Glosse: Eisbär ohne Pfleger:Knut allein zu Haus

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Sein Pfleger Thomas Dörflein macht Urlaub, doch was macht der junge Eisbär Knut? Jammern? Weinen? Oder eine Party feiern?

Gökalp Babayigit

Wer denkt nicht gern zurück an die spannendste Zeit der Kindheit? Das erste Mal bei Freunden übernachten, das erste Zeltlager mit den Pfadfindern und schließlich der Höhepunkt eines jeden jungen Lebens - zumindest bis zum ersten Discobesuch: das erste Mal sturmfrei!

Aufstehen? Weiterschlafen? Egal! Eisbär Knut muss nun drei Wochen auf seinen Ziehvater Thomas Dörflein verzichten. Das bedeutet: sturmfrei! (Foto: Foto: dpa)

Zweifelsohne ist der große Schritt in Richtung Erwachsenenleben spätestens mit dem ersten sturmfreien Wochenende getan. Die Eltern sind aus dem Haus, die Expedition kann beginnen: Ran an die Schränke, die einem immer verborgen waren, rauf und runter die Fernsehkanäle die ganze Nacht, rein in den Ofen mit der ungesunden Tiefkühlpizza.

Soeben erreicht uns eine Meldung, wonach einer jetzt "ganz tapfer" sein müsse: Knut, der kleine Eisbär zu Berlin. Er ist tatsächlich ganz allein zu Haus, er hat sturmfreie Bude - sein Ziehvater Thomas Dörflein, Hauptberuf Tierpfleger macht drei Wochen lang Urlaub. Wie verkraftet das Knut, der Popstar?

Künftige Biographen des Eisbären werden sich ungern an die bislang dunkelste Stunde des kleinen Knut erinnern: Als er jünger war, reichten schon drei Tage ohne seinen Zoopapa Dörflein, um ihn schreien zu lassen - jämmerlich und ohne Rücksicht auf seine Fans, die zu Tausenden in den Tierpark kamen.

Doch das war früher. Heute ist Knut, der Beinahe-Halbstarke, nun wirklich aus dem Heulsusenalter raus. Er will cool wirken. Er will sich bewähren. Er braucht den Pfleger nicht mehr.

Darum wird er nicht traurig sein, versichert der Zoo-Direktor. Und weinen wird Knut schon gar nicht, sagt der Ober-Verantwortliche noch. Stellt sich also nur noch die Frage, wer nun tapferer sein muss: Knut, der Bär, oder doch Thomas Dörflein, der Ersatzvater, der zum ersten Mal den Kleinen allein zurücke lässt?

Eines steht schon fest: Traurig werden in Zukunft vor allem die vielen Knut-Korrespondenten und Medienvertreter sein. Die süße eisbärige Kindheit ist passé, das Erwachsenenleben steht unmittelbar bevor. Angesichts der Meldung, dass Dörflein nun in den "verdienten Urlaub" gehe, fragt man sich nur: Was kommt als Nächstes über den Ticker der Nachrichtenagenturen?

Vielleicht ist ja von Interesse, was die Dörfleins der anderen Käfige so machen. Hat der Pfleger der Schabrackentapire ( tapirus indicus) tatsächlich sein Auto verkauft, weil er lieber mit dem Fahrrad zu seinen Tieren kommt? Überlegen die zwei Mitarbeiterinnen vom Gehege mit den südamerikanischen Nasenbären, ob sie ihren Spanischkurs verlängern?

Eine schöne Meldung wäre, wenn der entfesselte Knut nächste Woche eine Sturmfrei-Party feiern würde. Doch aus dem dicken Agenturmaterial haben alle schon gelernt, dass der Eisbär ein solitäres Wesen ist. Das wird nichts mit dem wilden Knut. Aber was so ein richtiger Popstar ist, der kann auch ganz alleine auftreten.

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