Der Strom an Menschen nimmt nicht ab. Auch am zweiten Tag nach dem Attentat mit fünf toten und sieben verletzten Polizisten zieht es Hunderte zum Polizei-Hauptquartier. Wieder kleben sie Briefe an die Scheiben der beiden Streifenwagen, die mit Stofftieren und Blumen überhäuft sind.
Umringt von Kameras werden ständig Hände geschüttelt, es fließen Tränen. Die Polizisten, die vor der Tür stehen, werden umarmt, bevor sie Essenspakete erhalten. Und weil viele Texaner noch gläubiger sind als die ohnehin religiösen Amerikaner, fassen sich immer wieder Menschen an den Händen und beten. Sie beten, um sich zu beruhigen - und sie beten für ihre Stadt und ihre Cops.
Auf der anderen Seite des Atlantiks wendet sich US-Präsident Obama in Warschau an die Presse und lobt die Arbeit des Dallas Police Department. Das DPD sei ein "Vorbild", weil die richtigen Schlüsse aus der Debatte um Polizeigewalt gezogen würden und die Zahl der Beschwerden gegen Cops zurückgegangen sei.
Dallas:Amerikas wichtigster Polizist
Nach der Tragödie von Dallas versuchen die USA, das Trauma zu bewältigen. Polizeichef Brown könnte den Weg weisen.
Dass Obama die Polizisten wenige Tage vor seinem Besuch in Dallas lobt, ist jedoch keine Floskel. DPD-Chef David Brown sprach mehrmals im Weißen Haus mit der Task Force zur Polizeireform. Die Horror-Bilder vom 7. Juli, live übertragen via Social Media, schockieren die USA noch immer - aber möglicherweise führt es dazu, dass sich viele der 18 000 Polizeibehörden ansehen, was sich von den Cops aus Dallas lernen lässt. Diese fünf Schritte sind besonders hervorzuheben.
1. Sichtbar sein und Dialog suchen
Ein Zauberwort in der Debatte heißt Community policing. Dahinter verbirgt sich die Forderung, dass die Beamten in den Stadtvierteln präsent sind, Schulen besuchen und Kontakt zu Latinos, Schwarzen oder Asian Americans halten. Der erste Schritt sei einfach, sagt David Harris von der University of Pittsburgh: "Die Beamten sollten so oft wie möglich ihre Autos verlassen und mit den Menschen sprechen."
All dies macht das DPD seit Jahren - unter #Footpatrol sind bei Twitter diverse Bilder von Polizisten zu sehen, die durch die Viertel von Dallas laufen. Überhaupt Social Media. Dass das DPD hier so aktiv war, befürwortet Experte Harris im SZ-Gespräch: "Die Polizei muss jede Chance nutzen, um ihre Arbeit zu zeigen. Social Media erleichtert die Kommunikation mit den Bürgern und daran hat es in der Vergangenheit oft gefehlt."
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Wie gut das Verhältnis zwischen den örtlichen "Black Lives Matter"-Aktivisten und der DPD war, belegt dieser Tweet: Wenige Stunden, bevor der Attentäter Micah Johnson die ersten Schüsse auf die Polizisten abfeuerte, posierten Beamten mit Teilnehmern der friedlichen Demonstration.
Gewiss: Fast alle Menschen in Dallas sind momentan traurig und schockiert, doch es spricht für sich, dass in zwei Dutzend Gesprächen kaum Beschwerden zu hören sind. "Seit David Brown Chef ist, hat sich unser Verhältnis sehr verbessert", sagt die Afroamerikanerin Naomi Baxter von "Mothers Against Police Brutality". Bei 3400 Beamten wird es immer wieder Fälle geben, in denen falsch reagiert wird, doch das Vertrauen der Bürger ist da - und die Frage "Warum ausgerechnet hier?" ist allgegenwärtig.
2. Bessere Ausbildung führt zu weniger Schießereien
Nachdem 2013 plötzlich deutlich mehr Polizisten in Schießereien verwickelt waren, ordnete Polizeichef Brown eine Überarbeitung des Trainings an. Es dauert nun vier Mal länger, die Szenarien orientieren sich an Gefahrsituationen aus dem Polizei-Alltag, Schauspieler werden eingesetzt, Kommunikationsstrategien empfohlen und das "best practice"-Verhalten immer wieder geübt. Auch die Intervalle zwischen einzelnen Kursen wurde verkürzt. Dieses Zwei-Minuten-Video der Dallas Morning News gibt einen guten Eindruck:
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Seit Juni sind die DPD-Führungskräfte auch verpflichtet, ein racial bias-Training zu machen, um sich mit möglichen Vorurteilen auseinander zu setzen. Major Max Geron spricht bei Konferenzen über andere Herausforderungen. Party-Sprüche wie "Oh, das dürfen wir nicht sagen, weil ein Cop anwesend ist" seien lustig gemeint, doch sie könnten dazu führen, dass die Beamten nur auf ihre berufliche Rolle reduziert werden. Hier seien die Vorgesetzten gefordert: Wann immer möglich sollte es der Dienstplan erlauben, dass sie weiterhin Sportvereine besuchen oder in Kirchen aktiv sein können. "Je mehr Facetten ein Polizist mitbringt, umso wertvoller ist er", argumentiert Geron.
Nach Einschätzung von Radley Balko, einem ebenso kritischen wie angesehenen Autoren, ist die Polizei in Dallas mit diesen Ansätzen recht erfolgreich. Sowohl die Zahl der Beschwerden als auch der Schießereien gingen zurück, es gibt Kooperationen mit NGOs, um den Umgang der Beamten mit psychisch Kranken zu verbessern. Und Brown hat in einem Dekret festgehalten, dass der Schutz der Leben aller Beteiligten oberstes Ziel des DPD ist.
3. Transparenz, Transparenz, Transparenz
Über die Arbeit des DPD ist so viel bekannt, weil alle Informationen von Schießereien, an denen Polizisten seit 2003 beteiligt waren, in einer Online-Datenbank verfügbar sind. "Diese Informationen sind nicht Eigentum der Polizei, sie gehören den Bürgern", so Brown. Die Daten sind zur besseren Verständlichkeit in Grafiken aufgearbeitet, die auf anderen Websites eingebaut werden können.
Bei jedem Vorfall, bei dem ein Cop einen Schuss abfeuert, werde angegeben, ob dieser weiß, schwarz oder Latino war, so Brown: "Dies ist ein Thema, dem wir nicht ausweichen wollen." Er hat es zur Pflicht erklärt, die Öffentlichkeit nach jedem Vorfall so schnell wie möglich zu informieren.
Demonstration gegen Polizeigewalt:Die Schüsse in Dallas treffen die USA ins Herz
Aus der friedlichen Demonstration in Dallas wird ein neues Trauma für Amerika. Schwarze und Weiße trauern gemeinsam um die Opfer. Die Bilder.
Dass diese und andere Reform-Schritte nicht bei allen Polizisten in Dallas gut ankommen, leugnet Brown nicht. Nach den tödlichen Schüssen auf den schwarzen Teenager Mike Brown in Ferguson schrieb er in einem Zeitungsbeitrag: "Wir tun unser Bestes, um so offen zu sein wie möglich. Das gefällt nicht allen Cops, denn so wird jeder Fehler, den wir machen, öffentlich und es führt zu mehr Kritik und möglichen Bedrohungen. Aber es ist der richtige Schritt."
4. Verantwortung übernehmen und Härte nach innen beweisen
Dass Brown Vergehen nicht toleriert, hat er deutlich gemacht. In seiner Amtszeit hat er mehr als 70 seiner Angestellten rausgeworfen, um deutlich zu machen, dass sich auch Cops an die Regeln halten müssen.
Unter Browns Führung geht das DPD sogar so weit, diese Entlassungen auf der eigenen Facebook-Seite bekanntzugeben ( ein Beispiel hier) und genau zu erläutern. In einer Zeit, in der viele US-Amerikaner mit schwarzer und brauner Hautfarbe das Gefühl haben, dass Polizisten über dem Gesetz stehen, ist dies ein ebenso klares wie drastisches Zeichen zur Vertrauensbildung.
USA:Das sind die fünf Todesopfer
Mittlerweile wurden die Namen der Polizisten veröffentlicht, die von dem Heckenschützen in Dallas erschossen wurden.
5. Polizisten sollen die Bevölkerung widerspiegeln
Dallas ist eine äußerst bunte Stadt: Ein knappes Drittel der Bevölkerung ist weiß, ein Viertel sind Afroamerikaner und die Latinos bilden mit mehr als 40 Prozent die deutlich größte Gruppe (drei Prozent sind asiatischer Abstammung). Nach einer Datenanalyse der New York Times gibt es in Dallas 29 Prozent mehr weiße Cops, als es einer genauen Repräsentation der Bevölkerungszusammensetzung entspräche, doch dies ist ein vergleichsweise guter Wert.
Wie wichtig es ist, dass sich in einem Multikulti-Land wie den USA die verschiedenen Einwanderergruppen auch unter Polizisten, Politikern und Richtern wiederfinden, haben Reformer wie Chief Brown längst erkannt. Als Afroamerikaner kennt er die Vorbehalte und seine Herkunft hilft in der momentanen Krisenlage, die Stimmung zu beruhigen.
Wenig Geld, aber trotzdem ein Vorbild
Natürlich ist die Lage beim Dallas Police Department nicht perfekt, was auch an den Finanzmitteln liegt. Im landesweiten Vergleich zahle die Großstadt eher wenig, berichen die Dallas Morning News, wodurch fähige Polizisten anderswo anheuerten.
Viele klagen über lange Schichten und viel zu viele Überstunden. Im Juni spendete der Milliardär Mark Cuban der Stadt eine Million Dollar, um 16 000 Arbeitsstunden zu finanzieren. Cuban, dem unter anderem das Basketball-Team der Dallas Mavericks gehört, reagierte damals auf den Anschlag in Orlando und kündigte weitere Spenden an.
Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, fordert in Interviews "landesweite Richtlinien" für den Einsatz von Schusswaffen durch Polizisten. Der Vorschlag klingt gut, doch wird sich im Alltag nicht durchsetzen lassen, da die Kommunen sich auch in den USA nur ungern Dinge vorschreiben lassen. Wenn sich jedoch andere Polizeichefs aus dem ganzen Land informieren, was in Dallas unternommen und immer wieder kritisch überprüft wird, dann wäre das ein großer Fortschritt.