Gesundheitswesen:Krankenkasse fordert mehr Obduktionen bei plötzlichen Todesfällen

Hat Ex-Pfleger noch mehr Menschen ermordet?

Im März 2015 wurde die Leiche eines möglichen Opfers von Niels H. exhumiert. Hätten mehr Obduktionen die Morde verhindern können?

(Foto: dpa)

So hätte vielleicht verhindert werden können, dass Krankenpfleger Niels H. unbemerkt Dutzende Menschen tötete.

Von Guido Bohsem und Annette Ramelsberger, Berlin/München

Nach der Entdeckung des größten Serienmordes in der deutschen Nachkriegsgeschichte an den Krankenhäusern in Oldenburg und Delmenhorst ist das Erschrecken auch in der Politik groß - nicht nur über den 39-jährigen Pfleger Niels H., der jahrelang Patienten tötete, sondern vor allem über die Ignoranz der Kliniken, die von den Taten offenbar wussten, aber nichts dagegen taten. Die Polizei hat 99 Leichen exhumiert und bei 33 Rückstände eines Herzmittels festgestellt, das der Serienmörder verwendet hatte. Niels H. wurde 2015 wegen zweier Morde zu lebenslanger Haft verurteilt und hat damals erklärt, für mehr als 30 Todesfälle verantwortlich zu sein. Die Staatsanwaltschaft führt gegen insgesamt acht Verantwortliche in den Kliniken Ermittlungen wegen des Verdachts des "Totschlags durch Unterlassen".

Der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme gab den Verantwortlichen am Mittwoch eine Mitschuld. "Es spricht vieles dafür, dass die Morde von Niels H. im Klinikum Delmenhorst hätten verhindern werden können", sagte Kühme. Spätestens im Jahr 2001 sollen die Verantwortlichen in Oldenburg von Auffälligkeiten gewusst haben - Niels H. aber wurde mit einem guten Zeugnis weggelobt.

Forderungen nach mehr Obduktionen

Der Vorstandschef der Barmer Ersatzkasse, Christoph Straub, appellierte an die Krankenhäuser, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Er warnte aber vor Aktionismus: "Nach neuen Gesetzen zu rufen, ist in dieser Situation nicht hilfreich." Stattdessen sollten die Kliniken ihre Sensibilität für solche Vorgänge schärfen. Hierbei könnten Qualitätssicherungs-Programme hilfreich sein. Zudem müssten mehr Obduktionen durchgeführt werden, nach einer verbindlichen Quote. Auch der stellvertretende SPD-Fraktionschef Karl Lauterbach sprach sich für mehr Autopsien bei plötzlichen Todesfällen aus. Er sprach von gravierenden Vorgängen. "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen". Er rief die Krankenhäuser auf, Unregelmäßigkeiten strikt zu verfolgen.

Einzelfall unter einer Million Krankenhausmitarbeitern

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warnte hingegen vor Verallgemeinerungen. "Dass diese Fälle erst jetzt ans Licht kommen, zeigt, wie unglaublich schwer solche Mordversuche oder Morde zu ermitteln und zu belegen sind," sagte er der Süddeutschen Zeitung. Er warnte vor einem "Generalverdacht gegen all' unsere Pflegerinnen und Pfleger, die sich tagtäglich für andere einsetzen - hier geht es um ein geplantes Verbrechen eines Einzelnen." Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft jahrelang nicht ermittelt - sonst hätten die Taten sehr viel früher nachgewiesen werden können.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft weist darauf hin, dass mehr als eine Million Menschen in den etwa 2000 Krankenhäusern des Landes arbeiten. "Die Vorgänge in Delmenhorst sind schrecklich, aber sie sind ein Einzelfall", hieß es. "Dadurch sollte niemand verunsichert sein." Auf der Intensivstation gehöre der Tod zur Arbeit. Dementsprechend werde nicht jeder Tod dort sofort als ungewöhnlich eingestuft.

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