue Schlachten rüsten. West Virginias Gouverneur Joe Manchin hat gedroht, er wolle die Unglücksmine schließen lassen. Bisher zählte der Demokrat zu Massey Verbündeten, als selbsterklärter "Freund der Kohle".

Und auch aus Washington ziehen Wolken herauf: Im Kongress mehren sich die Rufe nach einem Gesetz, das der Grubenaufsicht notfalls erlauben würde, eine Todesmine stillzulegen. Der letzte Vorstoß, unternommen nach dem vorletzten Großunglück mit zwölf Toten im Jahr 2006, war gescheitert. Don Blankenship und seine Kollegen hatten den Untergang von Amerikas Minen an die Wand gemalt, weshalb George W. Bush und die Republikaner im Kongress das Gesetz begruben.

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SZ vom 09.04.2010/jobr/dgr
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