Eine Schlägerei im Gefängnis: Ein verurteilter Sexualstraftäter wird in seiner Zelle von mehreren Mitgefangenen verprügelt. Unter anderem bekommt er ein Essenstablett aus Metall an den Kopf, seine Nase bricht, ebenso ein Halswirbel. Wer ihn angegriffen hat, darin kann oder will sich der Gefangene nicht erinnern. Der Fall wäre damit abgeschlossen - gäbe es nicht einen Zeugen, dem einer der Angreifer die Tat gestanden haben soll.
An diesem Montag treffen sich die Männer deshalb vor dem Amtsgericht in Freiburg wieder. Alle drei tragen Handschellen, sieben Beamte wachen über sie, schließlich handelt es sich bei dem Opfer, dem Zeugen und dem mutmaßlichen Täter um Verbrecher in besonders schweren Fällen.
Das Opfer des Angriffs, der rumänische Lastwagenfahrer Catalin C., wurde vor zwei Jahren für die Vergewaltigung sowie den Mord an einer Joggerin in Endingen bei Freiburg zu einer lebenslangen Haftstrafe verturteilt. Catalin C. habe mit "enormer Brutalität und absolutem Vernichtungswillen" gehandelt, sagte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung im Dezember 2017.
Der mutmaßliche Angreifer ist ein 27-jähriger Türke, der 2016 wegen Mordes ebenfalls zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Er hatte sich mit zwei anderen Männern in einer Winternacht auf einem Feld nahe der A 5 bei Neuenburg für ein Geschäft getroffen, am Ende war einer tot, erschlagen mit Holzpfählen. Bundesweit bekannt wurde der Prozess vor allem, weil Rapper Fler als Zeuge aussagte; der dritte Mann war ein deutscher Rapper, der freigesprochen, wieder vor Gericht gestellt und erneut freigesprochen wurde.
Gewalt? Komplett normal
Und schließlich der Zeuge, der den Prozess nun erst ins Rollen brachte: Christian L., der als Haupttäter im Fall Staufen gilt. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin soll er deren Sohn mehr als zwei Jahre lang missbraucht und Männern aus dem In- und Ausland gegen Geld für Vergewaltigungen überlassen haben. Im August 2018 wurde er zu zwölf Jahren Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilt.
Im Juni 2017, während Catalin C. noch auf seinen Prozess wartete, begegneten sich die beiden Mörder in Untersuchungshaft. Der 42-jährige C. war neu im Gefängnis, als er in seiner Zelle attackiert wurde. So berichtet es Lars Petersen am Montagabend am Telefon: Der Sprecher des Freiburger Amtsgerichtes begleitet den Prozess. Warum es zu dem Übergriff kam? Petersen will nicht spekulieren. Doch der Grund liegt auf der Hand: Catalin C. ist ein Sexualstraftäter.
Gewalt ist im Knastalltag an der Tagesordnung. Von einem "besonderen Risiko" für Gefangene, deren Tat bekannt ist und von den Mithäftlingen als negativ bewertet wird, spricht das Justizministerium Baden-Württemberg. "Erfahrungsgemäß ist dies insbesondere bei Straftaten der Fall, die sich gegen Frauen und Kinder richten", heißt es auf eine Anfrage der SZ.
Selten dringt etwas nach außen
Etwas deutlicher drückt es Manuel Matzke aus: "Sexualstraftäter, Stalker und Brandstifter stehen ganz unten in der Gefängnishierarchie. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sexualstraftäter im Vollzug zum Täter wird, geht gegen Null." Matzke ist vor fünf Jahren in Sachsen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, unter anderem wegen Raub, Betrug und Körperverletzung.
Heute ist er Freigänger und Sprecher für die Gefangenen-Gewerkschaft Bundesweite Organisation (GG/BO), die sich für die Anliegen der Inhaftierten einsetzt. Für einen Mindestlohn im Gefängnis etwa, aber auch, wenn Häftlinge untereinander Probleme haben. "Im Gefängnis gilt das Recht des Stärkeren", sagt Matzke. Ein "rauer Umgangston" herrsche hier, "auch körperliche Auseinandersetzungen passieren immer wieder".
Dennoch werden Konflikte im Gefängnis nur selten öffentlich. Noch seltener sind sie Teil einer gerichtlichen Auseiandersetzung. Das Gefängnis ist eine abgeschottete Welt, zu groß ist offenbar die Angst vieler Häftlinge, Übergriffe zu melden. Wie viele es genau sind, ist deshalb schwer zu sagen. Zumal es eine bundesweite Statistik nach Auskunft des Bundesjustizministeriums nicht gibt, da der Strafvollzug in den Händen der Länder liegt.
Es gibt immerhin eine Studie zu dem Thema: Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat 2012 zahlreiche Inhaftierte in ganz Deutschland befragt. Mehr als die Hälfte erlebten mindestens einen Vorfall, bei dem Lügen über sie verbreitet oder sie direkt verbal angegriffen wurden. Mindestens jeder vierte Gefangene sei schon Täter oder Opfer gewesen. Vor allem der Jugendvollzug und die Untersuchungshaft, wo immer neue Gefangene hinzukommen und das Machtgefüge sich ständig verändert, gelten als Orte mit hohem Konfliktpotenzial.
Mit Tat geprahlt
Hilfe finden die meisten Gefangenen eher bei Mithäftlingen, nicht beim Personal. Etwa acht Prozent der Befragten gaben in der Studie an, dass sie in der Anstalt von Bediensteten beschützt werden. Der weitaus größere Anteil steht offenbar unter dem Schutz von anderen Mitgefangenen. Und diesen Schutz will kaum jemand aufs Spiel setzen. "Mauer des Schweigens", nennt Matzke das Gefängnis: "Wer etwas sagt, hat verloren", gelte als Verräter und stehe alleine da.
Catalin C. berichtet an diesem Montag vor Gericht nicht, wer ihn attackiert hat. Er spricht von einer "großen Anzahl" an Angreifern, erkannt haben will er die Täter aber nicht. Dass der "Feldmörder von Neuenburg", wie er in der Lokalpresse genannt wird, dennoch angeklagt wurde, hat er vor allem Christian L. zu verdanken. Im Gefängnis soll der 27-Jährige mit der Tat geprahlt haben. Das zumindest behauptet der Staufener Missbrauchstäter, der inzwischen in Schwäbisch Hall mit Catalin C. gemeinsam im Gefängnis sitzt.
Der 27-Jährige bestreitet die Tat vor Gericht, dennoch drohen ihm nun bis zu zehn Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung. Noch läuft der Prozess, weitere Zeugen sind geladen. Am 20. Dezember werden die beiden verurteilten Mörder erneut vor Gericht zusammentreffen.