München - Auf diesen Donnerstag kann sich Tony Hayward bestimmt nicht freuen. Um zehn Uhr morgens amerikanischer Ostküstenzeit muss der BP-Chef, dessen Konzern für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko verantwortlich ist, vor einen Ausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses treten. Die Abgeordneten aus dem Energiekomitee haben ihn bereits am Montag auf 14Seiten mit fünf zentralen Vorwürfen konfrontiert - der Konzern habe in den Tagen vor der Explosion des Bohrschiffs Deepwater Horizon, bei der elf Menschen starben, mehrfach die üblichen Sicherheitsstandards missachtet. "Es hat den Anschein, dass sich BP wiederholt für riskante Verfahren entschieden hat, um Kosten und Zeit zu sparen", schreiben die Abgeordneten Henry Waxman und Bart Stupak.
Am Dienstag schon waren zudem vier Konkurrenten von Hayward vor das Komitee geladen. Die Chefs von Exxon-Mobil, Shell, Chevron und Conoco-Philips machen BP Vorberichten zufolge den gleichen Vorwurf wie die Abgeordneten: Mit anderen Entscheidungen des Konzerns wäre das Unglück zu vermeiden gewesen. "Wir müssen wissen, ob das Niveau des eingegangenen Risikos über die Normen der Industrie hinaus ging", heißt es zum Beispiel in der vorbereiteten Aussage des Exxon-Chefs Rex Tillerson, aus der der Wirtschaftsdienst Bloomberg zitiert. Obwohl die Fakten in Form interner Dokumente, Emails und Zeugenaussagen unbeteiligter Experten vorliegen, nutzten die Ankläger für ihre Analyse zunächst Konjunktiv oder Frageform.
Dass sich die Konkurrenz gegen BP stellt, hat sich Hayward selbst zuzuschreiben. Er hatte am 6.Juni in einem Interview in dem britischen Sender BBC gesagt: "Die Industrie - und sicherlich BP - muss die Sicherheitsstandards auf eine vollkommen neue Ebene heben." Die Ölbosse dürften das als Klammergriff eines Ertrinkenden gewertet haben, den es abzuwehren gilt. Ohnehin stehen sie unter Druck, weil neben den Amerikanern auch andere Länder wie Mexiko die Bestimmungen für Bohrungen im Meer verschärfen wollen.
Darum beeilte sich Tillerson, das jüngste Unglück im Golf von Mexiko als "dramatische Abkehr" von der Erfolgsgeschichte seiner Branche darzustellen. Es seien 14000 Bohrungen im Meer ohne solche Vorfälle gemacht worden. Er verschleiert damit aber, dass es etliche Vorfälle anderer Art gegeben hat: Zum Beispiel geschah 1979 ebenfalls im Golf ein folgenschwerer Unfall. Auf der mexikanischen Seite geriet die Bohrinsel IxtocI in Brand. Der Ölkonzern Pemex brauchte neun Monate, das Leck zu stopfen, obwohl das Wasser nur 50 Meter tief war.
BP hingegen versucht seit acht Wochen vergeblich, in gut 1500 Metern Tiefe die Kontrolle über das Bohrloch zurück zu gewinnen. Vor dem Unglück am 20.April hat der Konzern den Recherchen der Abgeordneten zufolge "fünf fragwürdige Entscheidungen" getroffen. Da lagen die Arbeiten an dem Bohrloch im Macondo-Feld sechs Wochen hinter dem Zeitplan. Jeder Tag, den das Bohrschiff dort bleiben musste, kostete BP mindestens eine halbe Million Dollar.
Die erste fragwürdige Entscheidung betraf das Auskleiden des Bohrlochs mit Stahlrohren: Interne BP-Dokumente hatten eine doppelwandige Verkleidung als "empfohlene Option" bezeichnet und zählten deren Vorteile auf. Trotzdem entschieden sich die Manager am 15. April, ein einfaches Stahlrohr am Ende des Bohrlochs zu installieren, mehr als fünf Kilometer unter dem Meeresboden. So sparte sich der Konzern sieben bis zehn Millionen Dollar und drei Tage Arbeit.
Danach hätte der Konzern den schweren Bohrschlamm im Loch, der das Öl in der Lagerstätte halten sollte, einmal komplett umwälzen sollen, um nach eingeschlossenen Gasblasen und Gesteinsbrocken zu suchen. Die Richtlinien des American Petroleum Institute sehen diese Prozedur vor, BP hat sie aber drastisch abgekürzt - womöglich aus Zeitgründen.
Auch die Fehler drei und vier passierten tief im Erdreich. Das Stahlrohr der Auskleidung muss in dem größeren Bohrschacht von einem Betonmantel umgeben werden. Er verhindert, dass Gas unkontrolliert aus der Quelle austritt. Dabei werden Abstandshalter benutzt, damit das Rohr zentral im Schacht hängt. BP entschied sich am 16.April dafür, nur sechs dieser "Centralizer" zu installieren, obwohl der Manager der Firma Halliburton, die den Beton gießen sollte, 21 davon empfohlen hatte. Er warnte vor einem "ernsthaften Gasflussproblem". Die restlichen 15 Abstandshalter hätte BP vom Festland einfliegen müssen, was ein Verantwortlicher ablehnte; die Installation hätte weitere zehn Stunden gedauert. "Wen kümmert's", schrieb darauf ein Untergebener, "es wird wahrscheinlich gut gehen." Einen Test der Betonschicht sagte BP dann ab und schickte die Fachleute, die schon an Bord der Deepwater Horizon waren, am 20. April weg. Das kostete 10000 Dollar Ausfallhonorar statt 128000 Dollar für den bis zu zwölf Stunden langen Test.
Schließlich verzichtete BP darauf, beim Einbetonieren der Auskleidung oben, also am Meeresgrund, ein Hilfsmittel einzusetzen, um das Stahlrohr im Bohrschacht zu fixieren. Hätte sich der Konzern in jedem dieser Fälle anders entschieden, dann hätte es in der Quelle vier Barrieren gegen aufsteigendes Gas gegeben, so die Analyse der Abgeordneten. Stattdessen waren es am Ende nur zwei, an deren Dichtigkeit Zweifel bestehen.
Hinzu kommen weitere Fehler. So hatte ein BP-Manager kurz vor dem Unglück entschieden, im Förderrohr zwischen Meeresboden und Oberfläche den Bohrschlamm gegen Meerwasser auszutauschen. Einige Arbeiter, die die Explosion überlebten und nun Klagen gegen BP vorbereiten, berichteten in CNN über einen lauten Streit zwischen dem BP-Vertreter und einem Verantwortlichen der Firma Transocean, die die Deepwater Horizon betrieb. Das Wasser konnte offenbar aufgrund seiner geringeren Masse weniger Druck auf die Quelle ausüben, sodass bald Gas aufstieg. Im Maschinenraum des Bohrschiffs jedoch fehlten der Washington Post zufolge ein Warngerät und eine Vorrichtung, um die Zufuhr zu stoppen. So kam es zur Explosion.
Ohnehin hatte die Mannschaft auf dem Bohrschiff schon in den Monaten zuvor Probleme mit dem Macondo-Feld gemeldet. Kein Wunder, dass ein BP-Manager in einer Email von einer "Alptraum-Quelle" sprach, die er offenbar schnell hinter sich lassen wollte.