Das Glück liegt auf der Straße, heißt es. Fragt sich nur, auf welcher Straße. Auf Autobahnen und Bundesstraßen in Ballungsräumen wie München, dem Ruhrgebiet oder der Rhein-Main-Region ganz sicher nicht. Dort stehen die Menschen täglich im Stau, und das macht - wenig überraschend - nicht froh, wie es im "Glücksatlas 2018" heißt, den die Deutsche Post veröffentlicht hat. Da hilft auch die buddhistische Leid-Linie des Dalai Lama wenig: "Nur wer Leid erträgt, wird Glück erfahren." Eine lange Pendelzeit von mehr als 40 Minuten bewirke einen "negativen Effekt auf die empfundene Arbeits- und Lebenszufriedenheit", schreiben die Glücksforscher, eine etwas unglückliche Formulierung für Frust.
Muss man Glücksforscher sein, um zu derartigen Erkenntnissen zu gelangen? Dass es unzufrieden macht, im Stau zu stehen, ist eigentlich klar. Erstaunlich sind allerdings die Details des Schwerpunktthemas "Mobilität" im diesjährigen Glücksatlas. 60 Prozent der Deutschen pendeln zwischen ihrem Zuhause und dem Arbeitsplatz. Das Verkehrsaufkommen, die Umweltbelastung und die Nerv-Faktoren in den Städten wachsen stetig.
Trotzdem fahren zwei von drei Deutschen stur mit dem Auto zur Arbeit, die meisten sitzen alleine in ihrer Karre. Nur 14 Prozent nutzen öffentliche Verkehrsmittel. Und mit dem Rad oder zu Fuß gelangen weniger als zehn Prozent der Deutschen zur Arbeitsstelle. "Die glücklichsten Menschen der Welt haben keine geteerten Straßen", hat der Talkshow-Philosoph Richard David Precht geschrieben. In Autodeutschland wohnt das Glück nach dieser Definition nicht.
Was ist Glück überhaupt und wie kann man es fassen? Den Glücksatlas-Verfassern geht es weniger um das subjektive Glücksgefühl als um die objektiv messbare Lebenszufriedenheit. Sie sind sich mit US-Glücksforschern einig, dass es im globalisierten Zeitalter universale Wohlfühlfaktoren gibt - und regional spezifische. Für die Studie wertete Bernd Raffelhüschen, Finanzwissenschaftler an der Uni Freiburg, Umfrageergebnisse des Instituts für Demoskopie Allensbach und Daten eines sozioökonomischen Panels aus, das seit 1983 die Lebenszufriedenheit von 25 000 Deutschen erhebt. Die Befragten geben ihre subjektive Lebenszufriedenheit auf einer Skala von null bis zehn an; "null bedeutet: absoluter Frustkopf, zehn heißt: totale Happiness", erläutert Raffelhüschen.
Mobilität und Arbeit sind Schwerpunktthemen der diesjährigen Glücksstudie. Allgemein gesehen hängt die Lebenszufriedenheit natürlich von viel mehr ab. Raffelhüschen fasst die wichtigsten Glücksfaktoren mit der Formel GGGG zusammen - Gesundheit, Gemeinschaft, Geld, genetische Disposition. Jemand, der reich, gesund und verheiratet ist, kann nach dieser Formel trotzdem unglücklich sein - entweder weil er einen furchtbaren Ehepartner hat oder eine Depression oder beides. Insgesamt sind die Deutschen aber relativ glücklich, die durchschnittliche Bewertung der Lebenszufriedenheit erreicht 7,05 Punkte. Die Ostdeutschen sind etwas unzufriedener (6,89 Punkte). Im europäischen Umfeld rangiert Deutschland auf Rang neun.
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit", schrieb der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Glücksforscher vergleichen trotzdem gerne, im Glücksatlas gibt es sogar ein Bundesländer-Ranking. Unter den 19 deutschen Regionen steht auch in diesem Jahr Schleswig-Holstein unangefochten mit 7,44 Punkten an der Spitze. Einen deutlichen Glückssprung machte Hamburg, das mit 7,36 Punkten seinen Abstand zum drittplatzierten Hessen weiter ausbauen konnte. Die Franken bewerten ihre Zufriedenheit mit 7,26 Punkten und belegen den vierten Platz, Südbayern liegt nur auf Platz acht. Brandenburg (6,84) ist das unglücklichste deutsche Bundesland.
Der insgesamt hohe Zufriedenheitsgrad ist den Forschern zufolge vor allem auf die gute Konjunktur zurückzuführen. Die führt allerdings auch zu mehr Berufs- und Lieferverkehr. Warum pendeln die deutschen Autofahrer trotzdem bewusst in den Frust? E-Auto, E-Bike, öffentliche Verkehrsmittel und mehr Heimarbeit könnten entscheidende Glücksfaktoren sein, werden aber nur von einer Minderheit genutzt.
Deshalb stellten die Glücksforscher auch Fragen zur Akzeptanz von umweltfreundlichen Mobilitätsangeboten und alternativen Formen der Arbeitsplatzgestaltung wie dem Homeoffice. Ergebnis: Eine Mehrheit begrüßt neue Mobilitätsangebote, traut sich aber aus verschiedenen Gründen nicht, sie zu benutzen. 84 Prozent der Homeoffice-Nutzer kreuzten eine hohe Lebensqualität von 9 bis 10 an. Auch ihre Arbeitszufriedenheit ist größer. "Es ist aber nicht unbedingt das Homeoffice, das zufrieden macht", erklärt Raffelhüschen, "die Kausalität ist eine andere. Wer selbstbestimmt arbeiten und seine Zeit einteilen kann, ist zufriedener als jemand, der nach Stechuhr arbeiten muss."
Der Wirtschaftswissenschaftler hat da persönlich gute Voraussetzungen. Er wohnt und arbeitet in Freiburg, die Stadt wird in Umfragen immer wieder als besonders lebenswert bezeichnet. Er ist Professor und Buchautor, muss selten pendeln und kann selbstbestimmt arbeiten. "Außerdem habe ich die beste Ehefrau und die besten Kinder der Welt", sagt er, "deshalb würde ich auf der Skala der Lebenszufriedenheit eine glatte 10 ankreuzen."