Großrazzia im Rockermilieu:GSG 9 stürmt Haus von Hells-Angels-Boss

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1200 Polizisten ermitteln in Norddeutschland gegen die Hells Angels, nehmen fünf Verdächtige fest und stürmen das Haus von deren Chef in Hannover. Sie suchen nach Beweisen für schwerwiegende Delikte, der Boss der Rocker-Gruppe kritisiert die Aktion: Die Beamten sollen vor den Augen seines Sohns einen Welpen erschossen haben.

Jens Schneider, Hamburg

Die Razzia begann am frühen Morgen um fünf Uhr. Die erste Nachricht dazu kam aus Kiel, dort war der Einsatz so massiv, dass er sich schnell herumsprach. Rund tausend Polizisten umstellten das Rotlicht-Viertel der Stadt. Eine Straße sperrte die Polizei vollends ab. Dann begannen die Beamten, Bordelle, Sex-Shops und Lokale zu durchsuchen. Ein Fernseh-Team konnte filmen, wie Beamte in Clubs und Bars eindrangen.

"Der erste Zugriff war sehr massiv": Polizisten stehen vor der Einfahrt des "Hells Angels"-Präsidenten Frank Hanebuth. (Foto: dpa)

Bald aber zeigte sich, dass der Radius für diesen massiven Polizei-Einsatz gegen die Rocker-Gruppe Hells Angels sich fast über ganz Norddeutschland erstrecken sollte. Die Hells Angels - deren Erkennungszeichen ein geflügelter Totenkopf ist - gelten als der weltweit größte Rocker-Club mit den meisten Mitgliedern. Es wurde einer der größten Einsätze gegen die Rocker-Gruppe bundesweit.

Auch im Großraum Hamburg und in der Nähe von Hannover durchsuchten Polizisten von den Morgenstunden an Gebäude. Insgesamt waren mehr als 60 Staatsanwälte und 1200 Polizisten beteiligt, darunter 400 Spezialkräfte. 89 Gebäude wurden durchsucht. Unter anderem fanden die Beamten eine Maschinenpistole, ein Gewehr, sieben Handfeuerwaffen und drei Macheten. Es gab fünf Festnahmen. In Hannover seilten sich Spezialeinsatzkräfte der GSG 9 von einem Hubschrauber auf das Gelände des Anwesens von Frank Hanebuth ab, während weitere Beamte das Holztor zu seinem Haus aufbrachen. So schilderte es Hanebuth wenig später seinem hinzu geeilten Anwalt Götz von Fromberg. Hanebuth ist der weit über Hannover hinaus bekannte Präsident der Hells Angels in der Stadt. Hannovers Hells-Angels-Chef gilt in Ermittlerkreisen als einer der einflussreichsten Mitglieder der Rocker-Bande in Deutschland.

Im Fokus der Ermittlungen vom Donnerstag stehen aber nach Angaben der Polizei die Kieler Hells Angels, die es dem Gesetze nach freilich schon längst nicht mehr geben dürfte. Denn bereits Ende Januar verbot Schleswig-Holsteins Innenminister Klaus Schlie (CDU) den Verein Hells Angels MC Charter Kiel. Damals waren bei einem überraschenden Polizeieinsatz gegen den Rocker-Verein in Kiel zahlreiche Messer und verbotene Waffen sowie 37 000 Euro Bargeld und 16 Bankkonten beschlagnahmt worden. Die Polizei in Schleswig-Holstein folgte damit ihrer kompromisslosen Linie gegen auffällige Rocker-Banden. Schon im April 2010 waren die Gruppen Bandidos Neumünster und die Hells Angels Flensburg verboten worden.

Bei dem Einsatz am Donnerstag ging es nun nach Polizeiangaben um schwerwiegende Delikte - um den Verdacht auf Körperverletzung, Menschenhandel, auch Waffenhandel und Korruption. Fünf führende Mitglieder des verbotenen Kieler Vereins wurden festgenommen. Gegen zwei weitere Mitglieder der Kieler Hells Angels, die bereits vor dem Donnerstag in Haft saßen, wurden nach Polizeiangaben zusätzliche Haftbefehle erlassen. Insgesamt führt die Staatsanwaltschaft in Kiel 194 Ermittlungsverfahren gegen 69 Beschuldigte.

Dabei sind offenbar auch mögliche Helfer der Hells Angels unter Verdacht. So sollen ein Mitarbeiter des Justizvollzugsdienstes, ein Angestellter der Stadt Kiel und ein Polizist gegen Geld Informationen an die Hells Angels in Kiel weitergegeben haben.

Die Ermittler erhofften sich mit dem Einsatz vor allem, Beweismittel gegen die Mitglieder des Rocker-Clubs zu finden, erklärte ein Polizeisprecher. Den ganzen Tag über durchsuchten die Beamten an vielen Einsatzorten Wohnungen und Gaststätten. Bald darauf konnte man auf Fernsehbildern sehen, wie die Beamten umfangreiche Unterlagen in unzähligen Kartons aus den Gebäuden der Landeshauptstadt abtransportierten.

Und als der Einsatz am Nachmittag fast überall schon beendet war, stand schließlich eine Lagerhalle in der Nähe von Kiel im Zentrum der Durchsuchungen. Die Halle in einem Gewerbegebiet in Altenholz im Landkreis Rendsburg-Eckernförde wurde leergeräumt. Danach suchte die Polizei die Halle mit Spürhunden ab. Sie soll in den letzten Jahren ein Treffpunkt der Rocker-Gruppe gewesen sein. Es hieß am Nachmittag, dass im Umfeld der Halle nach einem seit zwei Jahren gesuchten Türken aus Kiel gesucht wurde. Der Familienvater war damals spurlos verschwunden. Die Polizei geht davon aus, dass er einem Verbrechen zum Opfer fiel.

In Hannover beklagte nach der Razzia im Privathaus des Hells-Angels-Präsidenten dessen Anwalt das harte Vorgehen der Polizei. Die Beamten seien mit Gewalt in das Haus von Hanebuth eingedrungen und hätten dabei vor den Augen seines kleinen Sohns einen Welpen erschossen. Hanebuth sei aber in der Angelegenheit nur eine Randfigur, da sich die Ermittlungen gegen die Kieler Gruppe richteten. Sein Mandant habe mit dem Geschehen in Kiel nichts zu tun, er kenne die Leute gar nicht, sagte Fromberg dem Norddeutschen Rundfunk. Hanebuth habe zudem nichts zu verbergen. "Der erste Zugriff war sehr massiv und unverhältnismäßig". Auch dort trugen Beamte später in Kartons Unterlagen und zudem Koffer und Rucksäcke vom Grundstück.

© SZ vom 25.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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