Süddeutsche Zeitung

Glamorama:Die Honeckers

Der DDR-Staats- und Parteiratsvorsitzende hat einen eigenen Facebook-Account. Warum nicht? Auch als Systemadministrator wäre er durchaus geeignet.

Von Cornelius Pollmer

Vor drei Jahren wurde Erich Honecker in einem Park in Berlin gesichtet. Die Akten lassen offen, ob er die Schönholzer Heide dem Bürgerpark vorzog oder ob es sich womöglich umgekehrt verhielt. An seiner Seite jedenfalls - so viel ist sicher - befand sich seine Frau Margot. Als eine Passantin die beiden sah und überrascht, aber höflich fragte, ob er nicht tot und sie in Chile sein müsste, da zischte Margot, pah, so hätten Sie das wohl gern! Das Ende schien rückwirkend besiegt zu sein, doch soll es Erich auch im Nicht-Tod recht mies gegangen sein. Er habe sich "seufzend" ins Gras fallen lassen, bezeugte die Passantin, "das Herz immer noch mit der Hand umkrampfend".

Im Mai - so war es überall zu lesen - starb Margot Honecker, offiziell gilt das Ehepaar damit als vollständig verstorben. Die Lebenszeichen aber sind deutlicher denn je. Die Episode im Park hatte sich noch in einem Roman versteckt, Monika Marons "Zwischenspiel". In der abgelaufenen Woche aber musste selbst das Artefaktenmagazin Spiegel zugeben: "Honecker lebt weiter: Er betreibt jetzt eine Seite bei Facebook". So köderte eine Meldung die Leser. Wer sie studierte, der erfuhr, dass es jetzt irgendein neues Buch über Honecker gibt und dass dessen Hersteller eine tatsächlich lustige Facebook-Seite bestücken, zu Zwecken der Reklame.

Zu erfahren war in der Meldung auch, dass es irgendwo im digitalen Draußen ein paar Idioten gibt, die zwar nicht doof genug sind, zu glauben, Honecker sei noch immer am Leben. Die aber gerade so doof sind, zu glauben, die Spiegel-Leute würden genau das ernsthaft annehmen. So ungefähr stand es da.

Am Montag sagte Angela Merkel, sie habe gehört, "wir lebten in postfaktischen Zeiten. Das soll wohl heißen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sie folgen allein den Gefühlen". Wenn es so ist, dann ist egal, ob Honecker tot ist oder nicht, solange er sich auf Facebook fühlen lässt. Und wenn das so ist, dann könnte er die Seite gleich selbst betreiben. Der vielleicht-doch-nicht-tote Honecker könnte sich fortbilden lassen, er könnte sich anmelden zum iOS-10-Update an einer Erweiterten Oberschule. Dann wäre er nicht mehr Kommunismus-Manager, er wäre Systemadministrator im Community-Management. Und dann wäre fast alles wie früher: Honecker wäre der Chef eines Netzwerks, bei dem alle Menschen mitmachen müssen und dessen Kommunikationsaufkommen sich leicht überwachen lässt.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2016
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