Großbritannien und EU:Keinen Zoll zurückgewichen

Die EU gibt nach: Die Briten dürfen ihre Maße Pint, Inch und Yard behalten. Das vorläufige Ende eines langen Kampfes, der Merksprüchlein für das metrische System hervorbrachte und sogar Märtyrer forderte.

Wolfgang Koydl

Wenn ein britischer Autofahrer zur Tankstelle fährt, füllt er seinen Tank mit 50 Litern Benzin und greift sich vielleicht eine Liter-Flasche Cola und ein Pint Milch aus dem Regal, bevor er mit 35 Meilen in der Stunde die paar hundert Yards die Straße entlang ins Pub fährt.

Guinness, Reuters

Ein Pint im Pub - britisches Nationalgut.

(Foto: Foto: Reuters)

Dort lässt er sich ein Pint Bier der Sorte Bitter zapfen und sieht im Fernsehen die 4x100-Meter Staffel. Das Wetter ist mit 27 Grad Celsius angenehm, nur leider konnte John nicht kommen. Er hat Fieber - 101, 3 Grad Fahrenheit.

Was für strikt logisch denkende Kontinentaleuropäer ein Kuddelmuddel an Maßen wäre, ist im Vereinigten Königreich Alltag. Mehr als 40 Jahre seit eine britische Regierung erstmals eine Umstellung aufs metrische System erwog, 35 Jahre seit sich das Land mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft förmlich zum Abschied vom alten Maßsystem verpflichtete, herrscht weiter ein maßloses Durcheinander von Meter und Zoll, Unze und Gramm, Pint und Liter.

Dass es auch in Zukunft so bleiben soll, hat soeben niemand Geringerer als EU-Kommissar Günter Verheugen beschlossen. Er ist in Brüssel zuständig für Unternehmen und Industrie. Verheugen gestattete den Briten ,,unbefristet'', parallel neben den metrischen weiterhin die sogenannten imperialen Maßeinheiten zu verwenden. Nach den bisherigen Regeln wäre diese Praxis vom 1. Januar 2010 an illegal geworden.

Bei den Freunden der alten Maße löste die Nachricht aus Brüssel helle Begeisterung aus. Es ist wahrscheinlich das erste Mal, dass die Eurozentrale eurokritischen Briten eine Freude bereitet hat. Speerspitze der Bewegung waren die Metric Martyrs, ein Zusammenschluss von Fisch-, Obst- und Gemüsehändlern.

Ihr Name ist eine Hommage an den ersten ,,metrischen Märtyrer''. Steve Thoburn war vor sechs Jahren von einem Gericht in Sunderland verurteilt worden, weil er seine Bananen, Äpfel und Birnen nur pfundweise verkaufte. Vor drei Jahren erlag er einem Herzinfarkt, nachdem er erfahren hatte, dass seine Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert war.

Doch die Metric Martyrs waren keinen Zoll zurückgewichen, hatten ellenlange Proteste verfasst und ordentlich mit dem Pfund der öffentlichen Meinung gewuchert. Immerhin ziehen 80 Prozent der Briten die imperialen den metrischen Maßen vor. Für Neil Herron, den Vorsitzenden der Meter-Märtyrer, war die Entscheidung Verheugens ein ,,monumentaler Sieg''. Der Name Steve Thoburn, fügte er in einer kühnen Metapher hinzu, werde ,,in die Geschichtsbücher eingemeißelt'' werden.

Betrübt dürfte das Fähnlein britischer Meterfreunde sein. Roz Denny, die Sprecherin der UK Metric Association, verstieg sich zu einem waghalsigen Vergleich. Sie stellte die Treue zum alten System auf eine Stufe mit einer Verherrlichung der Sklaverei.

Geduldig versucht ihre Organisation indes, den Briten die fremden Maße nahezubringen. Für Celsius-Grade beispielsweise findet man auf der Website der Metriker einen einprägsamen Merksatz: ,,30 is hot, 20 is nice, 10 is cold, zero is ice'' - 30 ist heiß, 20 ist nett, 10 ist kalt, null ist Eis.

Es ist nicht bekannt, ob Roz Denny die Abenteuer von Harry Potter gelesen und ob sie sich dabei geärgert hat. J.K. Rowling, die Schöpferin des Zauberlehrlings, ist überzeugte Anhängerin des imperialen Systems. Meter, Celsius oder Kilo sucht man bei ihr vergeblich. Wäre ja noch schöner, wenn man einen Zaubertrank milliliterweise mischen müsste.

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