Süddeutsche Zeitung

Gestaltung von Bordellen:Die neue Lust am Bau

Rote Plüschsofas und Samtgardinen waren gestern. Die halbe Rotlichtbranche befindet sich im Umbau. Nur: Wie sieht eigentlich ein Puff aus, der gar keiner mehr sein will? Ein Besuch bei Sabrina Schuhmacher, die in Augsburg das Bordell Cleopatra umgestaltet.

Von Gerhard Matzig

Es gibt Architekten, die Siedlungen für den Mars entwerfen. Es gibt Ingenieure, die sich mit unterseeischen Magnetschwebebahnen befassen. Es gibt Designer, die "Drogen-Leuchten" mit eingebauter LSD-Wirkung erfinden.

Und es gibt Sabrina Schuhmacher. Sie gestaltet Bordelle. Bordell-Anbahnzonen. Bordell-Sofas. Bordell-Badewannen. Bordell-Bars. Bordell-Lounges. Bordell-Lampen. Bordell-Betten.

Weshalb sie sich aktuell zum Beispiel Gedanken über die perfekte Bettenhöhe macht - "die Männer werden ja auch nicht jünger in Deutschland." In Augsburg baut sie gerade einen FKK-Club um. Es eilt. In ein paar Tagen soll der Club namens "Cleopatra" fertig sein. Schöner als vorher. Edler. Und "etwas gediegener, eleganter". Sagt Sabrina Schuhmacher. Sagen wir so: Auf jeden Fall wird das Cleopatra etwas weniger rotlichtig aussehen. Was aber nun auch nichts am Geschäftsmodell ändert.

Als einzige Angezogene zwischen vielen Nackten

In einer an bizarren Jobs nicht gerade armen Branche der Gestaltungskunst hat sich die 45-Jährige ein besonders spezielles Spezialgebiet ausgesucht. Übrigens ohne Architektin oder Innenarchitektin zu sein. Mit 16 hat sie eine Grafiklehre im Gong Verlag gemacht. Dort war der Vater Art Director. Sie war im Fotolabor, setzte Schriften, arbeitete im Layout.

Später hat sie Partys organisiert (zum Beispiel für die Bayerische Filmpreisverleihung). Oder sie richtete Clubs ein. Wie das "U2" am Frankfurter Ring in München. In grauer Vorzeit hätte man diesen Club als "Rockschuppen" bezeichnet. Charmanterweise illustriert die U2-Adresse sowohl Sabrina Schuhmachers Wahlheimat (München) wie auch den Geburtsort (Frankfurt).

"Tja, und irgendwann lernt man auf den Münchner Partys eben auch die Leute aus dem Milieu kennen. Für die sollte ich dann ein Bordell in Leipzig gestalten. Ich fand das interessant, damals."

In Leipzig hieß das Bordell "Aphrodite". Das Aphrodisiakum gelang offenbar auch in ästhetischer Hinsicht. Man war zufrieden im Milieu. Und so ist Sabrina Schuhmacher heute nicht nur eine Art Branchenprima, die alle möglichen Bordelle einrichtet oder umplant oder ausbaut oder sonst wie aufhübscht, sondern sie gehört auch zur Minderheit jener Frauen, die sich im Bordell keinerlei Blöße geben. In Augsburg wird sie deshalb liebevoll "Flitzer" genannt. Nicht weil sie nach Flitzer-Art nackt durch eine Szenerie Angezogener rennt, sondern weil sie umgekehrt angezogen in einer Szenerie Nackter arbeitet.

Das sind derzeit die Mitarbeiterinnen vom "Wellnessclub Nummer 1 in Augsburg", genauer: Cleopatra. Wobei die Mitarbeiterinnen ausweislich der Homepage des Bordells auch als "internationale Top Girls" firmieren und entsprechende Arbeitskleidung tragen. Nämlich gar nichts. Außer High Heels, die tatsächlich so aussehen, als benötigte man dafür einen Waffenschein, weil der Absatz die Form eines Revolvers hat.

Im Fachbuch für Bauentwurfslehre fehlt der Eintrag für Bordell. Es wird Zeit, dass sich das ändert

Sabrina Schuhmacher, die sämtliche Top Girls herzlich begrüßt, wirkt hier wie zu Hause. Es geht auf elf Uhr zu, Arbeitsbeginn (eines Tages, der erst im Morgengrauen zu Ende geht). Als Besucher und Cleopatra-Neuling konzentriert man sich dankbar auf die ausgebreiteten Pläne in der Lounge.

"Also", erklärt die Planerin, "hier kommt der Spa-Bereich hin, da der Club . . . so könnte einer der großen Tische aussehen, traditionell gearbeitet, und in der mächtigen Tischplatte wären balinesische Motive eingearbeitet, eindeutige Motive. Sie wissen schon . . . und so stelle ich mir schließlich die Betten vor. Grandios. Großzügig. So ein Bett hätte ich selbst gern."

"Im Lagerraum?"

"Lagerraum?"

"Ja, da steht ,Lagerraum' im Plan."

"Ach so. Stimmt. Das ist die frühere Fassung. Aber das sind keine Lagerräume."

"Sondern?"

"Sondern . . . das sind halt die Zimmer. Die, hm, Zimmer. Die Arbeitszimmer."

Die Arbeitszimmer. Viele Arbeitszimmer. Für ein knapp 3000 Quadratmeter großes Bordell, das in Dachau bei München im Herbst eröffnet werden soll. Nach Plänen von Sabrina Schuhmacher, die parallel auch in Augsburg arbeitet. Für die anstehende Umgestaltung des Münchner Traditionsunternehmens "Leierkasten" ist sie ebenfalls im Gespräch.

Wie aber sieht ein modernes, zeitgemäßes, freundliches Bordell aus? Wie schafft man Arbeitsräume, in denen die Beteiligten einerseits die nötige Diskretion haben, anderseits aber auch ein Gefühl der temporären Wohnlichkeit, ein möglichst angenehmes Umfeld?

Vordergründig geht es auch darum, wie man aus rotem Plunderplüsch so etwas wie ein smartes Lounge-Ambiente und aus einem grundsätzlichen Belle-Époque-Missverständnis so etwas wie zeitgemäßes Interior Design macht. Und zwar jenseits der rotlichternden, unter ästhetischen Aspekten meist irrlichternden Darkroom-Architektur, die oft so aussieht wie das schäbige Setting eines verwackelten Billig-Pornos.

Wobei auch zu verhandeln wäre, ob das alles nur eine Frage der Formen, der Farben oder der Worte ist. Schwierig. Eine des Geldes? Bestimmt. Es ist die Frage, ob sich hier eine Branche nur ein zeitgemäßes Ambiente gibt - oder ob es auch um ein neues Selbstverständnis geht. Das ist nicht dasselbe.

Und ist es ein Trend, der für die ungefähr 200 000 Prostituierten in Deutschland und für die vielen tausend Männer, die sich täglich Sex kaufen, irgendeine Bedeutung haben könnte? Über 50 Euro hinaus? Das ist eher der untere Laufhaus-Tarif. Aber ein Laufhaus ist kein Bordell. Und ein Bordell kein FKK-Sauna-Club, kein Swinger-Club und auch kein Eros-Center. Ach, schwierig.

In Stuttgart haben sich Architekturstudenten um den Sperrbezirk gekümmert

Aber deshalb ist man ja hier, bei Sabrina Schuhmacher. Man könnte allerdings auch in Bremen sein, wo Architekt Sven Lux schon vor Jahren ein Bordell der Zukunft entworfen hat. Zusammen mit einem neuen Stadtplatz, der für Offenheit statt für Sich-Verstecken eintritt.

Das Projekt - eine stadträumlich kluge Aufwertung des Rotlichtbezirks an der Helenenstraße, die sich nicht als sündige Meile, sondern als moderne Architektur versteht (abgesehen von der Ironie einer Fassade, die einem riesenhaften Plüschsofa nachempfunden werden sollte) - wurde nach langer Diskussion dann doch nicht realisiert. Bis jetzt. Aber es liegt griffbereit in der Schublade - man kann nie wissen.

In Stuttgart könnte man allerdings auch sein. Dort haben sich Architekturstudenten zuletzt stadtsoziologisch um den Sperrbezirk gekümmert. Aus Braunschweig und Hannover sind ebenfalls architektonische oder zumindest stadträumliche Überlegungen bekannt, mit den Problemzonen der Städte umzugehen. Und die Reeperbahn in Hamburg ist ohnehin seit Jahren eine Dauerbaustelle. Samt Gentrifizierungs- und Vertreibungsproblematik.

Es ändert sich offenbar etwas in der Gesellschaft. Das kann man nachlesen. Beziehungsweise eben nicht nachlesen. Im "Neufert" nämlich. Das ist das definitive Bauentwurfslehre-Fachbuch für Architekten. Es ist schon in der 40. Auflage erschienen. Verhandelt wird darin alles, was ein Raum sein kann.

Noch steht das Bordell nicht im Lehrbuch für Architekten

Eine Bauaufgabe, die nicht im Neufert steht, irgendwo zwischen "Altarraum" und "Zirkusarena", penibel mit Baunormen und Raummaßen versehen: gibt es eigentlich nicht. The House Of The Rising Sun taucht darin nicht auf. Aber wenn Sabrina Schuhmacher und ihre Kollegen fertig sind, dann muss das Bordell vielleicht doch irgendwann im Neufert Aufnahme finden: Platz wäre dort zwischen "Bootshaus" und "Boulderwand".

Die halbe Rotlichtbranche befindet sich im Umbau. Wie zuvor schon Gastronomie, Tourismus- und Wellness-Business entdeckt man nun auch im sogenannten ältesten Gewerbe der Welt (vielleicht ist das aber auch nur der älteste Mythos der Welt) die Mittel von Architektur und Innenraumgestaltung. Natürlich geht es ums Geschäft, die Bordellbetreiber müssen den Umsatz in Zeiten des ständig verfügbaren Online-Pornos steigern. Oder wenigstens stabilisieren.

Historisch gesehen war das Freudenhaus ja nicht immer ein Ort der hässlichen Heimlichkeit, des intimen Kitsches, der oft etwas Billiges hat. Mit Blick auf die Formschöpfungen der Belle Époque, also jener "schönen", etwa drei Jahrzehnte zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert umfassenden Epoche, die in Paris aus Bretterhütten (frz: "bordel") phantastisch ausgestattete, ambitioniert durchgestaltete Illusionsräume werden ließ, müsste man fast von einer Renaissance der Bordell-Architektur sprechen.

Zurück von Montmartre (der heute auch so aussieht, als habe er schon bessere Zeiten gesehen) in die mindestens ebenso ernüchternde Gewerbesteppe Augsburgs. Dort, Ostrachstraße 15, ist zwischen Logistikunternehmen, Getränke-Center, Solare Energiesysteme und nicht weit entfernt vom Gemeindezentrum der Syrisch-Orthodoxen Kirche, deren Standort den weltoffenen Anspruch der prächtigen Fuggerstadt Augsburg zum Ausdruck bringt, das "gewisse Etablissement" anzutreffen.

Das Cleopatra mag seinen Namen der letzten Königin des Ptolemäerreiches verdanken - aber tatsächlich ist es ein Bordell, das mehr nach Augsburger Rand als nach Hochkultur aussieht. Sabrina Schuhmacher arbeitet am Defizit. Mit schmalem Budget. Ersetzt wird beispielsweise alles, was rot ist. "Wenn ich hier fertig bin", sagt sie, "gibt es Rot als Farbe nur noch im Handy-Verbots-Schild." Die Lila-Töne kommen auch auf den Müll.

Die ganzen 1000 Quadratmeter des Anwesens, das vor 35 Jahren als Industriellen-Villa errichtet wurde, sollen nach und nach umgestaltet werden. Der Rollrasen ist verlegt. Ulf Franke, der Geschäftsführer, will einen "Top-Laden": "Schluss mit anrüchig. Modern soll es sein, sauber, ordentlich, transparent." Transparent? Also, das Geschäftliche betreffend.

Corvette und Rolex-Imitat sind Puffklischees von gestern

Franke sieht nicht so aus, wie man sich den typischen Bordellbetreiber vorstellt. Corvette und Rolex-Imitat sind Puffklischees von gestern. Aber um das Typische, das nicht mehr typisch sein soll, geht es ja. Deshalb wässert der Chef gerade den neuen Rollrasen.

Der Garten liegt Sabrina Schuhmacher am Herzen. "Als ich hierher kam", erzählt sie, "dachte ich, ich bekomme Augenkrebs." In Zimmer 4 gibt es einen kleinen Engel aus Keramik. Er hält sich die Augen zu und hat einen gebrochenen Flügel. "Kein Wunder", sagt Sabrina Schuhmacher, "armer kleiner Engel."

Bei laufendem Betrieb wird der Betrieb in Augsburg nun umgebaut, umgeformt, umgedeutet. Vor allem deshalb, weil der Puff nun mal kein Puff mehr sein möchte. "Sondern ein Club", so Franke. Wozu auch die Gestaltung gehört. Und immer öfter: Sabrina Schuhmacher. Sie ist dabei, in Deutschland eine Art Gestaltungsbeirat der Lust zu werden.

Cleopatras Top Girls jedenfalls bezeichnen die Deko-Domina gelegentlich sogar als "Patrona". Das ist eine Ehre in einer an Ehre nicht überreichen Sphäre, der man wünscht, dass nicht nur Pretty-Woman-Sehnsuchtsinseln mit den Mitteln des angesagten Lounge-Designs geschaffen werden. Sondern vielleicht, großes Wort, bessere Welten. Teile davon. Mit neuen Tapeten allein ist das nicht zu schaffen. Am Ende müsste ja nicht das Bordell, sondern eine ganze Gesellschaft umgebaut werden. Denn Prostitution ist nicht nur eine Frage der Formen. Beileibe nicht.

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Quelle:
SZ vom 26.04.2014
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