Wenn man am Grenfell Tower in North Kensington vorbeifährt, sieht man schon von Weitem das große, grüne Herz, das auf einem Plakat ganz oben am verlassenen Turm hängt. „Forever in our hearts“, steht daneben, für immer in unseren Herzen. Am Mittwoch, genau sieben Jahre, zwei Monate und 21 Tage nachdem 72 Menschen hier bei einem Großbrand gestorben sind, veröffentlichte die Untersuchungskommission in London ihren Bericht. Er ist 1700 Seiten lang und erwartungsgemäß vernichtend.
Das Grenfell-Desaster sei die Folge von „Jahrzehnten des Versagens“, hinzu sei „systematische Unehrlichkeit“ der involvierten Firmen gekommen. Die Katastrophe, vor allem die Todesfälle, seien „vermeidbar“ gewesen. Sir Martin Moor-Bick, ein 77-jähriger ehemaliger Richter, der als Vorsitzender der Kommission eingesetzt worden war, trug die wichtigsten Ergebnisse der sieben Jahre langen, aufwendigen Ermittlungen und Befragungen in angemessen sachlichem Ton vor. Am Ende verlas er die Namen aller 72 Opfer. Das älteste war 84 Jahre alt, aber auch Kinder und Jugendliche waren darunter, der zweijährige Jeremiah Deen etwa, die dreijährige Amaya Tuccu-Ahmedin oder der zwölfjährige Biruk Haftom.
Die britischen Medien erzählten in den vergangenen Tagen noch einmal die vielen tragischen Geschichten, die sich damals im Grenfell Tower abspielten, am 14. Juni 2017, als an einem Kühlschrank im vierten Stock ein Feuer ausbrach. Der Brand breitete sich schnell aus, weil der Turm mit brennbarem Material ausgelegt war, einige starben beim Sturz aus dem Fenster, die meisten aber, weil sie auf der Flucht vor den Flammen nach oben rannten und von dort nicht mehr entkommen konnten. Das Feuer brach um 0.54 Uhr nachts aus, innerhalb von 14 Minuten breitete es sich über 19 der 24 Stockwerke aus. Es brannte 60 Stunden lang und zerstörte den Turm weitgehend. 228 Menschen überlebten. Es war der folgenschwerste Brand im Vereinigten Königreich seit dem Zweiten Weltkrieg.
Warnungen wurden ignoriert
Das Unterhaus debattierte am Mittwochnachmittag, wie mit dem Bericht nun umzugehen sei, um sicherzustellen, dass Derartiges nicht mehr passieren kann. Premierminister Keir Starmer war vor zwei Wochen selbst am Turm. Das Gebäude soll nun, nach Abschluss der Untersuchung, in ein Mahnmal umgewandelt werden. Die Opfervertreter schlugen unter anderem eine grüne, bepflanzte Wand vor, um an die Toten zu erinnern.
Die für London zuständige Metropolitan Police kündigte an, den Bericht „Zeile für Zeile“ durchgehen zu wollen, ehe entschieden werde, ob und welche rechtlichen Schritte gegen die Schuldigen eingeleitet werden. Bis zu 18 Monate will die Polizei sich dafür Zeit lassen. Insbesondere die für die Verkleidung und die Isolierung des Turmes verantwortlichen Firmen werden in dem Bericht scharf kritisiert. Sie hätten „in voller Absicht die Überprüfung des verwandten Materials manipuliert, falsche Daten geliefert und damit den Markt getäuscht“.
Die zuständige Lokalregierung in Kensington sowie die Regierungen in Westminster – insbesondere die Koalitionsregierung zwischen Tories und Liberaldemokraten unter David Cameron – hätten außerdem Warnungen ignoriert und „nichts unternommen“. Schon in den 1990er-Jahren habe es Hinweise gegeben, dass das Verkleidungsmaterial gefährlich sei und verboten werden müsse. Später sei versäumt worden, entsprechende Schutzvorkehrungen einzubauen. Viele Brandschutztüren etwa seien defekt oder gar nicht vorhanden gewesen, was zur schnellen Ausbreitung des Feuers beigetragen habe.
„Diese Tragödie hätte niemals passieren dürfen“, sagte Premierminister Starmer am Mittwoch in einer Stellungnahme im Unterhaus. Bei den Hinterbliebenen der Opfer entschuldigte Starmer sich im Namen der Regierung, „I am deeply sorry“, sagte er.