Geständnis im Marwa-Prozess:Und dann stach er zu

Ausländerhass oder Affekthandlung? Im Prozess um die im Gerichtssaal ermordete Ägypterin Marwa el-Sherbini hat der Angeklagte ein Geständnis abgelegt.

Hans Holzhaider, Dresden

"Es stimmt, dass ich eine ausländerfeindliche Gesinnung habe. Das ist aber nicht das Motiv zu dieser Tat. Heute kann ich selbst nicht mehr verstehen, warum ich dieses Verbrechen begangen habe."

Geständnis im Marwa-Prozess: Alex W. verbirgt sein Gesicht unter seiner Kapuze. Er hat im Juli die schwangere Ägypterin Marwa El-Sherbini im Gerichtssaal getötet.

Alex W. verbirgt sein Gesicht unter seiner Kapuze. Er hat im Juli die schwangere Ägypterin Marwa El-Sherbini im Gerichtssaal getötet.

(Foto: Foto: dpa)

Mit diesen Worten endet die Erklärung, mit der Alex Wiens, 28, zum ersten Mal selbst Stellung nimmt zu einer Tat, die Deutschland erschütterte und international Aufsehen erregte. Am 1. Juli 2009 hatte der Russlanddeutsche in einem Gerichtssaal im Dresdner Landgericht die 31-jährige Ägypterin Marwa el-Sherbini mit 16 Messerstichen getötet und ihren Ehemann Elwy Ali Okaz lebensgefährlich verletzt.

Am 26. Oktober begann der Mordprozess gegen Alex Wiens in demselben Gebäude, in dem er die Tat begangen hatte. Sechseinhalb Tage lang folgte er seitdem der Verhandlung und den Zeugenaussagen schweigend, immer mit tief über das Gesicht gezogener Kapuze. Am Mittag des siebten Prozesstages, nachdem der letzte Zeuge seine Aussage beendet hatte, teilten die Verteidiger Michael Sturm und Veikko Bartel mit, ihr Mandant wolle eine Erklärung abgeben. Selbst vortragen wollte Wiens seine Erklärung nicht. Immerhin sprach er zum ersten Mal seit Prozessbeginn zwei für das Publikum vernehmbare Worte: "ja" auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, ob es sich um seine eigene Erklärung handele, "nein" auf die Frage, ob er Fragen dazu beantworten wolle.

Alex Wiens hatte im August 2008 auf einem Spielplatz die Ägypterin Marwa el-Sherbini als "Terroristin" und "Islamistin" beschimpft, nachdem sie Wiens gebeten hatte, eine Schaukel für ihren dreijährigen Sohn Mustafa freizumachen. Das Amtsgericht Dresden erließ daraufhin einen Strafbefehl über 330 Euro, gegen den Wiens Widerspruch einlegte. In der Verhandlung vor dem Amtsgericht wurde die Geldstrafe dann auf 780 Euro erhöht. Dagegen legte Wiens Berufung ein, über die am 1. Juli 2009 vor dem Landgericht verhandelt wurde.

In seiner Erklärung schildert Wiens nun, der Strafbefehl habe bei ihm einen "totalen Schock" ausgelöst. Niemals habe er damit gerechnet, dass er wegen seiner Äußerungen auf dem Spielplatz bestraft werden könnte. "Ich habe drei Tage lang Schnaps getrunken. Ich empfand die Strafe als persönliche Bedrohung. " Er habe sich in einem "extremen Erregungszustand" befunden. Vor dem Amtsgericht habe er sich machtlos und vom Staat schikaniert empfunden. "Ich hatte das Gefühl, das Gesetz wird einseitig zu meinem Nachteil ausgelegt." Bei seinem geringen Einkommen - Wiens besserte seine Hartz-IV-Bezüge durch Gelegenheitsarbeiten auf - habe er keine Chance gehabt, die Strafe jemals zu bezahlen.

Vor der Berufungsverhandlung am 1.Juli habe er wochenlang unter starkem Stress gelitten, heißt es in der Erklärung weiter. Am Tag vorher habe er bis spät in die Nacht am Computer gespielt, weil er nicht schlafen wollte. Das Messer, mit dem er später auf Marwa el-Sherbini und deren Ehemann einstach, habe er schon seit Wochen in seinem Rucksack mitgeführt. Er habe nicht geplant, das Messer zum Angriff "auf die Zeugin oder ihren Mann" zu benutzen, "schon gar nicht" habe er an einen Angriff auf das Kind gedacht, das ebenfalls mit im Gerichtssaal war. Er könne sich erinnern, dass er in einer Verhandlungspause das Ehepaar el-Sherbini mit dem Kind im Flur auf einer Bank sitzen sah. "Wir hatten Blickkontakt, sie haben die Blicke abgewendet."

Für die Tat selbst kann der Angeklagte nicht einmal ansatzweise eine Erklärung liefern. Nach der Zeugenaussage von Marwa el-Sherbini habe er sie gefragt, warum sie nach Deutschland gekommen sei. Das habe er sich nicht erklären können. Er wisse dann noch, dass er aufgestanden sei. "Ich habe mir selbst das Kommando gegeben, sie anzugreifen". Von da an habe er nur noch "Erinnerungsinseln". Die Personen um ihn herum habe er nur noch als "Schattenrisse, ohne Gesicht" wahrgenommen. Er könne sich erinnern, "dass ich auf die Zeugin losging", dass jemand einen Stuhl nach ihm warf, dass er danach nochmals auf die Zeugin losging, dass der Mann ihm ins Messer gegriffen habe, und dass ein Schuss fiel. Eine kontinuierliche Erinnerung setze dann erst wieder ein, als er im Krankenhaus war. Später, in der Zelle, habe er drei Dinge bedauert: "Dass es geschehen war, dass ich mir mein Leben versaut habe, und dass ich nicht erschossen wurde." Zum Motiv könne er nur sagen, dass er wegen des Stresses und der Angst vor einer Gefängnisstrafe nicht mehr klar habe denken können. "Ich befand mich in einem Zustand von Angst und Panik."

Professor Heiko Lesch, der Elwy Ali Okaz als Nebenkläger vertritt, nannte die Erklärung des Angeklagten einen "durchsichtigen Versuch, die Tat als Affekthandlung darzustellen". Das widerspreche aber dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Wiens habe mehrmals davon gesprochen, dass Ausländer kein Lebensrecht in Deutschland hätten und dass er sie umbringen würde, wenn er eine Waffe hätte. "Damit ist das Motiv der Tat klar: Ausländerhass und Rassenhass", sagte Lesch. Am Donnerstag will das Gericht einen psychiatrischen Sachverständigen hören, das Urteil soll am 11. November fallen.

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