Großbritannien:Viel Lust auf Sex im britischen Parlament

Das britische Oberhaus

Das Oberhaus soll das Gesetz bis Freitag verabschieden.

(Foto: Dan Kitwood/Getty Images)
  • In den vergangenen Jahren wurden im britischen Parlament jährlich mehrere hunderttausend Mal Pornoseiten aufgerufen.
  • Die Zahlen sinken zwar, doch die Empörung ist dieses Jahr, auch aufgrund der #Metoo-Debatte, besonders groß.
  • Die Parlamentsverwaltung erwidert, bei den Zugriffen handle es sich nur um Versuche, da Pornoseiten in Westminster offiziell geblockt sind.

Von Cathrin Kahlweit, London

Eine Nachricht wird in der Regel erst dann zu einer Sensation, wenn die Zeit reif und das Umfeld sensibilisiert ist. Ein Beispiel: 2013 wurden im britischen Parlament, man kann es kaum fassen, 309 000 Mal Pornoseiten aufgerufen, durchschnittlich wurden bis zu 850 Zugriffe täglich registriert. Laut Gesetz müssen diese Daten herausgegeben werden, und die Medien fragen diese irritierend hohen Zahlen jedes Jahr von Neuem ab.

Die Medien meldeten das, 2012, 2013, 2014 und so weiter, es gab viel Kopfschütteln und einige Versprechen, das zu kontrollieren, zu ändern. 2014 waren es trotzdem immer noch insgesamt 250 000 Aufrufe pro anno, 2016 noch 113 00. Die Zugriffe sinken also, dennoch waren und sind die Briten - zu Recht - immer von Neuem empört darüber, dass Parlamentarier in Unter- und Oberhaus, ihre Mitarbeiter und das Hauspersonal offenbar extrem viel Lust auf Sex im Netz haben - und das am Arbeitsplatz.

Aus Versehen Porno

Jedes Jahr wieder weist dann die Parlamentsverwaltung beschönigend darauf hin, dass diese Klicks nicht aussagekräftig seien: Viele geschähen nur aus Versehen, manche seien nur Pop-ups, wenn de facto eine völlig andere Seite gesucht werde, und die allermeisten auch nicht erfolgreich. Denn offiziell sind Pornoseiten in Westminster geblockt.

Gleichzeitig wird, von höchster Stelle, auch weiterhin versichert, man werde gegen diese Unsitte vorgehen. Pornografie im Netz sei schädlich für Kinderaugen und ein Motor für die widerliche und verbrecherische Kinderporno-Industrie. Der Porno-Hype in Westminister ist ein Thema.

In diesem Jahr ist alles wie immer, und doch ist alles anders. Die Zahlen wurden abgefragt, und die Antwort lautete: In Westminister gab es seit der Wahl, also quasi im zweiten Halbjahr 2017, 24 000 Versuche, von den insgesamt 8500 Dienstcomputern in der weitverzweigten Anlage am Themseufer, auf Sex-Seiten zu gelangen. Das sind immer noch 160 pro Tag. Die Verwaltung sagt, die meisten Klicks seien ein Versehen, und die Seiten ohnehin geblockt. Man registriere also Versuche, aber keine Besuche auf derartigen Webseiten.

Doch die Erregung, um im Bild zu bleiben, ist in diesem Jahr besonders groß. Denn die Veröffentlichung fällt in eine Zeit, in der sich Parlament und Regierung in mehrfacher Hinsicht mit Sex am Arbeitsplatz herumschlagen müssen. Zum einen zwang Premierministerin Theresa May ihren "First Secretary" und Vizepremier Damian Green vor wenigen Wochen zum Rücktritt. Auf seinem Dienstcomputer waren vor Jahren Tausende Pornos gefunden worden, Green dementierte bis zuletzt, diese selbst heruntergeladen und angeschaut zu haben. Weil er aber in anderen, minderen Punkten log, musste er trotz seines Dementis gehen.

Sexismus-Vorwürfe in Westminster

Schwerer noch wiegt wohl die Debatte über sexuelle Belästigung im politischen London, die im vergangenen Herbst, parallel zur "Me Too"-Debatte, hochkochte. Mehr als ein Dutzend Parlamentarier sahen sich Vorwürfen ausgesetzt - von anzüglichen Briefen über die Hand auf dem Knie bis zu Vergewaltigung. Einige traten zurück, gegen andere wird immer noch von einer internen Kommission ermittelt. Die Parteien haben neue Compliance-Regeln aufgestellt, und die Regierung will einen unabhängige Stelle installieren, an die sich Opfer wenden können.

So oder so gibt es keinen Zweifel daran, dass das Klima in Parlament und Regierungsviertel sexuell aufgeheizt war und Frauen mit ihren Klagen nicht auf Hilfe oder gar Strafverfolgung der Täter rechnen konnten. Das hat auch Theresa May zur Kenntnis genommen und eine "Kultur des Respekts" eingefordert. Dazu dürfte auch gehören, die Nutzung pornografischer Seiten zu ächten - im Dienst oder privat. Diese Debatte hat erst begonnen.

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