Germanwings-Absturz:Verdächtiger Hinflug

Investigators: Germanwings co-pilot tested descent on earlier fli

Wollte der Germanwings-Co-Pilot die A320 schon auf dem Hinflug zum Absturz bringen?

(Foto: dpa)

Hätte Andreas Lubitz aufgehalten werden können? Vielleicht. Der Kapitän des Hinflugs hatte zwar keine Chance, das verdächtige Verhalten des Co-Piloten auf dem Hinflug zu bemerken - die Flugsicherung hätte aber einschreiten können.

Von Jens Flottau

Als die französische Unfalluntersuchungsbehörde BEA am Mittwoch ihren ersten Zwischenbericht zum Absturz des Germanwings-Airbus veröffentlichte, standen zwei drängende Fragen im Raum: Hat Co-Pilot Andreas Lubitz etwa schon auf dem Hinflug versucht, den Airbus A320 absichtlich abstürzen zu lassen oder dies zumindest "geübt"? Und hätten sein Kollege, der Kapitän, und der Rest der Besatzung nicht etwas merken und sich dann weigern müssen, den Rückflug mit einem unberechenbaren Piloten anzutreten?

Der BEA-Untersuchungsbericht zum Flug 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf, bei dem am 24. März alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen waren, macht folgendes deutlich: Während des Hinfluges Düsseldorf-Barcelona am frühen Morgen drehte Lubitz, der wegen Depressionen behandelt werden musste und zeitweise arbeitsunfähig war, mehrfach an dem Rädchen, das dem Autopiloten die Zielflughöhe vorgibt.

Weil der Kapitän zu dem Zeitpunkt nicht im Cockpit war, hatte er keine Chance, das zu bemerken. Nicht er, sondern die Flugsicherung hätte mit viel Glück etwas von seinem seltsamen Verhalten mitbekommen können.

So seltsam verhielt Lubitz sich auf dem Hinflug

Dem Bericht zufolge befand sich die Germanwings-Maschine zur fraglichen Zeit gegen 8.20 Uhr auf einer Höhe von 37 000 Fuß, der Kapitän verließ für gut vier Minuten das Cockpit. 30 Sekunden, nachdem er verschwunden war, forderte die Flugsicherung in Bordeaux die Germanwings-Maschine auf, auf 35 000 Fuß zu sinken. Lubitz, der zu diesem Zeitpunkt als einziger Pilot im Cockpit sowohl für die Steuerung des Flugzeuges als auch die Kommunikation mit den Fluglotsen zuständig war, bestätigte die Anweisung und leitete plangemäß den Sinkflug ein. Bis hierhin alles Routine.

Doch dann reduzierte Lubitz die eingestellte Höhe für drei Sekunden auf 100 Fuß, nur um sie gleich auf 49 000 Fuß zu stellen und anschließend auf den korrekten Wert (35 000 Fuß) einzudrehen - Lubitz drehte also an dem Rad herum. Auf den bereits eingeleiteten Sinkflug hatte das aber keine Auswirkungen, denn er ließ die Sinkrate unverändert und er stellte den korrekten Wert nach kurzem wieder ein. Auch die nur für Sekunden gewählte Vorgabe 49 000 Fuß, die einen Steigflug hätte auslösen müssen, blieb deswegen folgenlos.

Ein paar Momente später wies die Flugsicherung den Germanwings-Jet an, auf 21 000 Fuß zu sinken, und wieder drehte Lubitz am Rad und ließ dieses Mal die Zielhöhe über einen Zeitraum von etwa zwei Minuten "die meiste Zeit" auf 100 Fuß. Kurz nach 8.24 Uhr ist der Türsummer zu hören und Lubitz entriegelte die Cockpittür, so dass sein Kollege wieder zurückkehren konnte.

Wie nah Lubitz daran war, schon den Hinflug zum Absturz zu bringen, ist nicht zu klären. Die Vermutung, er habe sein Vorhaben zumindest schon einmal durchgespielt, liegt aber auf der Hand. Sein Verhalten, an dem Knopf herumzudrehen, gilt in Pilotenkreisen als ungewöhnlich. "Wir spielen damit nicht herum", sagt ein erfahrener A320-Kapitän.

Bevor Lubitz auf dem Rückflug die A320 dann tatsächlich gegen einen Berg in den südfranzösischen Alpen steuerte, hatte er ebenfalls als Zielhöhe für den Autopiloten 100 Fuß eingestellt.

Darum überprüfte die Flugsicherung das Verhalten des Co-Piloten nicht

Die im Untersuchungsbericht veröffentlichten neuen Details legen auch nahe, dass Lubitz an jenem 24. März nicht im Affekt gehandelt hat, sondern das Szenario schon zuvor zumindest durchgegangen ist. Dafür sprechen auch andere Indizien, die Nachforschungen in Deutschland hervorgebracht haben. Demnach hat sich Lubitz im Internet über Möglichkeiten der Selbsttötung informiert.

Die an dem Höhenrädchen eingedrehten Werte werden, wie viele andere Parameter, auf dem Flugdatenschreiber gespeichert, den die BEA in den vergangenen Wochen akribisch ausgewertet hat.

Ein wichtiger Aspekt bei der Tragödie spielt in dem Untersuchungsbericht und auch in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Denn während die Kollegen an Bord die verdächtigen Handlungen Lubitz' nicht bemerken konnten, hätte die Flugsicherung die Möglichkeit dazu gehabt. Die Fluglotsen können sich nämlich bei allen mit einem sogenannten Mode-S-Transponder ausgestatteten Maschinen (wie der Germanwings A320) die von den Piloten gewählte Zielhöhe auf dem Radarschirm anzeigen lassen.

Vergebliche Kontaktaufnahme der Fluglotsen

Normalerweise tun sie das aber nicht, denn sie hätten viel zu viele Informationen gleichzeitig auf dem Schirm. Die Lotsen rufen die Information per Mausklick nur dann auf, wenn sie etwa überprüfen wollen, ob die Besatzung an Bord die richtige Höhe eingegeben hat. Beim Flug Düsseldorf-Barcelona gab es allerdings keinen Anlass für eine tiefergehende Recherche, da die Maschine nicht von den vorgegebenen Flughöhen abgewichen war. Derart stark variierende Zieleingaben (100 bis 49 000 Fuß) hätten auch leicht auf einen technischen Defekt oder einen unbedeutenden Übertragungsfehler hindeuten können.

Beim Unglücksflug 4U 9525 selbst hingegen war die Flugsicherung äußerst aktiv. Dem BEA-Bericht zufolge versuchte sie auf mehreren unterschiedlichen Frequenzen vergeblich, Kontakt zum Germanwings-Flug herzustellen. Sie bat auch ein anderes Germanwings-Flugzeug, es zu probieren - vergeblich.

Der Bericht, der ansonsten viel Bekanntes bestätigt, rekonstruiert auch die letzten Minuten des Fluges genauer. Sechs Minuten vor dem Absturz ist der Türsummer zum ersten Mal zu hören, eine halbe Minute später Klopfen und zwei Minuten später "dumpfe Stimmen", um Einlass bittend. Aber erst 90 Sekunden vor dem Crash sind "starke Schläge" gegen die Tür zu vernehmen, zuletzt 38 Sekunden vor dem Ende der Datenaufzeichnungen. Um 10.41 Uhr und sechs Sekunden stoppte der Rekorder "mit dem Aufschlag im Gelände".

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