Süddeutsche Zeitung

Gewalt gegen Homosexuelle:Von wegen Toleranz

Verhasste Liebe: Gerade in Berlin, das als Metropole für Homosexuelle gilt, nehmen gewaltsame Übergriffe auf Schwule und Lesben zu.

Laura Weißmüller

Der 23-Jährige hatte keine Chance. Fünf Männer schlugen auf ihn ein; selbst als er bereits bewusstlos auf der Straße lag und stark blutete, malträtierten ihn die unbekannten Täter mit Fußtritten weiter.

Ein Freund, der dem Bewusstlosen zu Hilfe eilen wollte, wurde selbst angegriffen. Mit Schädelbruch, schweren Verletzungen im Gesicht und Hirnblutungen musste der junge Mann in einem Berliner Krankenhaus notoperiert werden.

Die Übergriffe auf Schwule und Lesben in der Stadt werden zahlreicher und brutaler. Manchmal reicht es auch schon, sich nur in der Nähe eines Schwulenlokals aufzuhalten, um zur Zielscheibe zu werden.

So wie dem 23-jährigen Schwulen, der vergangene Woche im Berliner Bezirk Schöneberg verprügelt wurde, erging es im Herbst einem 33-Jährigen, der auf offener Straße von zwei jungen Männern in Kreuzberg angegriffen wurde und einen Kieferbruch erlitt. Kurz darauf wurde in Lichtenberg ein lesbisches Paar attackiert, Ende Dezember gab es einen Überfall auf eine Schwulenkneipe in Potsdam.

"Wir hatten eine ganze Serie von Übergriffen", sagt Kathrin Doumler vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD). Zusammen mit Maneo, dem Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, hat der LSVD am Samstag eine Mahnwache am Tatort des aktuellsten Überfalls organisiert.

Dass sich gerade in so traditionell liberalen Bezirken wie Kreuzberg und Schöneberg die homophoben Gewalttaten häufen, sei traurig - und auch logisch: "Schwule und Lesben sind gerade hier sichtbarer und damit ein leichter Angriffspunkt", sagt Doumler.

Ein pauschales Täterprofil - männlich, jung, Migrationshintergrund - lehnt sie ab. Auch wenn gerade junge Männer mit einem arabisch-patriarchalisch ausgeprägten Wertesystem häufig Probleme mit Homosexualität haben.

Interne Statistiken der Berliner Polizei weisen ebenfalls auf einen Anstieg der Übergriffe hin: Zählte man 2005 hier noch 15 Fälle von Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung des Opfers, waren es zwei Jahre später mit 43 fast dreimal soviel.

Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen: Wie die jetzt veröffentlichte Maneo-Umfrage unter 17.500 schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern in Deutschland ergab, verständigen nur 11,7 Prozent der Opfer die Polizei, wenn ihnen Gewalt angetan wird.

"Übergriffe hat es schon immer gegeben", sagt Bastian Finke, Projektleiter von Maneo. Der Soziologe arbeitet seit mehr als 19 Jahren in dem Anti-Gewalt-Projekt, Homophobie ist Finkes Spezialgebiet.

Doch der 48-Jährige formuliert seine Sätze vorsichtig, wenn es um die aktuellen Übergriffe geht. Zwar könne man eine Zunahme feststellen, die sich auch als "gefühlte Zunahme" in der homosexuellen Szene niederschlage, trotzdem möchte er nicht von einer Tendenz sprechen. Die Gewalt gegen Schwule und Lesben sei vielmehr anhaltend hoch, aber erst jetzt würden Politik und Medien sie ernst nehmen.

Auf der nächsten Seite: das erschütternde Ergebnis einer Umfrage unter Bremer Schülern

Wie ernst die Gefahr ist, dokumentiert Finke anhand von Fotos von Opfern: Fünffach gebrochene Kiefer, tiefe Schnittwunden im Gesicht und am Körper sind da zu sehen. "Die Bedrohung gehört zur Alltagserfahrung bei Schwulen und Lesben. Doch bis jetzt ist das immer untergegangen," sagt Finke.

Das liegt auch daran, dass es keine offiziellen Zahlen gibt. Homophobe Gewalt taucht in Deutschland außerdem in keiner bundesweiten Kriminalstatistik auf. Anders ist es in den USA: Dort werden Straftaten gegen die sexuelle Orientierung, "Hate Crimes" genannt, gesondert erfasst.

Dabei muss das Ausmaß an Gewalt gegen Homosexuelle enorm sein: In der Maneo-Umfrage gaben mehr als 40 Prozent der Schwulen an, innerhalb der vergangenen zwölf Monate Gewalt erlebt zu haben. Am häufigsten betroffen sind junge Homosexuelle.

In der sensiblen Phase der Pubertät, in der die Jugendlichen durch ihr Coming-out zusätzlich verletzbar sind, führt das oft zu schweren Traumatisierungen. Dazu kommt, dass Opfer vorurteilsmotivierter Hassgewalt stärker leiden: Die Täter greifen sie in ihrer Identität als Schwuler oder Lesbe an. "Das erschüttert den Betroffenen oft sehr viel mehr als ein Raubüberfall," sagt Finke. Wie schnell der Einzelne mit dem Gefühl der Ohnmacht fertig wird, hänge auch davon ab, wie das Umfeld reagiere.

Gerade deswegen sind Aufklärung und öffentliche Sensibilisierung so wichtig - und haben nicht zuletzt Erfolg: Ein Bremer Lehrer bemerkte auf seinem Schulhof viele schwulenfeindliche Ausfälle. Eine Befragung unter den Schülern ergab, dass 40 Prozent der muslimischen, 23 Prozent der katholischen und zwölf Prozent der evangelischen Jugendlichen Homosexualität für eine Krankheit hielten.

Bei den Nichtgläubigen waren es knapp elf Prozent. Nachdem sich die Schüler ein halbes Jahr mit Homophobie beschäftigt hatten, fanden zwar viele Homo-Küsse immer noch "ekelhaft". Aber zumindest auf dem Schulhof wurden Lesben und Schwule nicht mehr angefeindet.

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SZ vom 27.01.2009/cag
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