Süddeutsche Zeitung

Gleichberechtigung:Hilfe, die Soprane kommen!

In England ist ein Streit entbrannt, weil ein Männerchor dazu aufgefordert worden ist, jetzt doch endlich mal Frauen aufzunehmen. Ist das der Sinn der Debatte um Geschlechtergerechtigkeit?

Von Cathrin Kahlweit, London

Der Männerchor, der sich vor 60 Jahren als Polizeichor im britischen Derbyshire gegründet hat, ist stolz auf seine Geschichte: Die Herren treten nach wie vor in Polizeiuniform auf, auch wenn die allermeisten gar keine Polizisten sind. Sie haben über die Jahre 800 000 Euro Spendengeld für gute Zwecke zusammengesungen; 2016 hat der Derbyshire Constabulary Male Voice Choir sogar vom Polizeichef eine Auszeichnung bekommen. "Wir waren immer effektive und freudige Repräsentanten der Polizeikräfte, auch wenn wir organisatorisch unabhängig sind", sagt Chorleiter Kevin Griffith.

Aber nun trennen sich die Wege der Polizeitruppe und des Männerchors, der ihren Namen trug: Der Chor wird umbenannt, ein neuer Probenraum wird gesucht, und die Polizeiuniformen kommen in den Schrank. Denn der Polizeipräsident wollte den Chor zwingen, Frauen aufzunehmen.

Die Sänger lehnten das ab. Zum einen sind sie enttäuscht, dass sich die Polizeiführung in ihre Angelegenheiten einmischt, denn formal ist der Chor eigenständig und bekommt auch kein Geld von der Derbyshire Police. Aber auch inhaltlich finden die Herren die Neuerung unannehmbar - und wer sich mit Chormusik auskennt, kann ihre Argumente nachvollziehen: Es dauere Jahre, bis man fünf Dutzend Sängerinnen rekrutiert und auf ein gemeinsames Niveau gebracht, das Repertoire geändert und den Klang wieder perfektioniert habe. Griffith glaubt, der Chor sei Opfer politischer Korrektheit geworden: "Wir sind fast alle weiß und über 60 Jahre alt. Der Polizeipräsident hatte offenbar das Gefühl, dass dieser Chor nicht die Jugendlichkeit und Geschlechtergerechtigkeit repräsentiert, für die er stehen möchte."

Der Chor wird sich nun in Derbyshire Community Male Voice Choir umbenennen, und an der Zusammensetzung wird sich nichts ändern: "Männerstimmen erzeugen einen machtvollen, energetischen Klang", sagt Griffith, der, wie viele der Kollegen, auch in gemischten Chören singt.

Die Briten sind ein Volk von Sängern; es gibt in Großbritannien Zehntausende Chöre mit einer, wie Griffith sagt, etwa gleichen Verteilung von Männerchören, Frauenchören, gemischten Chören. Bisher hat das niemanden gestört, aber die Zeiten ändern sich. Denn rein männliche Veranstaltungen, Vereine oder Klubs stehen massiv unter Druck. Bekanntestes - und peinlichstes - Beispiel aus der letzten Zeit: das Men-only-Gala-Dinner des "Presidents Clubs" in London, bei dem Hostessen in knappen Kleidchen angefordert und dann von der Wirtschaftselite der City angebaggert und angegrapscht wurden. Der Klub, der auf einer nur für Männer zugänglichen Wohltätigkeitsveranstaltung alljährlich Geld für Krankenhäuser sammelte, wurde nach dem Skandal, den Undercover-Reporterinnen der Financial Times aufdeckten, aufgelöst. "Wir müssen auch die soziale Seite des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens gleichberechtigter machen", merkte die Chefin des britischen Industrieverbandes CBI, Carolyn Fairbairn, kritisch an.

Doch der Widerstand ist nach wie vor groß, vor allem in reinen Männerklubs. Als der Traveller Club in London, ein Treffpunkt für reisefreudige Diplomaten und Politiker, diskutierte, ob man nicht Botschafterinnen aus dem Ausland mit einer "Ehrenmitgliedschaft" ausstatten solle, damit sie den Klub betreten dürften, entschied sich die Mehrheit der Mitglieder dagegen. Danach kam der Vorschlag allgemeiner auf den Tisch: Es werde Zeit, Frauen aufzunehmen. Eine Kolumnistin des Guardian zitiert aus dem Sitzungsprotokoll: In gemischten Klubs, so ein Mitglied, werde die Unterhaltung immer gleich viel langweiliger. Immerhin: Seit Kurzem dürfen Frauen assoziierte Mitglieder sein. Auch zwei der letzten rein männlichen Golfklubs im Königreich in Muirfield und Aberdeen haben sich nun entschieden, Frauen aufzunehmen. Das Votum erfolgte jeweils mit überwältigender Mehrheit. Vielleicht, weil man beim Golfen nicht reden - und nicht singen muss.

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SZ vom 09.04.2018
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