Geplante Bergung der "Costa Concordia":Traumatherapie für 300 Millionen

Die Taucher sind weg, die ersten Schweißer demnächst unter Wasser zugange. Die Bergung der "Costa Concordia" wird noch Monate dauern - und mindestens 300 Millionen Euro kosten. So werden die Anwohner das Unglück erst einmal nicht vergessen können, so gern sie es auch wollen.

Andrea Bachstein, Giglio

Nachdenklich lässt er den blauen Schlüssel durch die Hand gleiten, "den gebe ich jetzt ab", sagt Paolo Melandri. Heute ist sein letzter Tag auf Giglio, er verlässt das Ferienappartement und das toskanische Inselchen. Urlaub war das nicht für ihn, sondern Schwerarbeit. Melandri ist Feuerwehrtaucher aus dem Provinzhauptort Grosseto, einer der Froschmänner, die über Wochen und Wochen die Costa Concordia durchsucht haben. "Es ist Zeit, dass hier wieder Normalität einkehrt", sagt er.

Costa Condordia

Ein Tourist badet in der Nähe des Wracks der Costa Concordia auf der Insel Giglio. Jetzt wurden die letzten Rettungstaucher abgezogen.

(Foto: dpa)

Vier Monate ist es her, dass das Kreuzfahrtschiff am 13. Januar, von Klippen aufgeschlitzt, mit schwerer Schlagseite direkt vor Giglio auf Grund gelaufen ist. Wegen eines absurden Manövers des nun weltweit berüchtigten Kapitäns Francesco Schettino, der für die 4229 Menschen an Bord die Verantwortung trug. Die Evakuierung verlief chaotisch, für 32 Menschen endete die Kreuzfahrt im Tod, zwölf von ihnen Deutsche.

Melandri und seine Kollegen haben einen harten Job gemacht. Belastend ist die Suche nach Vermissten, wenn keine Überlebenden mehr zu erhoffen sind, schwierig und gefährlich war sie auch. Alles ist verschoben und verkeilt in dem Schiff, es ist um 65 Grad geneigt. "Sich auf Wänden zu bewegen statt am Boden, ist was ganz anderes", sagt Melandri. Eine Zeitlang rutschte das Wrack, was höchst riskant für die Taucher war. Im dunklen, von aufgelösten Lebensmitteln und Unrat trüben Wasser sahen sie stellenweise nur 20 Zentimeter weit. Jetzt sagt Melandri: "Es tut mir sehr leid, dass wir zwei Menschen einfach nicht finden konnten", eine Sizilianerin und ein Besatzungsmitglied aus Indien. "Heute werden die Letzten von uns abgezogen, es gibt im Moment nichts mehr zu tun für uns."

Statt Rettungs- kommen jetzt Sporttaucher

Die gelben Rettungsboote der Concordia sind aus dem Hafen verschwunden, genauso die Ü-Wagen und Journalisten aus aller Welt. Am Wochenende kommen die Sporttaucher, die das Meer rund um Giglio wegen der abwechslungsreichen Unterwasserwelt lieben. Bis auf die Wrackzone ist alles freigegeben.

Domenico Battistello, groß, grauhaarig, sonnengegerbt, führt ein Tauchsportunternehmen auf der Insel. Bisher laufe es dieses Jahr ganz gut, sagt er in seinem Laden unweit vom Hafen. "Falls weniger Leute kommen, liegt das vielleicht an Mario Monti oder Silvio Berlusconi - an der Wirtschaftslage eben, nicht an der Concordia." Die Insulaner hatten anfangs große Sorgen, Öl und Abwasser aus dem Wrack könnten Meer und Küste verseuchen. Doch die mehr als 2000 Tonnen Treibstoff wurden abgepumpt, ohne dass es zu einer Ölpest kam.

Natürlich schauen auch Neugierige wegen des Wracks vorbei", sagt Battistello. Ob die Neugierigen gut sind für die Insel, darüber gehen die Ansichten auf Giglio auseinander. Anfangs fanden vor lauter Schaulustigen auf der Fähre kaum noch die Kinder Platz, die am Festland zur Schule gehen. Und auch jetzt trifft man noch Wrack-Touristen. Drei Segel-Freunde aus Berlin schauen hinüber von der Punta Gabbiana, wo man auf Giglio dem Wrack am nächsten steht. Die Insel haben sie nur wegen der Concordia angesteuert, sonst wären sie mit ihrem Katamaran direkt nach Elba gesegelt.

Beten für die Opfer

Marlene und Roger Hamshaw kommen aus Halifax in Kanada. Das Paar im Rentenalter ist ein paar Tage in der Toskana unterwegs - Zwischenstation auf einer Kreuzfahrt. "Ich will das einfach fotografieren, ich will das sehen", erklärt Roger Hamshaw. Die beiden wirken nicht wie die Leute, derentwegen die Gigliesi jetzt auf Schildern Besucher um Respekt bitten und um Abstand zum Wrack. Die Hamshaws fühlen sich von dem Unglück berührt, erzählen sie, obwohl sie niemanden kennen, der auf der Concordia war. Aber sie haben auch einige Kreuzfahrten hinter sich. "Uns hätte das genauso zustoßen können", sagt Marlene Hamshaw. Sie hat sich vorgenommen, auf Giglio für die Opfer zu beten.

Hilfe ist Hilfe, Geschäft ist Geschäft

Bei der Überfahrt nach Giglio drängen sich viele Fährpassagiere mit Kameras und Handys steuerbords an der Reling, sobald die Concordia in Sicht kommt. Von fern könnte man den weißen Riegel für ein ans Ufer geknalltes Appartementhaus halten. Aus der Nähe sieht das Schiff jetzt verändert aus. Anfangs wirkte der auf die Seite geworfene High-Tech-Koloss fast surreal. LED-Lichter blitzten noch durch die Fenster, und wo die Wunde in ihrem Rumpf nicht sichtbar war, wirkte die Concordia unversehrt. Nun ist der weiße Lack ermattet, das Rot von Wetter und Brandung geblichen. Rost wächst in dem Loch, aus dem die abgebrochene Felsspitze ragt. Die Fenster sind stumpf, am Oberdeck fehlt ein Teil einer Bedachung.

Paolo Fanciulli schaut jeden Tag auf das Wrack, wenn er durchs Fenster blickt oder aus der Tür seines erhöht gelegenen Hotels "Bahamas" tritt. So sah Fanciulli am 13. Januar auch, dass etwas nicht stimmte mit dem großen Schiff, das sich eigenartig lange nicht bewegte. Als plötzlich die Lichter an Bord erloschen, rannte er zum Hafen. Wie viele andere Insulaner nahm auch er haufenweise Schiffbrüchige auf. Fanciulli hat jeden Winkel seines Hotels zur Verfügung gestellt, in manchen Momenten habe er sogar Angst bekommen angesichts der vielen Menschen, die hereindrängten. Am Vormittag nach dem Unglück sei auch Kapitän Schettino bei ihm aufgetaucht, erzählt er, aber nur, um sich umzuziehen.

Hilfe ist Hilfe, Geschäft ist Geschäft

Fanciulli erzählt gerührt, dass sich nach einigen Wochen Leute aus Deutschland bei ihm gemeldet hätten. Sie wollten ihm die Übernachtung nachträglich bezahlen. Damals hätten sie ja nichts dabei gehabt, erzählten sie. Fanciulli aber wollte kein Geld, von niemandem hat er etwas genommen. Hilfe ist Hilfe und Geschäft Geschäft, sagt er.

Jetzt sitzen Mitarbeiter von Titan Salvage bei ihm im Speisesaal. Die Bergungsfirma aus Florida soll die Concordia zum Abwracken schleppen, nach Livorno oder Salerno wahrscheinlich, zusammen mit den italienischen Plattformspezialisten von Microperi. Um die Concordia aufzurichten, müssen unter Wasser zunächst Stahlkonstruktionen gebaut und viele Pfähle gesetzt werden, um sie zu verankern. An die Seiten kommen Tanks, deren Gewicht sie ins Lot bringen sollen. Spätestens im Februar 2013 soll das Wrack dann weg sein. 300 Millionen Euro oder mehr soll die Bergung kosten. Noch nie hat man so etwas mit einem so großen Schiff versucht. Scheitert die Aktion, so muss die Concordia vor Ort zerlegt werden.

Bis alles getan ist, wird Luigi Brizzi sicher noch ein paar besorgte Anrufe bekommen. Der Mann aus einer seit 500 Jahren auf Giglio ansässigen Familie führt mit seiner Frau eine Immobilien- und Vermietungsfirma. Als die Insel im Januar täglich in den Weltnachrichten erschien, fragten beunruhigte Besitzer oder Mieter von Ferienhäusern ständig bei Brizzi an, ob die Idylle jetzt dahin sei. Vor allem Deutsche und Schweizer waren es, sagt er. Der Makler beruhigte sie. In einem Jahr werde das Wrack hoffentlich wieder verschwunden sein. Giglio aber werde auch in 20, 30 Jahren idyllisch sein, verspricht Brizzi, dafür sorge nicht zuletzt der strenge Bebauungsplan.

Auf das Concordia-Desaster jedenfalls hätten sie hier alle gern verzichtet, das merkt man schon an den Souvenirständen: Wrack-Motive sind dort nicht im Angebot.

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