Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Zum Beten in die Garage

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Für Muslime ist Athen die einzige Hauptstadt Europas ohne ordentliches Gotteshaus. 2017 sollte die erste Moschee eröffnet werden - doch der Bau verzögert sich auf unbestimmte Zeit.

Von Luisa Seeling, Athen

Kurz sah es so aus, als habe das Warten ein Ende. Als stehe der Bau vor der Vollendung, als werde die Moschee, um die sie in Griechenland schon so lange streiten, 2017 endlich eröffnet. "Athens erste offizielle Moschee bis April fertig ", titelten Zeitungen. Später wurde Mai daraus, Juli, "irgendwann im Sommer", dann wurde gar kein Termin mehr genannt. Athens Muslime, so viel ist sicher, müssen sich weiter gedulden.

Noch immer leben sie in der letzten Hauptstadt Europas ohne ordentliches Gotteshaus. Seit fast 200 Jahren, seit sich die Griechen nach 400 Jahren von der Osmanen-Herrschaft befreiten, wurde in Athen keine Moschee mehr gebaut. Alle Versuche, daran etwas zu ändern, scheiterten. Zu groß waren die historischen Empfindlichkeiten. Das Misstrauen gegen die Türken - und damit pauschal gegen alle Muslime - saß tief. Den erbittertsten Widerstand leistete die orthodoxe Kirche. Die Wende kam erst 2006 - auch, weil die EU und ausländische Regierungen den Druck erhöhten. Im Parlament raufte man sich zusammen. Athens Muslime sollten endlich ihre Moschee bekommen.

200 000 bis 300 000 Muslime leben mittlerweile in der Metropole und in der Region Attika. In ganz Griechenland sind es nach Schätzungen eine halbe Million. Zehntausende Flüchtlinge sind darunter, aber auch Zuwanderer, die in zweiter, dritter Generation im Land leben. Sie haben einen griechischen Pass, zahlen Steuern, sind integriert. "Und trotzdem haben sie keinen Respekt vor uns", schnaubt Anna Stamou, eine zum Islam konvertierte Griechin, mit "sie" meint sie die Politiker, denen sie vorwirft, den Bau zu verschleppen. Ihr Mann, Naim Elgadour, sagt: "Ich habe mein Vertrauen verloren."

Elgadour ist Vorsitzender der Muslimischen Vereinigung, einem der vielen Verbände, in denen sich Griechenlands Muslime organisiert haben. Er war 19, als er 1974 aus dem ägyptischen Port Saïd nach Athen kam. Heute ist er griechischer Staatsbürger. Er und seine Frau bewohnen im Vorort Illioupoli ein Häuschen, sie haben zwei Kinder, einen Garten mit Zitronenbaum. Dahinter, in einer Art Garage, liegt ihr privater Gebetsraum. Dabei würden sie zumindest Feiertage gerne "in einer richtigen Moschee begehen, nicht in einem Keller", sagt Anna Stamou. Ein staatliches Gebetshaus, das wäre ein wichtiges Zeichen, "vor allem für junge Muslime, die sich zurückgewiesen fühlen wegen ihres Glaubens". Seit Jahren kämpfen Stamou und ihr Mann für den Bau, seit Jahren werden sie vertröstet. "Schuld ist der Populismus", schimpft Stamou. Die rechtsextreme Partei Goldene Morgenröte und andere Neonazi-Gruppen schürten Ängste vor einer angeblichen Islamisierung. Und die übrigen Politiker machten das Spiel mit, fischten im Wahlkampf am rechten Rand. "Das Problem ist, dass die muslimische Lobby schwach ist", sagt Stamou. "Einmal hat mich ein Abgeordneter ganz direkt gefragt: Wie viele Wähler seid ihr denn? Und es stimmt ja, wir fallen nicht genug ins Gewicht." Muslimische Wähler verteilen sich auf verschiedene Parteien, viele gehen gar nicht wählen.

Yorgos Kalatzis, Generalsekretär im Ministerium für Bildung und Religion und seit Jahren mit dem Moscheebau befasst, hält wenig von der Populismus-These: Der parteiübergreifende Konsens sei doch längst da. Tatsächlich stimmten vergangenen August fast alle Parteien für den Baubeginn. Das Problem sei ein anderes, sagt Kalatzis. Er zählt auf: "2006 - das Gesetz über den Moscheebau. 2007 - Wahlen. 2009 - Wahlen. 2012 - zwei Parlamentswahlen. 2015 - zwei Parlamentswahlen, außerdem das Grexit-Referendum." Kaum hatte sich ein Minister eingearbeitet, habe er seinen Tisch wieder räumen müssen.

Neben dem Schreibtisch des Generalsekretärs hängt ein Zettel, als Mahnung und Ansporn: "Um das Akropolis-Museum zu bauen, mussten wir 105 Prozesse gewinnen. Beim letzten gab eine einzige Stimme den Ausschlag." Auch gegen die Moschee gab es zahlreiche Einsprüche - von nationalistischen Gruppen, besorgten Anwohnern, Umweltschützern. Der Bau soll auf einem stillgelegten Marinegelände in Votanikos entstehen, westlich des Zentrums; hier verlief die Heilige Straße nach Eleusis, überall im Boden könnten antike Schätze liegen. Der Archäologische Rat hatte deshalb ein Wörtchen mitzureden.

Immerhin, nur fünf Klagen vor dem Obersten Verwaltungsgericht. Alle wurden abgewiesen. Doch so ein Prozess dauere eben: "Wir müssen das Recht der Bürger, vor Gericht zu ziehen, respektieren", sagt Kalatzis. Aber er betont auch: Die Muslime haben ein Recht auf Religionsausübung - so steht es in der Verfassung des Landes, in dem mehr als 85 Prozent der Bevölkerung offiziell orthodoxe Christen sind. Das passe den Ultra-Nationalisten und Faschisten nicht, doch die seien nur noch "eine Minderheit, wenn auch eine sehr laute".

Es ist nicht so, als gäbe es in Griechenland keine Moscheen. Die türkische Minderheit in Westthrakien hat eigene Gebetshäuser. Auch in Athen stehen historische Bauten aus der Zeit der Osmanen-Herrschaft, doch sie verfallen - oder wurden umfunktioniert, wie die Tzistarakis-Moschee am Monastiraki-Platz: Dort ist das Museum für Volkskunst untergebracht.

Und es gibt die Moscheen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Syed Mohammad Jamil, Vorsitzender eines pakistanischen Kulturvereins, schätzt, dass in Athen weit über 100 Untergrund-Moscheen existieren, davon allein 55 pakistanische. Nach der türkischen Minderheit in Thrakien und Arabern sind Pakistaner die drittgrößte muslimische Gruppe. 90 000 von ihnen lebten vor der Wirtschaftskrise in Griechenland, sagt Jamil; "inzwischen sind es nur noch 45 000, "viele sind zurückgekehrt in ihre Heimat oder weitergezogen". In den Neunzigern kamen Albaner, zuletzt vor allem Syrer, Iraker und Afghanen. Sie beten in Kellern, Garagen, Wohnungen, "was immer sie finden können", sagt Jamil. Genehmigt sind diese Behelfsmoscheen nicht. Die Behörden dulden sie.

Von seinem Büro am Omonia-Platz führt Jamil in eine kleine Seitenstraße. Ein Handy-Shop, ein heruntergekommenes Reisebüro". Dazwischen eine steile Treppe. Im Keller: blaue Auslegeware, Neonröhren. Ein Ventilator durchpflügt verbrauchte Luft. Auf dem Teppich beten ein Dutzend Männer. Abends drängen sich schon mal mehr als 100 Menschen auf engstem Raum. Jamil weiß, dass die neue Moschee den Bedarf in Athen nicht annähernd decken wird. "Aber wir brauchen sie, nicht nur als Symbol - sie könnte auch den Weg ebnen für die Genehmigung weiterer Gebetshäuser".

Jamil versucht, optimistisch zu bleiben: "2017 wird das Jahr der ersten Moschee Athens!", ruft er zum Abschied. Generalsekretär Yorgos Kalatzis sagt: Ja, die Moschee kommt. Nur wann - da will er sich nicht festlegen. Derzeit werde der Rohbau fertiggestellt. Dann gebe es Ausschreibungen für das Interieur. Und für das Exterieur natürlich auch - Grünflächen, Zufahrtswege. Aber zuerst müsse man eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Jamil wird seinen Optimismus wohl ins nächste Jahr hinüberretten müssen. Oder ins übernächste.

In Votanikos haben Gegner Holzkreuze an den Bauzaun genagelt, als gelte es, böse Geister zu vertreiben. "Orthodoxie - keine Moschee" steht darunter. Nato-Stacheldraht soll Eindringlinge abhalten. Im November hatte eine nationalistische Bürgerwehr das Gelände besetzt, das soll sich nicht wiederholen.

Es gibt das hippe, sanierte Votanikos, wo sich Cafés und Bars angesiedelt haben. Das Marinegelände liegt in einem anderen Teil, einem alten Industriegebiet. Die Heilige Straße ist heute eine Hauptverkehrsader. Lastwagen rauschen vorbei. Ein staubiger, trostloser Ort. Aber immerhin: Es wird gebaut. Das Budget ist in den Krisenjahren von 15 Millionen auf eine Million zusammengeschrumpft. Etwa 350 Menschen werden in der Moschee Platz finden. Ein Minarett bekommt sie nicht.

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Quelle:
SZ vom 20.07.2017
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