Süddeutsche Zeitung

Schweden:Filmfestival für eine Person

Mehr als 2500 Menschen haben sich schon beworben, um auf einer winzigen schwedischen Insel eine Woche lang ganz allein Kino zu schauen.

Von Martin Zips

"Kino ist nichts anderes, als der Traum, den jeder von uns kurz vor und kurz nach dem Einschlafen träumt", wusste Federico Fellini. Natürlich kann es auch ein Albtraum sein. Dann nämlich, wenn das Licht ausgeht, sich der Vorhang öffnet und der Zuschauer feststellt, dass er der einzige ist im Saal. Schon vermisst er es, das sonst so verhasste Rascheln und Räuspern der anderen. Das noch während des Vorspanns betriebene Geschwätz und Handygewedel, das ihn schon so oft zur Verzweiflung gebracht hat. Wie gerne wäre er manchmal allein gewesen, mit den Dialogen eines Éric Rohmer oder den Bilderwelten eines Terrence Malick. Waren da nicht immer die, die ihm den Kinobesuch zur Hölle machten?

Insofern ist es schon eine traumhafte Sache, die sich das Göteborg-Film-Festival da für Ende Januar ausgedacht hat. Das Festivalprogramm - nur für eine Person. Sieben Tage in völliger Isolation auf einem Felsen weit draußen im Meer. Passend zum diesjährigen Schwerpunkt "Soziale Distanzen". Und, interessant: Bereits mehr als 2500 Interessenten aus aller Welt haben sich schon gemeldet für den Platz auf Hamneskär, einer Leuchtturminsel der Pater-Noster-Schären.

Sicher, die schwedischen Organisatoren werden dort für einen leistungsstarken Beamer, eine funktionierende Heizung und genügend Popcorn sorgen. Hamneskär liegt ja inmitten eines von Seeleuten gefürchteten Fahrwassers, da schaut nicht jeden Tag ein Boot vorbei. Die Passage soll schon so manch einem Seemann ein Vaterunser entlockt haben, daher der Name "Pater Noster". Und nun geht es darum, genau hier 60 Filmpremieren zu erleben. "O solitude, my sweetest choice", heißt es bei Henry Purcell. Einsamkeit kann herrlich sein.

Dennoch die Frage: Kann man Kino überhaupt genießen, ohne das Lachen, das Atmen, das Seufzen, das Stinken und Knirschen der anderen? Selbst ein Filmvorführer wie Alfredo in Giuseppe Tornatores "Cinema Paradiso" hatte neben dem Projektor doch nie das Gefühl völliger Isolation. Durch ein kleines Fenster blickte er gerne auf das fröhliche Treiben im Kinosaal. Nichts gegen einen einsamen Inselaufenthalt, bei dem man seine 20 liebsten Filme, 20 liebsten Bücher plus seine, wie in der wunderbaren BBC-Radiosendung "Desert Island" vorgestellt, allerliebsten Schallplatten dabeihat. Aber mitten im Winter, vom tosenden Meer umschlossen, auf einer Robinsonade mit einem Festivalprogramm unbekannter Qualität? Verfällt man da nicht dem Wahnsinn, wie die Leuchtturmwärter in Robert Eggers "The Lighthouse"?

Sicher, "das Kino kann die Leere und Einsamkeit in deinem Leben ausfüllen", wie es der spanische Regisseur Pedro Almodóvar ausdrückt. Während einer Pandemie geht das ebenso in Ordnung wie die x-te Folge über das Gefühlsleben amerikanischer Schachspielerinnen, britischer Prinzessinnen oder germanischer Waldhexen am warmgelaufenen Quarantäne-Fernseher. Aber bald möchte man endlich wieder ins ABC, ins Isabella, ins City, ins Gartenbaukino und wie all diese wunderbaren Lichtspielhäuser heißen, in denen man einst so viel Lebenszeit verbracht hat. Es darf auch ruhig mal geraschelt werden.

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