Die Menschen gehen auf die Straße. In Istanbul, in Ankara, aber auch in Mersin. Dort waren es am Mittwoch 15 000. Sie demonstrierten gegen die Gewalt gegen Frauen in der Türkei und gegen die Mörder von Özgecan Aslan, die hier studiert hat.
Die 20-Jährige war vergangene Woche im südtürkischen Tarsus von einem Minibusfahrer nach einem Vergewaltigungsversuch getötet worden. Der Fall löste landesweite Proteste aus. Hunderte gingen auf die Straße, der Hastag #sendeanlat ("Erzähl auch du es") hat sich inzwischen zum türkischen #Aufschrei entwickelt - hier berichten vor allem Türkinnen über ihre eigenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt.
An diesem Donnerstag sorgt in Istanbul ein neues grausiges Verbrechen für Empörung. Wie die türkische Presse berichtet, soll ein Mann dort seine Ehefrau erstochen und die Leiche anschließend zerstückelt und in den Müll geworfen haben. Der 43-Jährige hatte seine Frau zunächst als vermisst gemeldet, später gestand er, sie "in einem Anfall von Wut" erstochen zu haben. Nachbarn berichteten, sie sei schon häufiger Opfer häuslicher Gewalt gewesen. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen. Er soll an Schizophrenie leiden.
Der Fall Aslan
Der Fall ist anders gelagert als der der getöteten Aslan. Und doch erinnert er in seiner Brutalität an den Mord an der Studentin. Der Minibusfahrer hatte die junge Frau, nachdem sie sich gegen seine Übergriffe gewehrt hatte, mit einem Messer und einer Eisenstange attackiert. Mit der Hilfe seines Vaters und eines Freundes verbrannte er die Leiche anschließend.
"Der Mord an Özgecan hat das Fass zum Überlaufen gebracht", sagte danach eine Demonstrantin in Istanbul der Nachrichtenagentur dpa. In der Türkei werde Gewalt gegen Frauen oft als Kavaliersdelikt behandelt. "Für viele Männer sind Frauen selbst mitverantwortlich, wenn sie vergewaltigt werden. Sie sagen etwa, dass sich Frauen nicht so aufreizend kleiden sollen, und Richter zeigen dafür noch Verständnis."
Kritik an der Politik
Teil des Problems ist für viele Frauen, dass Politiker der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP sich immer wieder sexistisch äußerten. Im Januar etwa erklärte der heutige Präsident und einstige AKP-Mitbegründer Recep Tayyip Erdogan, Frauen und Männer könnten nicht völlig gleichberechtigt sein. Der AKP-Bürgermeister der Hauptstadt Ankara, Melih Gökcek, forderte einst bei einer Debatte über Abtreibungen, Frauen sollten ein Kind auch nach einer Vergewaltigung zur Welt bringen müssen.
Dass sowohl Staatspräsident als auch Ministerpräsident Ahmet Davutoglu den Mord an Aslan scharf verurteilten, ändert für viele nichts am Grundproblem: "Die Politik mischt sich von der Geburt bis zum Tod in das Privatleben der Frauen ein", so formuliert es Aktivistin Gülsüm Kar. "Doch sie unternimmt zu wenig, um sie zu schützen." Zwar gebe ein Gesetz zum Schutz von Frauen gegen männliche Gewalt, das werde jedoch selten angewendet.