Geständnis im Mordfall Dennis:"Das Gefühl, wie sein Papa zu sein"

Ja, er habe die ihm zur Last gelegten Morde an drei kleinen Jungen begangen, lässt Martin N. vor Gericht erklären. Der mutmaßliche Serientäter gibt sich vor Gericht reuig, doch die Polizei-Protokolle zeichnen ein anderes Bild: das eines Mannes, der einem verstörenden Selbstbetrug erlegen ist.

Hans Holzhaider, Stade

"Ich bin entsetzt über meine Taten und empfinde tiefe Scham und Reue." Der Mann, der das vorträgt, der Hamburger Strafverteidiger Christian Esche, ist ein überaus seriöser älterer Herr in schwarzer Anwaltsrobe. Er spricht nicht für sich selbst, sondern für seinen Mandanten, Martin N., 40. Mit dieser Erklärung nimmt er Stellung zur Anklage: drei Morde, 20 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Martin N. ist der "Maskenmann".

Angeklagter gesteht drei Morde

Jahrelang war er ein Phantom, firmierte in der Presse als "Maskenmann": Im April dieses Jahres wurde Martin N. dann als mutmaßlicher Mörder von drei Jungen verhaftet - sein Gesicht will der 40-Jährige jedoch auch im Prozess nicht zeigen.

(Foto: dpa)

Mit einer schwarzen Wollmaske vermummt drang er in den Jahren 1992 bis 2001 immer wieder in Schullandheime, Jugendherbergen und Zeltlager in Norddeutschland ein, machte sich an einem oder mehreren der schlafenden Buben zu schaffen und verschwand dann wieder. Aber dreimal tötete er ein Kind, weil er fürchtete, es könnte ihn verraten: 1992 den 13-jährigen Stefan J., 1995 den achtjährigen Dennis R. und 2001 den neunjährigen Dennis K..

Eine eineinhalbstündige Erklärung hatten Martin N.s Verteidiger für den zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Stade angekündigt, tatsächlich war die Sache dann in zehn Minuten erledigt. In knapper Form wird der Lebenslauf des Angeklagten geschildert. Als er drei Jahre alt war, trennten sich die Eltern, er blieb mit seinen Brüdern bei der Mutter, an den Vater habe er kaum eine Erinnerung.

Mit fünfeinhalb besuchte er eine Sprachheilschule, die vierte Grundschulklasse musste er wiederholen, aber er schaffte es doch bis zum Abitur und studierte Mathematik, Physik und Pädagogik. Das Referendariat an einer Gesamtschule brach er nach einem Jahr ab, danach war er bei verschiedenen sozialpädagogischen Projekten angestellt - der Lebenshilfe in Bremen, der Jugendhilfe in Hamburg-Harburg. Beziehungen zu Mädchen gab es nie - "das hat mich nicht interessiert". Von 1996 bis 2000 hatte er ein Pflegekind in seiner Obhut. Er habe sich "in einer Art Vaterrolle" gefühlt.

Ähnlich dürftig wie die Angaben zur Biographie bleibt auch die Erklärung zu den Taten, die ihm vorgeworfen werden. "Ich habe Stefan J., Dennis R. und Dennis K. aus Furcht vor Entdeckung getötet", lässt er den Verteidiger vortragen. An sechs der Missbrauchsfälle könne er sich im Einzelnen nicht erinnern, sie lägen sehr lang zurück und hätten sich auch in immer gleichförmiger Weise abgespielt, "aber ich gehe davon aus, dass ich sie begangen habe".

Neun weitere Taten, die in der Anklage stehen, habe er dagegen nicht begangen. Es sind überwiegend Fälle, die nicht ganz in das übliche Tatmuster passen. Einmal etwa soll Martin N. am hellen Tag einen Jungen auf dem Schulhof vom Fahrrad gerissen haben - so etwas habe er nie getan. Er sei sich heute bewusst, dass er den Kindern und deren Eltern "unbeschreibliches Leid" zugefügt habe, heißt es am Ende der Erklärung. "Es gibt für mein Handeln keine Entschuldigung. Ich will für meine Taten einstehen. Während der langen Haftzeit werde ich versuchen, die Taten aufzuarbeiten. Dafür bitte ich um therapeutischen Beistand." Martin N., der sein Gesicht jetzt nicht mehr hinter einer Maske, sondern hinter einem wuchernden Vollbart verbirgt, sitzt stumm neben seinen Anwälten.

"Er war so süß"

Mehr Aufschluss als die knappe Verteidigererklärung gibt die Vernehmung des Angeklagten am 14. April 2011, dem Tag nach seiner Festnahme. Das Protokoll dieser Vernehmung wird nun verlesen, sie war offensichtlich recht mühsam. Immer wieder haben die Vernehmungsbeamten notiert: "schnieft", "weint", "spricht sehr leise". Er schildert, wie er bei einem Seminar in einer Schule Stefan J., sah, "er fiel mir auf, er war so süß, ich wollte ihn so gerne wiedersehen".

Wie er sich dann eines Nachts in das Internat schlich, wie er den Jungen aus dem Bett holte, ihn sich anziehen ließ und mit ihm nach draußen ging. "Ich wollte ihn unter der Kleidung anfassen, da fing er an laut zu werden. Dann ist mir klar geworden, jetzt kann ich den nicht mehr weggehen lassen, er hat die Autonummer gesehen. Da hab' ich ihn umgebracht." Wie der Junge zu Tode gekommen sei, fragt der Vernehmungsbeamte. "Ich hab' ihn gewürgt", sagt Martin N., und im Protokoll heißt es: "weint bitterlich".

Den achtjährigen Dennis R. holte N. aus einem Zeltlager und fuhr mit ihm in ein Ferienhaus in Dänemark, das er für eine Woche gemietet hatte. "Völlig verrückt", sagt er in der Vernehmung. "Der fand das total gut, das war für ihn wohl das Abenteuer". Mehrere Tage verbrachten sie zusammen in dem Ferienhaus, "wir sind zum Strand, haben Ausflüge gemacht. Der war total glücklich. Ich hatte so ein Gefühl, wie sein Papa zu sein." Dann ging die Woche zu Ende. "Hab ich Panik gekriegt. Ich konnte den Jungen ja nicht einfach zurückbringen. Da hab ich ihn erwürgt."

Nachdem er alle drei Morde auf diese lakonische Weise geschildert hat, zieht Martin N. in seiner polizeilichen Vernehmung ein verstörendes Fazit: "Eigentlich bin ich so gar nicht. Das passt gar nicht zu mir. Ich kümmere mich um alles. Eigentlich will ich immer das Beste für alle Menschen."

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