Die Geschichte klingt nach einem Märchen, wenn auch nach einem monströsen: Es war einmal eine reiche Familie aus altem hugenottischen Adel. Die lebte in einem Schloss in Südwestfrankreich nahe dem Städtchen Monflanquin. Eines Tages tauchte ein junger Mann namens Thierry T. auf. Er wurde als Chef einer Reinigungsfirma von einer Frau aus dem Adelsgeschlecht beauftragt. Bald begann er, Gehirne zu waschen.
Großmutter, Kinder und Enkel - insgesamt elf Menschen - gerieten in seinen Bann und wurden allmählich zu Gefangenen im eigenen Haus. Angst und Paranoia überwucherten den Adelssitz wie einst die Ranken das Schloss Dornröschens. Als die Familie, nach fast zehn Jahren, aus ihrem Albtraum erwachte, war sie ruiniert.
Nun muss sich das Landgericht von Bordeaux mit dem bizarren Fall befassen. Dort ist der heute 48 Jahre alte Thierry T. wegen Freiheitsberaubung und Ausbeutung psychisch Abhängiger angeklagt. Immobilien, Geld, Schmuck und Möbel im Gesamtwert von schätzungsweise 4,6 Millionen Euro soll er der Familie V. nach und nach abgeschwatzt haben. Der Staatsanwalt sagt, Thierry T. habe die Schlossbesitzer wie ein Vampir ausgesaugt.
2001 war die feindliche Übernahme der Familie gelungen
Dabei wirkt der schmächtige Mann mit der randlosen Brille im jungenhaften Gesicht weder wie ein Blutsauger noch wie ein Guru. Er selbst stellt sich allerdings als eine Art Übermensch dar.
Von den Habsburgern stamme er ab, und schon im Alter von zwölf Jahren sei er aus einer Transall abgesprungen und habe ein Fallschirmspringerabzeichen erhalten. Später hätte er Tennis- oder Fußballprofi werden können. Doch er erwarb lieber zahlreiche Diplome, unter anderem in Jura und Marketing, wirkte für die Vereinten Nationen und die Nato und verdingte sich als Geheimagent, wobei er ein Vermögen verdiente.
Die Vorsitzende Richterin bezweifelt all das. T. stieß 1999 auf die Familie V. in ihrem Schloss. Intelligent, beredt und psychologisch geschickt, wie er war, gewann er bald das Vertrauen der Adelsfamilie. Laut der Anklage erhob sich Thierry T. zu ihrem Strategie-, Vermögens- und Lebensberater. Und er verstand es, den Clan von sich abhängig zu machen. 2001 soll er ihn bereits beherrscht haben. Die feindliche Übernahme der Familie V. war gelungen.
Relativ schnell, so rekonstruierte die Staatsanwaltschaft, rückte Thierry T. mit einem angeblichen Geheimnis heraus. Er redete der Familie V. ein, sie werde von einer Verschwörung bedroht, hinter der - die Mischung macht's - Freimaurer, Pädophile und Rosenkreuzer steckten. Er, Thierry T., werde das Adelsgeschlecht retten. Die V.'s sollten sich seinen Anordnungen unterwerfen, so wenig Kontakt wie möglich mit anderen Menschen pflegen und sich in ihrem Schloss einigeln. Er werde ihr Vermögen in Sicherheit bringen.
Die Familie V. - und nun wird es wirklich märchenhaft - glaubte dem großen Manipulator. Und sie folgte ihm. "Wir lebten in einer totalen Paranoia, mit einer Art Psycho-Pistole an der Schläfe", beschrieb es die Zeugin Diane V. jetzt im Prozess. Eine andere Familienangehörige sagte: "Thierry T. hat uns in Untermenschen verwandelt. Wir waren in einer anderen Welt und physisch wie psychisch sehr erschöpft."