Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Gotthilf Fischer:Der Mann, der die Massen zum Singen brachte

Lesezeit: 2 min

Er konnte Zehntausende begeistern, trat vor Monarchen, Staatspräsidenten und Päpsten auf und hat 16 Millionen Tonträger weltweit verkauft. Jetzt ist Chorleiter Gotthilf Fischer im Alter von 92 Jahren gestorben.

Nachruf von Titus Arnu

Und jetzt alle: Wenn 1000 Menschen zusammen "Stille Nacht" singen, klingt das wunderschön oder schauderhaft, je nach musikalischem Anspruch. Eine logistische Meisterleistung ist so ein Massenchor auf jeden Fall, das muss man Gotthilf Fischer wohl lassen. Er brachte Zehntausende zum gemeinsamen Singen, trat vor Monarchen, Staatspräsidenten und Päpsten auf und hat in 75 Jahren als Chorleiter mehr als 16 Millionen Tonträger weltweit verkauft.

An Spitz-, Ehren- und Beinamen mangelte es dem Mann ebenso wenig wie an sangeswilligen Fans. Er wurde "Karajan aus dem Remstal" genannt, "Herr der singenden Heerscharen", "König der Chöre", "schwäbischer Welt-Chorleiter" oder gleich "berühmtester Chordirigent der Welt". Sein privater Spitzname lautete Goofy, nach dem leicht trotteligen Comic-Hund aus Micky-Maus. Fischers Eltern wollten ihn Gerhard Albert nennen, doch es kam auf dramatische Weise anders: Das Taxi, das seine Mutter im Jahr 1928 zur Entbindung bringen sollte, verunglückte auf dem Weg zum Krankenhaus von Plochingen. Die Ärzte befürchteten, das Kind komme nicht durch - als das Baby dann doch gesund geboren wurde, gaben sie ihm zusätzlich den Namen Gotthilf.

Gotthilf Fischer war Autodidakt, er genoss keinerlei musikalische Ausbildung. Er schwärmte für Bach und Mozart, gründete mit 14 Jahren seinen ersten Chor und wurde 1945 Leiter des Concordia-Gesangsvereins in seinem Heimatort Deizisau. Bald übertrugen weitere Vereine dem angehenden Sportlehrer die Chorleitung. In der Nachkriegszeit scharte er so immer mehr Sänger und Sängerinnen um sich, die Idee der vereinigten Fischer-Chöre war geboren. Deren Dirigent hatte ein Gespür für populäre Musik, wusste sich in Szene zu setzen und war offensichtlich ein guter Organisator. International bekannt wurde die Hordensingerei durch den Auftritt beim Finale der Fußball-WM 1974. Vor 80000 Zuhörern im Stadion und Hunderten Millionen weltweit vor den Fernsehern stimmten 1500 Chorsänger und -sängerinnen den von Freddie Quinn komponierten Song "Das große Spiel" an.

Dass diese Art von Schwarmmusikalität künstlerisch ebenso hoch einzuschätzen ist wie die Einzelleistung begnadeter Virtuosen, wurde vom Feuilleton immer stark angezweifelt. Die Fischer-Chöre waren von Anfang an dem Spott von Kabarettisten, Klassik-Schnöseln und Volksmusikverächtern ausgesetzt. Doch bei der Masse kam das Massensingen hervorragend an, Gotthilf Fischer wurde mit seinen Chören von Papst Johannes Paul II. und dem US-Präsidenten Jimmy Carter eingeladen. Thomas Gottschalk bat ihn zu "Wetten, dass..?" auf die Couch. "1000 Stimmen singen für Millionen" - dieser Slogan stand auf vielen Platten der Fischer-Chöre.

"Ich glaube daran, dass Musik und Gesang Menschen verbinden", sagte Gotthilf Fischer in einem Interview. Er war ein gnadenloser Optimist, der eine "Friedensmesse" komponierte und diese 1980, mitten im Kalten Krieg, in Washington vor dem Capitol absingen ließ. Sein Hauptmotto "Lasst uns singen, lasst uns fröhlich sein" kam kritischen Geistern zwar leicht naiv vor und erinnerte an den jodelnden Goofy, aber Fischer hatte weltweit genügend Fans. Nicht alle verstanden allerdings die Texte des deutschen Liedgutes, und ein Auftritt der Fischer-Chöre im spanischen Fernsehen wurde mal mit Fischernetzen, Möwen und Schiffsattrappen dekoriert, weil die Spanier dachten, es handele sich tatsächlich um singende Fischer.

Bei der Love Parade im Jahr 2000 in Berlin vollbrachte Fischer das Kunststück, mit der feierwütigen Menge "Hoch auf dem gelben Wagen" zu singen, er besuchte den "Big Brother"-Container und hatte zuletzt auch auf Youtube Millionen Fans. Er hätte wahrscheinlich noch als Hundertjähriger fröhlich die Massen dirigiert. Nun starb im Alter von 92 Jahren. Das teilte seine Managerin Esther Müller mit. Der Musiker sei "einfach eingeschlafen", sagte sie. "Es war die Zeit und das Alter."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5150352
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.