Gleichbehandlung für alle:Schmidt gegen Deutschland

Berlin Racial Profiling Kontrollen von Afrikanern Polizeikontrolle eines Mannes aus Ghana in der Has

2,3 Millionen Personenkontrollen gab es 2014 im deutschen Grenzgebiet, häufig trifft es Dunkelhäutige (wie auf diesem Archivbild).

(Foto: Christian Ditsch/imago)

Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe sind verboten, gehören hierzulande aber zum Alltag. Derzeit läuft mal wieder ein Prozess, der Vorwurf: Das Gesetz lässt zu viel Spielraum.

Von Hannes Vollmuth

Es gibt für Andreas Schmidt viele Gründe, das Zugfahren zu mögen: Der Zug ist umweltfreundlich, das ist ihm wichtig. Auch kann Schmidt Musik im Zug hören, aus dem Fenster schauen oder lesen, wenn er zu seinen Studenten nach Kempten fährt. "Zugfahren ist eine sozial legitimierte Auszeit", sagt Schmidt, ganz der promovierte Soziologe. Es gibt da allerdings ein Problem: Die Kontrollen der Polizei machen alles kaputt.

Meistens laufe es so, sagt Schmidt: Die Beamten betreten das volle Abteil, steuern direkt auf ihn zu und verlangen seinen Ausweis - manchmal freundlich, meistens barsch. Von den anderen Reisenden wollen die Bundespolizisten eigentlich nie etwas, nur von ihm, sagt Schmidt. Er arbeitet als Wissenschaftler, fährt viel Zug, ist 46 Jahre alt, hat weiche, freundliche Gesichtszüge und farbige Haut. Sein Vater kam vor 60 Jahren aus Indien. So weit, so normal für Deutschland im Jahr 2015.

Eher weniger normal ist, dass Schmidt schon 70- bis 80-mal im Zug kontrolliert wurde. Und das sei nur deshalb geschehen, weil man ihm seine fremde Herkunft ansehe, sagt Schmidt. Ungleichbehandlung aufgrund von latentem Rassismus, das ist der Vorwurf, der nun auch vor Gericht gelandet ist. Denn eine weitere Kontrolle im Januar 2014 hatte das Fass für ihn zum Überlaufen gebracht - Schmidt klagte. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung veröffentlicht sehen, weil er mit Anfeindungen rechnet, seit er vor sechs Wochen zum ersten Mal im Münchner Verwaltungsgericht saß. An diesem Mittwoch geht das Verfahren weiter. Schmidt gegen die Bundesrepublik.

Der Soziologe ist derzeit einer von zehn Deutschen, die an Verwaltungs- und Amtsgerichten gegen den deutschen Staat prozessieren, weil sie sich in ähnlicher Weise von der Polizei diskriminiert fühlen. Menschenrechtler rechnen mit vielen weiteren Prozessen. Und immer lautet die Frage: Was machen die ständigen Kontrollen mit Menschen wie Andreas Schmidt?

"Wenn die Bundespolizei in den Zug steigt, werde ich garantiert kontrolliert", sagt Schmidt. Zum Gespräch hat er in seine Augsburger Wohnung gebeten; dunkles Parkett, Dachterrasse, Blick über die Altstadt. Am Morgen hat er an seinen Forschungen gearbeitet. In seinen Regalen stehen Bücher von Platon, Habermas, Ulrich Beck. "Gestern bin ich wieder kontrolliert worden", sagt Schmidt. Er stand in Kempten am Bahnhof, als die Polizeibeamten kamen und seinen Ausweis verlangten. Da hat er auch nach dem Ausweis der Polizisten gefragt und gleich hinterher geschoben: Ich finde, dass Ihre Selektionsmethoden höchst fragwürdig sind. Den Wissenschaftler in ihm hört man in jedem Satz.

Der Vorwurf, der im Münchner Verwaltungsgericht im Raum steht, lautet in der Fachsprache "racial profiling", eine Polizei-Praxis, die es offiziell nicht gibt und laut Grundgesetz auch nicht geben darf: Menschen wegen ihrer Hautfarbe kontrollieren, wenn die Polizei wieder mal illegal Eingereiste in deutschen Zügen finden will. Das wäre rassistisch. Und im heutigen Deutschland nicht mehr zeitgemäß - auch dafür stehen die Klagen.

Am ersten Verhandlungstag in München saß Schmidt aber am Ende zusammengesunken auf seinem Stuhl. Die Richterin hatte auch nach zwei Stunden wenig Verständnis für seine Situation. Schmidt hofft trotzdem weiter. Vielleicht bewirken alle Klagen zusammen etwas. Die Bundesregierung könnte irgendwann gezwungen sein, das Polizeigesetz zu überarbeiten, das Menschenrechtlern zufolge rassistisch ist. Denn es hält Polizisten dazu an, gezielt nach illegal eingereisten Menschen in deutschen Zügen zu suchen. Und weil die Beamten nicht jeden kontrollieren können, wählen sie aus, Dunkelhäutige werden kontrolliert, Weiße eher nicht. Obwohl die Kontrollen vergleichsweise wenig Ergebnisse bringen: 2,3 Millionen Personenkontrollen gab es 2014 im Grenzgebiet, nur bei 1,4 Prozent lag eine illegale Einreise vor. In seiner Augsburger Wohnung sagt Schmidt: "Die Beamten kontrollieren nach rassistischen Mustern, und das Gesetz stiftet sie dazu an." Jetzt prüft die Europäische Kommission das Gesetz.

"Gefährlich sind vor allem Strecken im grenznahen Gebiet", sagt Schmidt, zum Beispiel Augsburg-Kempten. Dort sind Zugkontrollen ohne Verdacht jederzeit erlaubt. "Wo ich sitze, spielt natürlich keine Rolle", sagt Schmidt. Ebenso wenig seine Kleidung. Es ist unerheblich, ob er sich auf Deutsch unterhält oder in wissenschaftlichen Büchern liest. Auch die Uhrzeit ist egal. Glaubt man Schmidt, dann ist allein seine Hautfarbe ausschlaggebend dafür, dass er sich ausweisen muss.

Er kann gut erzählen von den Kontrollen, den Befragungen, die sich häufen, seit er einen Lehrauftrag in Kempten angenommen hat. Wie sich das anfühlt, immer rausgepickt zu werden, in einem vollen Zug, unwirsche Beamte, alle gucken, und schon wieder soll er seinen Ausweis aus dem Geldbeutel fummeln, wie ein Schwarzfahrer.

Wer ständig einer Situation ausgesetzt ist, die ihn bedrückt, entwickelt Strategien: Andreas Schmidt lässt sich nicht mehr alles gefallen, er versucht die Kontrollsituation umzukehren, verlangt auch von den Beamten den Ausweis. "Das würde ich sowieso allen raten", sagt Schmidt. Den Spieß umdrehen und vielleicht auch klagen. "Das wäre eine Möglichkeit, das System lahmzulegen", sagt Schmidt und kichert. Denn Kontrollen sind nicht einfach nur Kontrollen. Sie kratzten am Selbstverständnis als Deutscher, sagt Schmidt. "Es ist eine Erniedrigung ohne jeden Grund." Jede Kontrolle teilt ihm wieder mit: Wir haben den Verdacht, du gehörst nicht ganz dazu - Staatsbürger zweiter Klasse.

Sogar die Polizei sagt: Wenn das Gesetz rassistisch ist, dann muss man es ändern

So sehen das auch Organisationen wie Amnesty International, die Initiative "Schwarze Menschen in Deutschland" oder das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG), all diese Einrichtungen unterstützen Schmidts Klage. So sieht es sogar Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei Hamburg. "Eine Kontrolle nach der Hautfarbe", sagt Behr, "ist in einer multikulturellen Gesellschaft nicht mehr angemessen." Selbst Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sagt: "Wir machen unsere Arbeit, aber wenn das Gesetz rassistisch ist, dann muss die Politik reagieren."

In Augsburg nimmt Schmidt jetzt die Jacke und will zum Bahnhof, zu der Stelle, wo es ihn schon ein paar Mal erwischt hat. Auf dem Weg durch die Stadt noch eine letzte Frage: Und wenn er einfach mitmachte bei den Kontrollspielchen der Polizei? Schmidt lacht. "Das wäre ja noch schöner." Vorauseilender Gehorsam. "Dafür", ruft er, "würde ich mich schämen".

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