Getöteter Eisbär:"Der wahr gewordene Albtraum"

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Ein Gespräch mit Expeditionsleiterin Birgit Lutz über einen in Spitzbergen erschossenen Eisbären, die Aufregung nach dem Vorfall - und die Frage, ob Touristen in die Arktis reisen sollten.

Interview von Max Sprick

Am Wochenende ist auf Spitzbergen ein Eisbär während einer Touristenexpedition von einem Eisbärenwächter erschossen worden, nachdem das Tier ein Crewmitglied bedroht haben soll. Seitdem wird auch die Frage diskutiert, ob solche Ausfahrten überhaupt noch zeitgemäß sind.

SZ: Frau Lutz, Sie fahren regelmäßig in die Arktis und leiten Expeditionen auch nach Spitzbergen. Ist Ihnen ein ähnlicher Fall bekannt?

Birgit Lutz: Nein. Soweit ich weiß, ist das das erste Mal, dass ein Guide eines Schiffs einen Eisbären getötet hat. Es kommt in Spitzbergen immer wieder zu Vorfällen, meistens wenn unerfahrene Touristen auf eigene Faust losziehen. Das, was jetzt passiert ist, ist wahrscheinlich ein sehr, sehr unglücklicher Unfall gewesen - und der wahr gewordene Albtraum der Expeditionstourismus-Branche.

Die Kritik am Veranstalter ist riesig.

Ich würde mir etwas mehr Besonnenheit wünschen, wie so oft. Wenn in Spitzbergen ein Eisbär getötet wird, ist das immer ein schwerwiegender Vorfall, der gründlich von der Verwaltung untersucht wird. Diese Untersuchung läuft noch, und was genau passiert ist, weiß man noch gar nicht. Aber der Eisbär ist ein ikonisches Tier. Das führt zu den jetzt heftigen Reaktionen.

Größter Kritikpunkt: Der Mensch hat in diesen Regionen nichts zu suchen.

Stimmt zum Teil. Aber es ist auch so: Wer nach Spitzbergen oder Grönland reist, kommt anders zurück. Wenn man in diese Regionen fährt, wo es keine Zeichen menschlichen Lebens gibt, nur Natur - das macht etwas mit einem. Zudem werden auf diesen Reisen Vorträge über das Ökosystem gehalten. Es sind Bildungsreisen. Auf einigen werden mittlerweile sogar kleine Forschungsprojekte ausgeführt. Ich habe viele Gäste, die vor Jahren in der Arktis waren und heute noch sagen, sie haben an ihrem Lebensstil etwas verändert. Solche Regionen brauchen Botschafter.

Warum?

Würde niemand hinfahren, wären es Eiswüsten. Aber die Bilder und Berichte tun diesen Regionen gut. So kann man ein Bewusstsein für ihren Schutz schaffen.

Andererseits bedrängt man auch den Lebensraum der dort heimischen Tiere.

Ja. Das ist der ewige Widerspruch, mit dem Anbieter dieser Reisen leben müssen und alle, die auf solchen Reisen arbeiten oder an ihnen teilnehmen. Wir beschäftigen uns auch mit diesem Widerspruch - dass man aus Liebe zu dieser Region der Region auch in einem gewissen Maß schadet. Das Bild, das nun aber gezeichnet wird, von "dummen Kreuzfahrern", denen praktisch der Weg freigeschossen wird, das ist nicht angemessen. Es ist schlicht falsch.

Inwiefern?

Der Tourismus in Spitzbergen ist enorm reglementiert. Der Sysselmannen, die norwegische Verwaltung und die AECO, ein Zusammenschluss fast aller Reiseanbieter in der Arktis, haben ein umfangreiches Regelwerk entwickelt, was Landgänge und Tierbeobachtungen angeht. Wer diese Regeln nicht beachtet, bekommt erstens Strafen und zweitens einen schlechten Ruf. Deswegen halten sich die meisten Anbieter strikt an diese Regeln, und die Guides und Expeditionsleiter sind entsprechend ausgebildet.

Hat der Tourismus in diese Regionen in den vergangenen Jahren zugenommen?

Ja, und da muss ich den Kritikern teils recht geben. Viele Kreuzfahrtanbieter bauen aktuell neue Schiffe, mehr als 20 neue werden in den kommenden Jahren in die Arktis fahren. Das erhöht natürlich auch den Druck auf diese Region. Aber: Es sind so viele Schiffe seit Jahrzehnten unterwegs, mitten im Bärenland, und so gut wie nie passiert etwas. Das ist kein Glück. Das zeigt, wie umsichtig vorgegangen wird. Dennoch ist mittlerweile ein Punkt erreicht, an dem man nachdenken muss, ob es nicht zu viel wird. Kein exklusives Problem der Arktis übrigens.

Wie kann es trotz der strengen Regeln zu einem Vorfall wie diesem kommen?

Es war - wahrscheinlich - einfach Pech. Vor jedem Landgang hält das Expeditionsteam Ausschau nach Bären, erst vom Schiff aus mit dem Fernglas, dann an Land. Ist irgendwo ein Bär, geht kein Mensch an Land. Bären haben aber eben die Gewohnheit, sich auch einmal hinzulegen, sich hinter Felsen zu verbergen oder in Bodenkuhlen Windschutz zu suchen. Es kann in der welligen Landschaft Spitzbergens passieren, dass man einen Bären erst dann sieht, wenn er aufsteht, und das kann auch in nur fünf Meter Entfernung sein.

Wie geht man dann vor?

Man muss ruhig bleiben. Sehen, was der Bär macht. Viele Bären interessieren sich gar nicht für so eine Reisegruppe, sie laufen weg, ohne einen zu beachten. Manche bleiben einfach liegen. Manche kommen neugierig näher. Und sehr wenige werden gefährlich. Das abzuwägen ist Aufgabe der Guides oder Eisbärenwächter. Besonnen zu reagieren. Den Bären mit Signalpistolen zu verscheuchen. Erst wenn alles nichts hilft, wenn der Bär sehr nahe ist und deutliche Anzeichen gibt, dass er auf Beute aus ist, muss man zum letzten aller Mittel greifen. Aber auch da gibt es unterschiedliche Ansichten. Es gibt Guides, die am liebsten ohne Waffen gehen würden: weil man ihrer Meinung nach, sobald man Waffen trägt, unvorsichtiger wird. Das ist eine Diskussion, die wir alle immer wieder führen.

Was ist Eisbärenwächter für ein Job?

Eine Unterscheidung zwischen Eisbärenwächtern und Guides ist selten, meist tragen Guides und Expeditionsleiter die Waffen selbst. Es mag Ausnahmen geben, aber diese Menschen sind in der Regel so ausgebildet, dass sie das Verhalten eines Eisbären einschätzen können - weil sie sich aus Liebe und Interesse zu diesen Tieren viel mit ihnen beschäftigt haben. Oft sind promovierte Biologen darunter. Diejenigen, die nun geschossen haben, tun mir wirklich leid. Die allergrößten Vorwürfe machen sie sich wahrscheinlich selbst.

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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