Mord an Sarah E.:Ein Fall für Cressida Dick

Lesezeit: 2 min

Unter Druck: Cressida Dick, Chefin der Londoner Metropolitan Police. (Foto: Leon Neal/Getty Images)

Der Mord an der 33-jährigen Sarah E. erschüttert Großbritannien. Täter soll ein Polizist sein. Nun wächst die Wut wegen eines Polizeieinsatzes bei einer Mahnwache - und die Chefin von Scotland Yard muss um ihren Job kämpfen.

Von Alexander Mühlauer, London

Es war schon dunkel, als Cressida Dick am Samstagabend versuchte, ihre Trauer in Worte zu fassen. Das, was Sarah E. passiert ist, sei die schrecklichste Tragödie, sagte die Chefin von Scotland Yard. Sichtlich aufgewühlt von dem grausamen Mord an der 33-Jährigen bat Dick um Verständnis, dass es gegen das Gesetz verstoßen würde, sich zu einer Mahnwache zu treffen, schließlich seien Versammlungen wegen der Pandemie verboten. Dick appellierte deshalb an die Bürgerinnen und Bürger, ihre Anteilnahme auf andere Art und Weise auszudrücken. Doch bereits in den frühen Abendstunden war klar, dass die Chefin der Londoner Metropolitan Police mit ihrer Videobotschaft bei vielen kein Gehör fand.

Den ganzen Tag über kamen schon Menschen nach Clapham Common, einem Park im Süden Londons. Sie legten ganz coronakonform Blumen nieder, zündeten Kerzen an und gingen wieder. Auch Herzogin Kate war vor Ort. Am Abend hatten sich dann Hunderte Menschen eingefunden, um Sarah E. zu gedenken. Dort, in der Nähe von Clapham Common, war sie am 3. März zuletzt lebend gesehen worden. Nach allem, was die Ermittler bislang wissen, wurde Sarah E. auf ihrem Nachhauseweg entführt und später ermordet. Ihre Leiche wurde vergangene Woche in einem Wald in Kent gefunden. Der mutmaßliche Täter ist ein 48 Jahre alter Polizist. Er sitzt in U-Haft.

Großbritannien
:Hunderte gedenken getöteter Frau in London

Obwohl die Veranstaltung abgesagt worden war, versammeln sich viele Menschen, um ihr Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. Auch Herzogin Kate legt Blumen nieder.

Die Tatsache, dass einer der ihren dieses Verbrechen begangen haben soll, hat die Metropolitan Police ins Mark getroffen. Polizeichefin Dick sprach in der vergangenen Woche von "Schockwellen und Wut", die dies im Kollegenkreis ausgelöst habe. Sie kündigte eine umfassende Untersuchung an, zumal der Beschuldigte laut Medienberichten bereits einmal polizeilich überwacht worden war, nachdem er sich in einem Londoner Restaurant entblößt haben soll. Kein Wunder also, dass Dick nun in Erklärungsnot geraten ist. Die Scotland-Yard-Chefin muss schnellstmöglich für Aufklärung sorgen. Und zwar nicht nur für das, was ihrem Kollegen vorgeworfen wird, sondern auch für das, was am Samstagabend bei der Mahnwache in Clapham passiert ist.

Der Mordfall hat eine Debatte über Gewalt gegen Frauen ausgelöst

Im Internet sind Videos zu sehen, wie Polizisten dort mehrere Frauen gewaltsam wegzerrten. Eine wurde auf den Boden gedrückt. Londons Bürgermeister Sadiq Khan bezeichnete die Reaktion der Beamten als "inakzeptabel". Der Einsatz sei "weder angemessen noch verhältnismäßig" gewesen, erklärte der Labour-Politiker. Auch die konservative Innenministerin Priti Patel kritisierte die Polizei. Einige der Aufnahmen seien "verstörend". Sie habe die Metropolitan Police um einen vollständigen Bericht gebeten, schrieb Patel auf Twitter. Der Fraktionsvorsitzende der Liberaldemokraten im britischen Unterhaus, Ed Davey, forderte Cressida Dick zum Rücktritt auf.

Die parteiübergreifende Kritik trifft damit eine Polizeichefin, die eigentlich für ihre ruhige und empathische Art bekannt ist. Dick begann ihre Karriere als Streifenbeamtin in London. Damals sei sie oft mit Sexismus bei der Polizei konfrontiert worden, erzählte sie später einmal in einem BBC-Interview. Die heute 60-Jährige studierte Land- und Forstwirtschaft an der Universität Oxford, wo ihre Eltern als Professoren tätig waren. Später absolvierte sie noch einen Masterkurs in Kriminologie. Bevor sie 2017 als erste Frau in der Geschichte von Scotland Yard zur Leiterin der Behörde ernannt wurde, arbeitete sie in der Abteilung Terrorabwehr und im Außenministerium.

Nun steht Cressida Dick im Zentrum eines Kriminalfalls, der Großbritannien erschüttert. Der Mord an Sarah E. hat eine Debatte über Gewalt gegen Frauen und Mädchen ausgelöst. In sozialen Netzwerken schildern Tausende ihre Ängste und Erfahrungen, wenn sie abends alleine unterwegs sind. Dick zeigt dafür seit Tagen Verständnis. Doch spätestens seit dem Polizeieinsatz bei der Mahnwache gibt es Zweifel, ob sie die Richtige an der Spitze von Scotland Yard ist.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Debatte in Großbritannien
:"Jede Frau, die du kennst, hatte schon einmal Angst"

In London verschwindet die 33-jährige Sarah E., verdächtigt wird ein Polizist, der schon früher aufgefallen sein soll. Nun debattiert Großbritannien über die Sicherheit von Frauen.

Von Alexander Menden

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: