Süddeutsche Zeitung

Prozess um Goldspäne:"Er ist zur Arbeit gegangen, um zu stehlen"

Der Mitarbeiter einer Trauringfabrik klaut Goldspäne im Wert von fast einer Million Euro. Nun muss er ins Gefängnis. "Gelegenheit macht Diebe", sagt sein Verteidiger.

Von Max Ferstl, Pforzheim, und Anna Fischhaber

Der Mann hatte alles, was ein Dieb braucht, vor allem hatte er den richtigen Job. Er arbeitete in einer Trauringfabrik in Pforzheim, dort fertigen sie Ringe aus Gold. Und weil dafür das Metall in die richtige Größe gesägt werden musste, blieben immer wertvolle Späne übrig. Genau die wollte er haben.

Der Mann hatte eigene Schmelzöfen, versteckt in einer Gartenhütte, dort schmolz er die goldenen Sägespäne zu Barren. Und weil er auch die richtigen Kontakte hatte, konnte er das gestohlene Gold verkaufen. "Sehr professionell", wird der Staatsanwalt später vor Gericht sagen.

Freitagvormittag, Landgericht Karlsruhe, Außenstelle Pforzheim: Als der Angeklagte den Gerichtssaal betritt, zwinkert er seinen Angehörigen im Zuschauerbereich zu, erste Reihe, die Familie wollte ganz vorne sitzen. Während der 50-Jährige auf dem Stuhl neben seinem Anwalt Platz nimmt, fotografieren ihn die Reporter, bis der Richter sagt, dass es genug sei mit den Bildern. Kommt auch nicht jeden Tag vor, hier in Pforzheim.

Dass ein Mensch am Arbeitsplatz zum Dieb wird, kommt ziemlich häufig vor

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wirft dem Mann vor, seinem Arbeitgeber zweieinhalb Jahre lang Goldspäne gestohlen zu haben. Etwa 20 Kilo sollen so zusammengekommen sein, Gold im Wert von rund 960 000 Euro. "Gewerbsmäßiger Diebstahl", heißt es in der Anklage. Dass der Mann die Späne geklaut hat, ist unstrittig. Es gibt Chats aus seinem Handy, es gibt Videos. Außerdem hat er den Diebstahl in 27 Fällen und den Verkauf des Goldes eingeräumt. Dafür muss er drei Jahre und acht Monate ins Gefängnis, so lautet am Ende das Urteil. Dass er zuletzt versucht hat, sein Haus zu verkaufen, um den Schaden der Firma wieder gut zu machen, dürfte ihm dabei nicht geschadet haben.

Bei manchen Verbrechen ist das Motiv ein großes Rätsel, der Prozess eine Suche nach Antworten. In diesem Fall ist die Sache klar: Der Angeklagte habe "ordentlich Bargeld eingefahren", sagt der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Und er habe dieses Geld dann auch ausgegeben, ein neuer Pool, ein "fetter BMW", ein Mercedes, ein neuer Wintergarten. "Er ist zur Arbeit gegangen, um zu stehlen", sagt der Staatsanwalt.

Dass ein Mensch am Arbeitsplatz zum Dieb wird, kommt ziemlich häufig vor. Diebstahl und Unterschlagung sind die häufigsten Straftaten im Wirtschaftsleben, weit vor Datenklau oder Korruption. Bei mehr als der Hälfte der Fälle sind eigene Mitarbeiter beteiligt, wie Umfragen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KMPG bei betroffenen Unternehmen zeigen. "Das ergibt Sinn", findet Alexander Geschonneck, Betrugsermittler für Wirtschaftskriminalität bei KPMG: "Um etwas stehlen zu können, müssen Sie natürlich erst mal in dessen Nähe kommen."

Die Mitarbeiter sind dabei nicht wählerisch, mal klauen sie nur eine Butterbreze, mal eine komplette Autositzgarnitur. Letztere trugen vor einigen Jahren drei Mitarbeiter bei BMW raus und verkauften die Sitze weiter. Der Pforzheimer Gold-Dieb ist auch nicht der erste seiner Art. Erst im März wurde ein Mann in Regensburg wegen 222-fachen Diebstahl verurteilt, weil er Goldspäne bei seinem Arbeitgeber Osram mitgehen ließ, mehr als 68 Kilogramm insgesamt. Der Mitarbeiter hatte die Späne in der Hosentasche rausgeschmuggelt. Er wusste, dass die nie kontrolliert wurden.

Das Urteil lautet drei Jahre und acht Monate Haft, die tatsächliche Strafe könnte aber härter ausfallen

Im Pforzheimer Gerichtssaal verweist der Verteidiger, Giuseppe Olivo, dann auch auf die laxen Sicherheitsvorkehrungen der Trauringfirma. Als 2019 der Verdacht aufkam, dass mehrere Kilo Gold fehlten, habe die nichts unternommen. Als 2020 wieder Gold verschwand, sei ebenfalls nichts passiert. Erst 2021 hätte man die Sache ernst genommen und Kameras installiert. "Gelegenheit macht Diebe", sagt Olivo in seinem Plädoyer. Und die Gelegenheit mit den Goldspänen sei "auf dem Silbertablett serviert" worden.

Um kurz nach 14 Uhr erhebt sich der Saal, der Richter trägt das Urteil vor, gut ein Jahr weniger als von der Anklage gefordert. Die tatsächliche Strafe könnte allerdings härter ausfallen. Denn der Angeklagte hatte nur in 27 Fällen zugegeben, Gold gestohlen zu haben. Die Staatsanwaltschaft war ursprünglich von 66 Fällen ausgegangen, von 38 Kilo Gold und mehr als 1,6 Millionen Euro Schaden. In den übrigen Fällen will der 50-Jährige das Gold lediglich an einen Hehler weitervermittelt haben, gestohlen habe es jemand anders. Die Staatsanwaltschaft wird sich die Angelegenheit nochmal anschauen.

Dann beendet der Richter die Verhandlung. Der Angeklagte steht auf, rechts und links ein Justizbeamter. Die Familie wartet am schwarzen Absperrband, weiter vor darf sie nicht. Der Angeklagte winkt zum Abschied, dann führen ihn die Beamten aus dem Saal.

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