Süddeutsche Zeitung

Geistliche Verkehrsrowdys in Russland:Mönch am Steuer

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Teure Autos sind der Fetisch vieler russisch-orthodoxer Priester in Russland. Dass ihnen die Polizei auf den verstopften Moskauer Straßen eine Spur freiräumt, ist nicht ihr einziges Privileg: Wenn Geistliche Unfälle verursachen, waren die Behörden bislang oft sehr nachsichtig. Doch die Öffentlichkeit reagiert zunehmend gereizt.

Julian Hans

Die russische Polizei brauchte einige Tage, bis sie den Fahrer des Mercedes-Geländewagens ausfindig machen konnte, der am Abend des 15. August auf dem Moskauer Kutusow-Prospekt einen tödlichen Unfall verursacht und sich dann aus dem Staub gemacht hatte. Denn der Halter des Wagens trug neben seinem weltlichen Namen Pawel auch noch den Namen Ilja als Mönch der orthodoxen Kirche.

Es war der zweite schwere Unfall in Moskau innerhalb weniger Wochen, den ein Geistlicher der orthodoxen Kirche am Steuer eines teuren Wagens verursacht hat. Ob er allerdings wieder auf eine milde Strafe hoffen kann wie andere geistliche Täter vor ihm, wird immer unwahrscheinlicher. Denn die russische Öffentlichkeit verfolgt die Fälle mit großer Aufmerksamkeit und reagiert zunehmend gereizt darauf, wenn wieder ein Kleriker mit einer Luxuskarosse einen Unfall baut und auch noch straffrei davonkommt.

Teure Autos sind ein Fetisch vieler orthodoxer Priester. Der Patriarch selbst fährt unter anderem einen Maybach, und wenn die hohe Geistlichkeit es eilig hat, macht die Polizei für sie im verstopften Moskau eine eigene Spur frei - ein Privileg, das sie sich mit hohen Politikern und Wirtschaftsbossen teilt. Zu dieser Sonderbehandlung gehört, dass bei Verkehrsvergehen von Angehörigen dieser unantastbaren Kaste beide Augen zugedrückt werden. Als der Sohn von Sergej Iwanow, damals Verteidigungsminister, heute Leiter der Kreml-Administration, 2005 mit seinem VW Jetta auf den Bürgersteig raste und eine Rentnerin tötete, wurde der Fall nach kurzer Zeit eingestellt. Iwanow lobte seinen Sohn darauf öffentlich, dass er die Sache ohne seine Protektion selbst geregelt habe.

Großen Wirbel löste im August eine Spritztour des 38-jährigen Igumen Timofei aus, mit weltlichem Namen Alexej Podobjedow. In einer lauen Sommernacht, die berüchtigten Staus auf Moskaus Straßen hatten sich endlich aufgelöst, kam er mit einem nachtblauen BMW Z4 auf dem vielbefahrenen Gartenring von der Spur ab, rammte einen VW Touareg, wurde auf die Gegenfahrbahn geschleudert und prallte dort gegen einen Toyota Corolla. Alle drei am Unfall Beteiligten kamen mit leichten Verletzungen davon.

Unfall unter Alkoholeinfluss

Bekannt wurde der Fall nur, weil sich die Fahrerin des Corolla gleich darauf an die Nachrichtenseite Gazeta.ru gewandt hatte, aus Angst, die Polizei könnte den Fall unter den Teppich kehren. Die Journalisten machten auch die Fahrerin des Touareg ausfindig und protokollierten das Geschehen anhand der Aussagen von Zeugen. Die Fahrerin des Touareg erinnerte sich, Podobjedow habe nach Alkohol gerochen und sich nur mit Mühe auf den Beinen halten können. Einer Alkoholkontrolle wollte sich der Priester am Unfallort allerdings nicht unterziehen.

Immerhin hat ein Moskauer Gericht nun entschieden, dem geistlichen Raser für anderthalb Jahre den Führerschein zu entziehen. Doch der wehrt sich und will Berufung einlegen: Eine Alkoholkontrolle hätten die Polizisten gar nicht verlangt, behauptet er. Aufklärung könnte das Video bringen, das die Verkehrspolizei üblicherweise bei der Unfallaufnahme dreht. Doch das steht nicht mehr zur Verfügung, mussten die Beamten bekennen: Ein Virus habe es gelöscht.

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Quelle:
SZ vom 18.09.2012
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