Grenfell-Desaster:Ein Hochhaus wird zum Symbol der Ignoranz

Second anniversary of the Grenfell Tower fire in London

Viel Trauer, viele Fragen: Zwei Jahre nach dem verheerenden Brand im Grenfell-Tower, bei dem 72 Menschen starben, protestieren Betroffene gegen die Untätigkeit der Politik.

(Foto: REUTERS)

72 Menschen sind bei der Feuerkatastrophe im Grenfell-Tower gestorben. Auch zwei Jahre danach sind die Fragen der Hinterbliebenen unbeantwortet. Und noch immer sind in Großbritannien 200 Gebäude, die über brennbare Fassaden verfügen; nicht renoviert.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der Grenfell-Tower ragt nach wie vor wie ein Mahnmal aus dem Dächermeer des reichen Londoner Stadtteils Kensington in den Himmel empor - mittlerweile eingerüstet und verhängt und nicht mehr, wie in den ersten Monaten nach der Brandkatastrophe vom 14. Juni 2017, wie eine schwarze, abgebrannte Fackel. Aber ein Mahnmal eben doch, unübersehbar, unverrückbar.

72 Menschen waren im Juni vor zwei Jahren bei einem der schlimmsten Großfeuer der vergangenen hundert Jahre in Großbritannien zu Tode gekommen, Hunderte waren wohnungslos geworden, etwa 20 Familien sind es immer noch. Und doch hieß es damals von den Behörden, von der Regierung: Wir haben daraus gelernt. Das darf nie mehr passieren.

Ein banaler Anlass, ein Schwelbrand in einem Kühlschrank, hatte gereicht, um in wenigen Minuten erst das Stockwerk und dann in Windeseile das ganze Hochhaus in Brand zu setzen, das mit einer leicht entflammbaren Fassade ausgestattet war und mit Fensterschächten, die wie Feuerschleusen wirkten. Die Feuerwehr rettete viele, aber viel zu wenige, Einsatzpläne für die Anlage lagen nicht vor, die Kommunikation zwischen den Einheiten funktionierte nicht, die Einsatzleitung agierte kopflos, und von den Notrufzentralen wurden die verzweifelten und vom Feuer eingeschlossenen Bewohner informiert, sie sollten bleiben, wo sie sind. Wer sich daran hielt, hatten keine Chance.

Auch daraus wolle man lernen, bestätigten die Behörden, man wolle Katastrophen dieser Art verhindern und, wenn sie sich doch ereignen, besser vorbereitet sein. Aber warum nur, fragen die Angehörigen der Opfer und die ehemaligen Bewohner des Grenfell Towers, wurden wir damals nicht gehört? Vorwürfe einer Zweiklassengesellschaft waren nach der Katastrophe laut geworden und Empörung darüber, dass im reichen London gerade dort, wo die Ärmeren, die Einwanderer, die sozial Benachteiligten lebten, auf das Fahrlässigste gespart worden sei. Die Bürgerinitiative "Justice 4 Grenfell" kämpft deshalb mit regelmäßigen Schweigemärschen und mit der juristische Unterstützung der Überlebenden dafür, dass die Katastrophe nicht in Vergessenheit gerät.

Bewohner warten vergeblich

Nun, zum zweiten Jahrestag des Feuers, der in London mit viel Prominenz, einem Schweigemarsch, Gottesdiensten und Appellen begangen wird, herrscht Katerstimmung bei den Aktivisten und Ex-Bewohnern, die sich nach dem Feuer zusammengefunden und organisiert haben. Zwar war Bürgermeister Sadiq Khan gekommen, auch Wohnungsbauminister James Brokenshire nahm an einem Gottesdienst teil, aber: Viel zu wenig habe sich geändert, das sei sehr frustrierend, sagte etwa Natasha Elcock von der Gruppe "Grenfell United" dem Guardian, und sie sei nicht sicher, ob der Passivität der Behörden Inkompetenz oder Ignoranz zugrunde liege.

Jahre schon hatten die Grenfell-Bewohner die Behörden und die Immobilienverwaltung des Turms aufgefordert, den Brandschutz zu verbessern, Sprinkler und Brandschutztüren einzubauen. Nichts geschah. Nach dem Großbrand dann die Zusage: Alle Gebäude im Königreich, die mit der hochbrennbaren Fassade ausgestattet seien, würden renoviert. Aber bis heute sind mehr als 200 Hochhäuser nicht in Angriff genommen worden; ihre Bewohner warten vergeblich darauf, dass Zusagen eingehalten werden und Sicherheit groß geschrieben wird.

Eine Untersuchungskommision, die Vorgeschichte und Ablauf des Brandes beleuchten soll, wird frühestens im Herbst einen ersten Bericht ergeben. Wann es strafrechtliche Konsequenzen und einen Gerichtsprozess geben wird, ist noch ungewiss. Mehr als 200 Angehörige haben daher nun über amerikanische Anwälte die drei US-Firmen auf Schadenersatz verklagt, die Produkte hergestellt haben, welche für das Ausmaß der Katastrophe verantwortlich gemacht werden, darunter der Kühlschrank und die Fassadenplatten.

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