Gesellschaft:Auf Immerwiedersehen

Trainingslager für das wirkliche Leben und das Telefon als Medium der Missverständnisse: Nie gab es mehr Fernbeziehungen als heute, und sie sind besser als ihr Ruf.

Jenny Hoch

Bis später, Schatz", diesen Satz hat Kahan Ertik aus seinem Repertoire gestrichen. Dabei ist der 35-Jährige weder Single noch hat er ein Problem mit Frauen. Seit fast vier Jahren führt er eine glückliche Beziehung. Das Problem ist nur, dass Kahan Ertik 11.100 Kilometer überbrücken muss, um seine Freundin Iris Ahr, 32, zu sehen.

Er lebt in Frankfurt, sie in Lima, Peru. "Der kürzeste Flug dauert 18 Stunden", sagt Ertik, "da schaffen wir es höchstens dreimal im Jahr, uns zu treffen."

Der Betriebswirt ist bei einer großen deutschen Personalberatung angestellt, die Entwicklungshelferin berät die peruanische Regierung in Bildungsfragen. "Ich hätte es mir selbst und meinem Freund nie verziehen, wenn ich wegen unserer Beziehung meinen Traum, ins Ausland zu gehen, nicht wahrgemacht hätte", sagt sie. "Ich wollte ihr dabei nicht im Weg stehen, aber lieber wäre es mir schon, wenn wir zusammenleben könnten", sagt er.

Fernbeziehung als Kollateralschaden

Ob freiwillig oder unfreiwillig - immer mehr Menschen nehmen für ihre berufliche Selbstverwirklichung eine Fernbeziehung in Kauf. Als Kollateralschaden sozusagen. Experten schätzen, dass in Deutschland jede siebte Beziehung eine Fernbeziehung ist, das sind rund vier Millionen Paare.

Unter Akademikern ist der Anteil besonders hoch: Jedes vierte Paar führt - zumindest für einige Jahre - eine Wochenendbeziehung. In den USA liegen die Zahlen sogar noch höher: 75 Prozent der Collegestudenten lieben, wenigstens für eine gewisse Zeit, auf Distanz.

Auf jedem Bahnhof und jedem Flughafen der Republik bestätigt sich die Statistik Woche für Woche. Heerscharen Berufstätiger machen sich jeden Montag auf den Weg in einen Arbeitsalltag fern der oder des Liebsten. Jeden Freitagabend kehrt sich das Schauspiel um: Umarmungen und Küsse zum Wiedersehen auf dem Bahngleis oder in der Ankunftshalle.

Und im Internet geben sich allein gelassene Fernbeziehungshälften massenweise Tipps zur Überbrückung der Zeit ohne den Partner. Die wichtigsten Rubriken dieser Websites? Links zu Zugfahrplänen, Routenplanern, Mitfahrzentralen.

Im Zeitalter der Globalisierung ist der moderne Mensch eben immer auf Achse, ob privat oder beruflich. Flexibilität und Mobilität lauten die Schlagworte, die längst nicht mehr nur Managern, sondern zunehmend auch Paartherapeuten geläufig sind. "Fernbeziehungen werden immer mehr zur Selbstverständlichkeit", sagt der Paarforscher und Theologe Peter Wendl.

"Noch gelten sie unter Soziologen als unkonventionelle Lebensform und der Duden hat den Begriff ,Fernbeziehung' noch nicht aufgenommen, doch in Zukunft werden Liebesbeziehungen auf Distanz ganz erheblich zunehmen." Wendl forscht seit Jahren zu dem Thema.

Auf Immerwiedersehen

Mehr als tausend Paare hat er betreut, meist Bundeswehrsoldaten, die sich für Auslandseinsätze gemeldet hatten, und ihre Partner. Sein Ratgeber "Gelingende Fernbeziehung" war sofort vergriffen und ist dieser Tage in Neuauflage erschienen.

Längst sind nicht mehr nur Angehörige der Bildungselite vom Phänomen der Fernbeziehungen betroffen. "Da es in Ostdeutschland viel zu wenig Arbeit gibt, sind zum ersten Mal auch Handwerker und Arbeiter gezwungen, in andere Städte umzuziehen", hat Wendl beobachtet. Früher waren das typisch bodenständige Berufe.

Heute zieht ein Schreiner aus Schwerin bereitwillig nach München oder Zürich. Den allgemeinen Trend, für einen Job den Wohnort und oft sogar das Land zu wechseln, bestätigt das Statistische Bundesamt: Allein 2004 sind 150.000 Deutsche ins Ausland gegangen - die höchste Zahl seit der Gründung der Bundesrepublik.

Probleme gibt es in den Beziehungen auf Distanz natürlich viele. Fehlende Nähe, mangelnde Kommunikation und unerfüllte Sexualität sind nur einige davon. "Ohne dich bin ich wie ohne Arme, wie auf einer unbewohnten Insel", schrieb etwa der Schriftsteller Anton Tschechow an seine Frau Olga Knipper, mit der er wegen seiner Tuberkolose-Erkrankung nur wenige Wochen im Jahr verbringen durfte.

Blieb einem damals nichts anderes übrig, als sich mit Hilfe von Briefen auszutauschen, verringern heute Telefon und Internet die Distanz. Allerdings sei das Telefon das Medium der Missverständnisse, warnt Paarforscher Wendl: "Typisch ist dieses ,Du hast doch was...?' am Telefon, dabei ist nichts zwischen den Partner außer den Kilometern."

Das Wiedersehen, sagt Wendl, werde oft mit Erwartungen überladen. "Weihnachtseffekt" nennt er dieses Phänomen, das für Spannungen sorgt, Enttäuschung und Streit seien programmiert. Beim Abschied wiederum sollten lange, herzzerreißende Abschiedsszenen vermieden werden. Besser sei es, sich für den Abend etwas vorzunehmen.

Und, ganz wichtig: Nicht auseinander gehen, ohne dass ein Termin für das nächste Treffen feststeht.

Trotz allem, findet der Paarforscher, hätten Fernbeziehungen ein besseres Image verdient: "Fernbeziehungen sind ein Trainingslager für das wirkliche Leben." Gezwungenermaßen müssten die Partner lernen, miteinander zu kommunizieren, und genau das sei enorm wichtig für jede stabile Beziehung.

Außerdem haben Studien gezeigt, dass Fernbeziehungen nicht schneller enden als Nahbeziehungen. So verglich der amerikanische Psychologe Gregory Guldner für sein Buch "Long Distance Relationship - The Complete Guide" Paare, die durchschnittlich 500 Kilometer auseinander lebten, mit Paaren in Nahbeziehungen. Er stellte fest, dass sich schließlich 40 Prozent trennten. In beiden Gruppen.

Der Knackpunkt

Im Schnitt dauern Fernbeziehungen drei Jahre, danach ziehen die Partner entweder zusammen - oder trennen sich. "Diese Entscheidung ist der Knackpunkt", sagt Wendl, da höre er oft den Satz "Wir haben uns auseinander gelebt." Übersteht das Paar aber diese Krise, dann werde die Beziehung umso stabiler. Das haben mehrere amerikanische Studien gezeigt. Und davon ist auch Wendl, der selbst sieben Jahre lang eine Fernbeziehung führte, überzeugt.

Kahan Ertik und Iris Ahr jedenfalls wollen nicht länger als zwei Jahre in so großer Entfernung voneinander verbringen. "Jeden Abend gebe ich einem Foto anstatt meiner Freundin einen Gute-Nacht-Kuss, das kann doch nicht ewig so weitergehen", sagt Ertik. Wer aber zu wem ziehen wird, dafür haben sie noch keine Lösung gefunden. Denn am Telefon, sagen beide, lassen sich solche Dinge so schlecht bereden.

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