Gewalt gegen Flüchtlinge:Als ob der Staat selbst zuschlägt

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Der Hauptbahnhof in Hannover: Hier soll ein Beamter der Bundespolizei zwei Flüchtlinge misshandelt haben.

(Foto: AFP)
  • Ein Bundespolizist aus Hannover steht im Verdacht vergangenes Jahr zwei Flüchtlinge misshandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Ermittlungen gegen den Mann eingeleitet und seine Wohnung durchsucht.
  • Grundlage des Verfahrens sind zwei schriftliche Anzeigen, die Anfang Mai bei der Staatsanwaltschaft eingingen.
  • Der Verdächtige hat in Kurznachrichten mit seinen Taten geprahlt. Möglicherweise wussten auch Kollegen und der Vorgesetzte von den Vorfällen.
  • Kritiker beklagen, dass Polizeigewalt häufig nicht zur Anzeige oder zur Anklage kommt. Sie machen eine Kultur des Schweigens und rechtliche Gründe dafür verantwortlich.

Von Paul Munzinger

Am 19. März des vergangenen Jahres tippt ein Beamter der Bundespolizei am Hauptbahnhof in Hannover diese Nachricht in sein Handy: "hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot." Dann wird er konkreter: "Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön." Das Opfer habe "gequikt wie ein Schwein". Für den Beamten war das "ein Geschenk von Allah".

Sechs Monate später, derselbe Polizist, ein anderer Flüchtling, wieder eine Whatsapp-Nachricht: "Das ist ein Marokkaner", schreibt der Polizist. "Den hab ich weiß bekommen." Auch dieser Mann habe "gequikt wie ein Schwein", tippt er. "Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinemett aus dem Kühlschrank gefressen. Vom Boden."

Schwarze Stiefel am Bildrand

Von diesem Opfer gibt es auch ein Foto, aufgenommen mit dem Handy des verdächtigen Beamten. Es zeigt den 19-jährigen Marokkaner, der zuvor beim Schwarzfahren erwischt worden war, in gekrümmter Haltung auf einem weiß gekachelten Boden liegend. Am Bildrand sind schwarze Stiefel zu erkennen.

Es ist verstörendes Material, das Journalisten des NDR zusammengetragen haben. Und es spricht einiges dafür, dass diese Zeilen und dieses Bild auch eine verstörende Wahrheit beschreiben. Die Staatsanwaltschaft Hannover hat Ermittlungen gegen den Polizeibeamten wegen des Verdachts der Misshandlung von Flüchtlingen aufgenommen. Bereits am Freitag ließ sie die Privatwohnung und den Arbeitsplatz des Beamten durchsuchen. Dabei wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft eine Waffe und Datenträger sichergestellt. Der Beschuldigte selbst ist nicht mehr im Dienst, befindet sich aber auf freiem Fuß.

Der Fall liegt anders als die Misshandlungen in Nordrhein-Westfalen

Vor etwas mehr als einem halben Jahr schockierten Bilder von gefolterten und erniedrigten Asylbewerbern in Flüchtlingsunterkünften in Nordrhein-Westfalen das Land. Die Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes hatten Menschen gequält und misshandelt. Die Täter hatten sich "Ruhm und Ehre" oder "Hass" auf den Körper tätowieren lassen, sie wurden "SS-Trupp" genannt. Und schnell konzentrierte sich alles auf die Frage: Wie konnte jemand diesen Menschen den Schutz von Flüchtlingen anvertrauen? Wie kann es sein, dass der Staat im Privatisierungs-Dickicht der Sub- und Subsubunternehmer die Übersicht verliert?

Genau deshalb geht der aktuelle Fall noch viel tiefer. Es handelt sich nicht um ehemalige Schläger im Dienste einer privaten Sicherheitsfirma, die der Staat in fahrlässiger Weise in eine Position hat kommen lassen, in die sie nie hätten gelangen dürfen. Vielmehr richtet sich der Verdacht gegen einen Bundespolizisten, einen uniformierten Vertreter der Staatsmacht. Für die Flüchtlinge muss es sich anfühlen, als hätte der Staat selbst zugeschlagen.

"Wenn man sich vorstellt, dass diese Menschen vor Krieg, Verfolgung und Misshandlungen geflohen sind, und dann durch die deutsche Staatsgewalt in eine solche Situation gebracht werden, wird hier ein Prinzip umgekehrt", sagt Maria Scharlau, Polizei-Expertin von Amnesty International. "Das Prinzip, das Deutschland Schutz bieten soll." Wenn ein Polizist Menschen festnehme, sagt Scharlau, dann seien sie ihm anvertraut. "Dieser Missbrauch wiegt extrem schwer."

Wussten Kollegen und der Vorgesetzte Bescheid?

Doch das Ausmaß des Skandals könnte noch größer sein. Nach NDR-Informationen gingen die Nachrichten des verdächtigen Beamten auch an seine Kollegen. Und in einer Botschaft schreibt er, sein direkter Vorgesetzter habe gesagt, "dass er ihn oben gehört hat" - gemeint ist der Flüchtling aus Marokko -, "dass er geqikt hat, wie ein Schwein". Wie viele Beamte die widerwärtigen Botschaften des Kollegen erhielten, darüber macht die Staatsanwaltschaft keine Angaben. Doch der Verdacht steht im Raum, dass Kollegen und der Vorgesetzte Bescheid wussten.

Wieso schwiegen sie? Oder aber: Wieso schwiegen sie so lange?

Die Ermittlungen gegen den Beamten beruhen auf zwei schriftlichen Anzeigen, die Anfang Mai bei der Staatsanwaltschaft Hannover eingingen. Wer sie einreichte, darüber gibt es keine Angaben. Die Staatsanwaltschaft teilt nur mit, dass es nicht die Opfer selbst oder Personen aus ihrem Umfeld waren. Und dass geklärt werden müsse, ob weitere Beamte an den Vorfällen beteiligt waren oder davon wussten.

Möglich also, dass Polizisten aus der Dienststelle am Hauptbahnhof in Hannover ihren Kollegen anzeigten, möglich, dass sie zu den Empfängern der Whatsapp-Nachrichten gehörten. Doch selbst wenn: Zwischen den beiden Fällen im März und September und den beiden Anzeigen liegen 14 beziehungsweise acht Monate.

"Eine solche Unkultur ist kein Einzelfall"

Immer wieder wird über Fälle von Polizeigewalt berichtet, immer wieder stellt sich die Frage, warum in vielen Fällen niemand zur Rechenschaft gezogen wird, und immer wieder lautet die Antwort: weil die Beamten schweigen. "Es ist kein Einzelfall, dass sich in einer Einheit eine solche Unkultur entwickelt und von den Beteiligten als richtig oder normal angesehen wird", sagt der Berliner Strafrechtler Tobias Singelnstein, der sich intensiv mit der Frage beschäftigt hat, warum Anzeigen gegen Polizisten so selten zu Anklagen führen. "Es gibt in der Polizei die ungeschriebene Regel, dass man Kollegen nicht anzeigt."

Thomas Feltes, Lehrstuhlinhaber für Kriminologie und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, spricht von einer "Subkultur": "Man macht in der Polizei keine Fehler. Und wenn doch, vertuscht man es. Das ist eine Erwartungshaltung, die von den Vorgesetzten bis hinauf in die Ministerien an die Beamten herangetragen wird."

Die Polizisten müssen sofort Anzeige erstatten - oder stillhalten

Doch Feltes sieht noch einen anderen Grund, warum Polizisten Verfehlungen von Kollegen häufig nicht melden. Polizisten müssen Straftaten, die sie mitansehen, melden - unverzüglich. Sonst drohen ihnen selbst strafrechtliche Konsequenzen. "Die Polizisten haben dann die Wahl: entweder zeigen sie ihren Kollegen sofort an - oder sie halten still, denn schon eine Stunde später machen sie sich strafbar wegen Strafvereitelung im Amt." Feltes fordert, das sogenannte Legalitätsprinzip abzuschaffen - oder den Beamten zumindest eine Frist von 48 Stunden bis zur Anzeige einzuräumen.

Die Polizei, sagt Singelnstein, "ist eine der gesellschaftlichen Institutionen, denen am meisten Vertrauen entgegengebracht wird". Gleichzeitig erhalte man nur schwer Einblick; die Polizei beschäftige sich "sehr defensiv und sehr ungern mit solchen Vorwürfen". Entscheidend sei jetzt deshalb, sagt Singelnstein, "wie die Polizei damit umgeht: Erkennt sie solche Fälle von Gewalt als strukturelles Problem an oder versucht sie, es unter den Teppich zu kehren?"

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat bereits mitteilen lassen, dass die Missbrauchsfälle in Hannover nach bisherigen Erkenntnissen "nur ein Einzelfall" seien. Dennoch sei zu befürchten, "dass es schon jetzt einen Imageverlust gibt".

Die Schreibweise der Zitate aus der Whatsapp-Konversation wurde unverändert übernommen.

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