Gerichtsvollzieher leben gefährlich:Wehrlose Einzelkämpfer

Kuckucksmänner dürfen keine Waffe tragen und müssen doch in Wohnungen, deren Besitzer bewaffnet sein können. In Karlsruhe wurde am Mittwoch ein 47-jähriger Gerichtsvollzieher bei einer Zwangsräumung erschossen. Walter Gietmann, Sprecher der 4500 deutschen Gerichtsvollzieher, hat so etwas schon lange kommen sehen.

Roman Deininger

Walter Gietmann ist seit 33 Jahren Gerichtsvollzieher, kein Job, mit dem man sich beliebt macht. Unlängst stand eine Zwangsräumung an. Kurz zuvor hörte er, dass der Schuldner ihm in der Nachbarschaft gedroht habe: Soll der Kuckucksmann nur kommen, ich warte mit meiner Pistole. Gietmann fragte nach, ob auf den Namen Waffen registriert sind. Nein, antwortete die Polizei. Dann ging er zu der Wohnung, er allein mit den Möbelpackern, und alles ging gut. Der Mann hatte keine Pistole, er war sogar richtig nett. Aber Gietmann sagt: "Heute würde ich das nicht mehr tun."

Zwischen unlängst und heute liegt der Mittwoch, an dem in Karlsruhe ein 47- jähriger Berufsgenosse Gietmanns bei einer Zwangsräumung erschossen wurde, ein Familienvater wie er. Vier weitere Menschen starben, unter ihnen der Täter. Dass Gerichtsvollzieher ein gefährlicher Beruf ist, wissen jene, die ihn ausüben, natürlich längst - vor zehn Jahren hat Gietmann einen Kollegen und Freund verloren, als ein Schuldner in Köln bei einer Räumung eine Gasexplosion auslöste. Jetzt hat auch die Öffentlichkeit die Gefahr bemerkt. Wenn die Polizei an einer Tür klingle, sagt Gietmann, dann immer zu zweit. Der Gerichtsvollzieher dagegen sei ein Einzelkämpfer.

Die Möbelpacker warten für gewöhnlich erst mal draußen, aus Höflichkeit. Ein Schlosser kommt nur mit, wenn es Hinweise gibt, dass der Schuldner nicht zu Hause ist oder nicht öffnen wird. Und die Polizei wird meistens erst angefordert, wenn die Probleme schon da sind. Im Vorfeld, berichtet Gietmann, könne man das Risiko nun mal schwer abschätzen: "Oft kennt man die Betroffenen ja gar nicht. Viele gehen vor der Räumung nicht mal ans Telefon." In Karlsruhe begleitete noch ein Sozialarbeiter der Stadt den Gerichtsvollzieher, das ist anderswo nicht üblich. Den Sozialarbeiter ließ der Täter vor seinen Morden gehen.

Gerichtsvollzieher dürfen keine Waffe tragen

Gietmann ist Vorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieherbundes, er vertritt 4500 Kollegen. Über ihre Sicherheit wird nach Karlsruhe diskutiert, manche fordern ihre Bewaffnung. Gietmann lehnt das ab, man sei ja nicht die Polizei. Bisher erhalten Gerichtsvollzieher nur in Einzelfällen einen Waffenschein. 2011 wurde einem Gerichtsvollzieher das Tragen einer Waffe gerichtlich verboten - seine Berufsgruppe sei ja nicht allgemein gefährdet. Ihm und seinen Kollegen werde immer weniger Respekt gezeigt, klagt Gietmann. Der Gerichtsvollzieherbund fordert deshalb schon lange eine bessere Ausbildung. Die wird von den Bundesländern unterschiedlich gestaltet. "Überall kommen Psychologie und Deeskalation viel zu kurz", sagt Gietmann.

In der Regel gehen Gerichtsvollzieher aus dem mittleren Dienst der Justiz hervor, sie durchlaufen eine 20-monatige Zusatzausbildung. In Baden-Württemberg sind dabei vier zweistündige Seminare zur "Gesprächsführung" vorgesehen, und fünf zweistündige Seminare zur "Eigensicherung". Die Gerichte, denen die Gerichtsvollzieher unterstehen, bieten ab und zu Fortbildungen an, auch mit "Übungen zur waffenlosen Selbstverteidigung". Da lernt man zum Beispiel, stets so zu stehen, dass man eine Wohnung schnell verlassen kann. Vor zwanzig Jahren gab es noch nicht einmal das.

Baden-Württemberg will nun das erste Bundesland werden, das Gerichtsvollzieher in einem dreijährigen Fachhochschulstudium ausbildet. Die Gefahrenvermeidung soll mehr Raum bekommen, das Konzept ist schon fertig. Die Chancen auf eine schnelle Umsetzung sind jetzt wohl gestiegen.

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