Giftige Algen an US-Westküste:Was Hitchcocks Vögel wild machte

Alfred Hitchcock hat nie eine Erklärung abgegeben, warum in seinem Filmklassiker Menschen von Möwen und Spatzen angegriffen werden. Wissenschaftler haben nun herausgefunden, was die Vögel des Regisseurs so verrückt gemacht haben könnte.

Jeanne Rubner

Hätte Melanie nur die Warnung verstanden. Als das hübsche Society Girl aus San Francisco gleich nach seiner Ankunft in Bodega Bay, wo sie den Anwalt Mitch Brenner wiedersehen will, von einer Möwe angegriffen wird, ahnt sie nichts Böses. Doch aus einem Vogel wird ein hoch aggressiver Schwarm - und eine Legende des Horrorfilms aus dem Jahr 1963: "Die Vögel", einer von Alfred Hitchcocks besten Thrillern.

Giftige Algen an US-Westküste: Alfred Hitchcock hat nie eine Erklärung abgegeben, warum die Vögel im Film die Menschen angreifen. Das Foto zeigt den Regisseur 1963 bei den Dreharbeiten.

Alfred Hitchcock hat nie eine Erklärung abgegeben, warum die Vögel im Film die Menschen angreifen. Das Foto zeigt den Regisseur 1963 bei den Dreharbeiten.

(Foto: AFP)

Doch warum attackierten die Seevögel die ahnungslosen Bewohner von Bodega Bay? Hitchcock hat dazu bewusst keine Erklärung gegeben. Er wollte, so sagte er einmal, bei den Zuschauern eine Art Urangst erzeugen. Eine Ursache für den Krieg der Vögel hätte diese primitive Furcht vor den gefiederten, wild flatternden Tiere gleichsam neutralisiert. Doch nun hat ein kalifornisches Forscherteam eine Erklärung für das seltsame Verhalten der Vögel geliefert: Sie hatten giftige Algen gefressen.

Im Sommer 1961 arbeitete Alfred Hitchcock an dem Filmprojekt - als Idee für das Drehbuch diente ihm eine knapp zehn Jahre zuvor erschienene Novelle der britischen Schriftstellerin Daphne du Maurier. Als am 18. August im Lokalblatt Santa Cruz Sentinel eine Geschichte über eine ungewöhnliche Vogelinvasion erschien, war der Meister elektrisiert. Er ließ sich den Zeitungsartikel nach Hollywood schicken.

Die Vögel waren damals zu Tausenden in die Straßen eines Küstenortes nahe der Stadt Santa Cruz eingefallen - die Bewohner wurden mitten in der Nacht von dem Geräusch der Tiere geweckt, die gegen ihre Häuser donnerten, hieß es. Überall lagen tote Vögel auf dem Boden, einige wenige lebendige flatterten nervös umher, woraufhin die Menschen sich wieder in ihre Häuser flüchteten. Tags darauf waren die Straßen von Kadavern übersät, es stank fürchterlich, weil die Vögel vor ihrem Ableben Fischreste aus ihren Mägen ausgespuckt hatten.

Giftiges Futter

Die Szene muss gruselig gewesen sein. Ein Ornithologe erklärte das sonderbare Verhalten der Tiere mit Orientierungsverlust wegen des dichten Nebels. Doch Nebel ist an Kaliforniens Küste häufig, ein Massensterben von Seevögeln aber selten. Als 1991, 30 Jahre später also, ganz in der Nähe Pelikane verendeten, entdeckte man in ihren Mägen die toxische Domoinsäure. Das Gift wird von einer Kieselalge namens Pseudo-nitzschia produziert. Dieser Mikroorganismus kann sich unter Umständen rasch vermehren - dann spricht man von einer Algenblüte. Algenblüten mit Pseudo-nitzschia sind besonders gefährlich, da dabei größere Mengen an Domoinsäure entstehen. Das Gift ist auch die Ursache für Erkrankungen nach dem Verzehr von Meeresfrüchten oder Fischen, die aus Gebieten mit einer Algenblüte stammen. Es führt zu Übelkeit und Krämpfen und schädigt das Gedächtnis, im schlimmsten Fall kann man daran auch sterben.

Dass das Vogelsterben von 1961, welches Hitchcock inspirierte, auch durch eine Vergiftung mit Domoinsäure hervorgerufen wurde, hatten Forscher schon länger vermutet. Nur konnten sie es bislang nicht beweisen. Das Team, zu dem Forscher der Universität von Kalifornien in Santa Cruz sowie des Scripps Instituts in La Jolla gehören, kam nun auf die trickreiche Idee, Proben von Zooplankton aus der damaligen Zeit zu untersuchen, Mikroorganismen also, die ihrerseits Kieselalgen fressen. Tatsächlich fanden sich in den Proben von 1961 erhebliche Spuren von Pseudo-nitzschia. Demnach könnte es damals eine heftige Algenblüte gegeben haben, die Pseudo-nitzschia wuchern ließ. Davon ernährten sich wiederum die kleinen Fische, die im Magen der Vögel landeten - und diese vergifteten, heißt es in dem Beitrag, den die Forscher kürzlich in der Zeitschrift Nature Geoscience veröffentlichten.

Hitchcocks Vögel freilich flattern im Film nicht orientierungslos umher. Sie sind grausam munter und verfolgen die Menschen bis zum bitteren Ende, als Melanie, Mitch und dessen neurotische Mutter im Auto davonfahren, in eine unsichere (Vogel-) Zukunft. Doch wofür stehen Hitchcocks Vögel dann? Sind sie Sinnbild eines chaotischen Rests in der Ordnung des Universums? Bedeuten sie die Rache für eine ausgebeutete Natur? Oder den Missklang der zwischenmenschlichen Beziehungen im Film? Kritiker haben viele Vermutungen aufgestellt. Nun könnte es mit der Algenblüte eine vergleichsweise banale Interpretation geben. Gut, dass Hitchcock, der Meister des Subtilen, das nicht mehr erleben muss.

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