Süddeutsche Zeitung

Germanwings-Unglück:Leben nach dem Germanwings-Absturz

Ein Jahr, nachdem Copilot Andreas Lubitz 150 Menschen in den Tod flog, ist die Frage nach dem Wie abgehakt. Die Trauer der Hinterbliebenen nicht. Ein Besuch.

Von Christoph Dorner

Als David Nowak das letzte Mal an der Absturzstelle gewesen ist, hat er einen fingernagelgroßen Gegenstand für seine Freundin zurückgelassen: eine Plattenspielernadel. Juliane hat so gerne Musik gehört, sagt David. Ihre Schallplatten hat er mit zu sich nach Hause genommen, als er mit Julianes Eltern ihre Wohnung in Leipzig auflösen musste. Ein Paar Schuhe von Juliane hat er neben der Eingangstür seiner WG in Halle stehen gelassen - als würde die mitreißende junge Frau, die nach dem Abitur eine 20 Meter lange Mauer mit Zoo-Motiven bemalt und während des Studiums mit ausgefallenen Kunstaktionen im öffentlichen Raum auffällt, hier immer noch ein und aus gehen. David, 27, spricht gerne über Juliane. Dabei kommt er aber nie ohne ein Datum aus. Er sagt: "Für mich gibt es ein Leben vor dem 24. März 2015. Und eines danach."

An diesem Donnerstag ist es ein Jahr her, dass Juliane Noack morgens in Barcelona in eine Germanwings-Maschine steigt, es ist Flug 4U9525 nach Düsseldorf. Vorher hat die 30-jährige Schmuckkünstlerin nahe Valencia Urlaub gemacht, sie wollte einfach nur raus aus dem deutschen Winter. Am Meer hat sie Ideen für Ausstellungen gesammelt und sich auf die Geburt ihres ersten Kindes vorbereitet. Juliane ist im März 2015 seit zwei Jahren mit David zusammen und im dritten Monat schwanger. Sie wollen heiraten. Als sie vor dem Flug ein letztes Mal miteinander telefonieren, freuen sich beide auf ihr Wiedersehen. David will Juliane abends am Flughafen in Leipzig abholen. Doch dann kommt alles anders.

Dann die Gewissheit: Es war kein Unfall

Es ist 10.31 Uhr, als 4U9525 seine Reiseflughöhe verlässt und den Sinkflug einleitet. Copilot Andreas Lubitz sitzt zu diesem Zeitpunkt alleine am Steuer, er hat die Tür zum Cockpit von innen verriegelt. Auf Funksprüche reagiert er nicht. Neun Minuten später verschwindet die Maschine von den Radarschirmen. Sekunden später sind 150 Menschen tot, das Flugzeugwrack wird in den französischen Alpen gefunden. Es ist eine der schlimmsten Katastrophen der deutschen Luftfahrtgeschichte. Drei Tage später die Gewissheit: Es war kein Unfall, sondern eine Tat: Andreas Lubitz ist mit 144 Passagieren, darunter auch eine 16-köpfige Schülergruppe aus Haltern am See, und fünf Besatzungsmitgliedern gezielt in den Tod geflogen.

Die Frage nach dem Wie ist ein Jahr danach weitgehend beantwortet, die französische Untersuchungsbehörde BEA hat kürzlich ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Nach Erkenntnis der Ermittler hat der Copilot Antidepressiva eingenommen, er litt unter einem psychotischen Schub. Weil er schon während seiner Ausbildung 2009 wegen einer schweren depressiven Episode in Behandlung war, bereiten die Anwälte der Hinterbliebenen derzeit eine Zivilklage gegen die Flugschule der Lufthansa in den USA vor. Doch die Entschädigung ist den Eltern Jana und Frank Noack egal. Sie haben ihr einziges Kind verloren, bräuchten Antworten, die ihnen niemand geben kann.

David Nowak fühlt sich nach dem Tod seiner Freundin zunächst hilflos und leer. Er sucht nach einem Weg, die Trauer zu bewältigen, fährt zusammen mit Julianes Eltern nach Paris, um bei der Staatsanwaltschaft den Stimmenrekorder zu hören, der die letzten Minuten von Flug 4U9525 dokumentiert. Sie hören den ruhigen Atem des Copiloten, das Hämmern an der Tür des Cockpits, die Funksprüche und Warnsignale, dann wird es still. Der Gedanke, dass Juliane im Flugzeug in der ersten Reihe gesessen hat, lässt David lange keine Ruhe. Er besucht die Angehörigen-Treffen in Düsseldorf und den Unfallort in Frankreich. Sogar die Italienreise, die das Paar für den Sommer geplant hatte, macht er alleine mit dem Auto. Auch in seinem Glauben findet er mittlerweile wieder etwas Halt. David ist zwar noch nirgendwo angekommen, aber er ist jetzt immerhin auf einem guten Weg.

Auftritt bei Günther Jauch

Halle, Mitte November letzten Jahres: In der Galerie der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, deren Schmuckklasse Juliane Noack bis 2012 besucht hat, wird eine Auswahl ihrer figürlichen Arbeiten ausgestellt. In den Tierplastiken aus Kupfer und Aluminium, die mit einer bemerkenswert rohen Emotion aufgeladen sind, stecke viel von Julianes Wesen, sagt ihre Berliner Galeristin Katrin Eitner bei der Ausstellungseröffnung. Viele Angehörige und Freunde sind an dem Abend gekommen. Sie stehen kurz davor, einen Förderverein zu gründen. David lässt sein Lehramtsstudium mittlerweile ruhen. Er studiert jetzt Wirtschaft und lernt Stiftungsrecht. Drei Wochen später wird er im RTL-Jahresrückblick bei Günther Jauch auftreten, von Juliane und vom 24. März 2015 erzählen und um Spenden bitten.

Mit einer Stiftung, in die auch die potenzielle Entschädigung der Lufthansa einfließen wird, sollen künftig junge Künstler in der schwierigen Phase nach dem Studium unterstützt werden. Juliane kannte diese Situation zu gut, ehe sie langsam auf dem Kunstmarkt Fuß fasste. "Wir wollen ein Gedenken an Juliane schaffen, das sich nicht nur auf die Vergangenheit beruft. Es soll auch in die Zukunft strahlen", sagt David. Im September wird es in Halle eine Einzelausstellung von Juliane Noack geben.

Kurz vor dem Jahrestag des Germanwings-Absturzes ist David von der Nachlass- und der Trauerarbeit der vergangenen Monate erschöpft. In manchen Situationen verspüre er immer noch eine große Wehmut, erzählt er am Telefon. Julianes Aussehen, ihre Stimme, das alles sei ihm immer noch so nah. Am Mittwoch ist David zu der Gedenkfeier nach Frankreich aufgebrochen, im Gepäck ein neues Erinnerungsstück für seine Freundin.

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Quelle:
SZ vom 24.03.2016/vs
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