Giftstoffe:Guten Appetit

Giftstoffe: undefined
(Foto: imago)

Ein neuer Blei-Grenzwert für Spielzeug sorgt für Ärger. Essen Kinder wirklich 15 Buntstifte pro Jahr? Bei der EU-Kommission geht man offenbar davon aus.

Von Markus Mayr

In Brüssel geht man davon aus, dass ein Kind täglich 100 Milligramm Spielzeug isst, das ist so viel wie vier Reiskörner. Nicht viel, aber Giftstoffe können ja schon in Mikrodosen schädlich sein. Deshalb gibt es Grenzwerte für Giftstoffe in Spielzeug, die zum Beispiel festgelegt werden von der EU-Kommission. Unlängst wurde der zulässige Bleigehalt in, Achtung, Behördendeutsch: "trockenen, brüchigen, staubförmigen oder geschmeidigen Spielzeugmaterialien" deutlich herabgesetzt, von 13,5 auf zwei Milligramm pro Kilogramm. Buntstifte gehören zu dieser Art Spielzeug. Und jetzt gibt es Ärger.

Den Buntstift-Herstellern gefällt dieser neue Grenzwert nicht. Sie fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit, weil sie massiv in ihre Produktion eingreifen müssten. Vertreter der Stifte-Branche haben ausgerechnet, dass ein Kind im Jahr mehr als 15 Buntstifte mit bleihaltigen Minen essen müsste, um diese Untergrenze zu überschreiten - vorausgesetzt, Stifte sind seine einzige bleihaltige Mahlzeit. Die Kommission begründet ihren Schritt damit, dass sich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge selbst kleinste Mengen Blei schädlich auf die Entwicklung der Gehirne von Kinder auswirken können. Deshalb gebe es eigentlich gar keine sichere Untergrenze, der Grenzwert müsse so niedrig wie möglich angesetzt werden - bei 0,5 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht, pro Tag. Außerdem, bitte schön, es gehe hier schließlich um das Kindswohl.

15 Stifte im Jahr, das sei doch "sehr weit hergeholt", sagt Markus Ferber, CSU-Abgeordneter im EU-Parlament, und stellt sich damit auf die Seite der Stifte-Produzenten. Deren Interessen vertritt Manfred Meller, Geschäftsführer des Industrieverbandes Schreiben, Zeichnen und Kreatives Gestalten, er sagt: Der ausgiebige Stifte-Imbiss im Kinderzimmer sei "völlig praxisfremd". Das Problem sei außerdem: Die neue Untergrenze erschwere die Produktion einzelner Stifte. "Insbesondere bei hellen Farben kann nicht immer gewährleistet werden, dass der neue Wert eingehalten wird", sagt Meller. Für die Herstellung würden Naturstoffe verwendet, die aus der Erde kommen, Kaolin etwa. Und die seien natürlicherweise mit Blei belastet, "das hat uns Mutter Natur leider so mitgegeben". Buntstifte werden meist in Sets verkauft. Deshalb kann es nun sein, dass ganze Sets wegen einzelner Stifte aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

Die ganze Sache klingt wie eine Bürokratenposse, aber sie ist nicht zu unterschätzen: Eltern kennen keinen Spaß, wenn es um Spielzeug geht. Das zeigte kürzlich die in Großbritannien ausgelöste Aufregung um "Sophie, die Giraffe", ein Knautschtier aus 100 Prozent Naturgummi, wie der Hersteller betont (völlig bleifrei). Seit 1961 wird es von Kindern in den Mund gesteckt und angesabbert. Vor einer Woche aber haben Mütter das Tier aufgeschlitzt und Fotos ins Internet gestellt: Sophie, übersät mit Schimmel. Seitdem hat der Hersteller Mühe, die Kunden zu besänftigen, Sophie habe eben Luftlöcher, durch die bisweilen Speichel eindringen könnte. Eine bestimmte Reinigungstechnik könne helfen, teilt die Firma mit, und betont: Das Kindswohl stehe selbstverständlich an erster Stelle.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: