Süddeutsche Zeitung

Geiselnehmer von Sydney:Gefährlich einsame Wölfe

  • Nach der Geiselnahme von Sydney fragen sich Politiker, wie die Tat hätte verhindert werden können.
  • In Australien diskutiert die Öffentlichkeit außerdem darüber, inwieweit der Geiselnehmer aus politischen oder religiösen Motiven gehandelt hat.
  • Der Täter war zwar vermutlich kein Kämpfer in direktem Auftrag des "Islamischer Staates". Dennoch warnen Terrorismus-Experten vor Nachahmern.

Von Oliver Klasen

"Wie konnte jemand, der solch eine lange und kontroverse Vorgeschichte hatte, nicht auf den entsprechenden Beobachtungslisten stehen, und wie konnte so jemand völlig frei in der Gesellschaft unterwegs sein?", fragt Australiens Premierminister Tony Abbott.

Die Rede ist vom Geiselnehmer von Sydney. Man Haron Monis, 50 Jahre alt, in den Neunzigerjahren geflohen aus dem Iran und seit 1996 in Australien. Der Regierungschef beschreibt Monis als einen "psychisch labilen" Menschen, der "vernarrt" in Extremismus gewesen sei und seine Taten mit der "Symbolik des Todeskults" der Terrorgruppe "Islamischer Staat" untermauert habe.

Es ist Tag eins nach den Ereignissen im Lindt-Café am Martin Place, wo drei Menschen getötet wurden. Australien ist auf der Suche nach Erklärungen: Welche Beweggründe stecken hinter der Tat? Und inwieweit ist die Tat des Geiselnehmers politsch oder religiös motiviert?

Die Behörden, so der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates New South Wales, Brad Hazzard, müssten nun dringend prüfen, wie so ein gefährlicher Mann trotz der sehr weitgehenden Anti-Terrorgesetze, die in Australien erst seit kurzem gelten, "durch die Maschen schlüpfen konnte".

"Die neuen Gesetze haben nichts dazu beigetragen, eine solche Geiselnahme im Voraus zu verhindern", sagt Bret Walker der New York Times, der als unabhängiger Rechtsberater für die australische Regierung arbeitet. Monis sei wohl übersehen worden, weil er nicht außer Landes gereist und nicht als Mitglied einer Terrorgruppe oder eines größeres Netzwerks angesehen worden sei, so Walker.

Was für die These von psychisch gestörten Täter spricht

"Er war ein einsamer Wolf, am Rand der Randes der Gesellschaft", so drückt es Manny Conditsis gegenüber dem britischen Daily Telegraph aus, Monis' früherer Anwalt. Sein Mandant sei ein "beschädigtes Individuum", dessen gesunder Menschenverstand getrübt sei und der sowohl von der muslimischen Gemeinde als auch von seinem Heimatland abgelehnt worden sei, so Conditsis in einem Interview mit dem australischen Sender ABC.

Auch wenn nicht genug über den Geiselnehmer von Sydney bekannt ist, als dass sich daraus ein Psychogramm erstellen und die Motive seines Handels verstehen ließen: Im Fall Monis spricht vieles für die These vom sozial isolierten, psychisch angeschlagenen Einzeltäter, der sich zwar der Propagandasprüche der IS-Terroristen bediente, dessen Tat aber nicht im engeren Sinne die eines religiös motivierten Dschihadisten ist.

  • Schlechte Planung: Die Zeitung Sydney Morning Herald zitiert einen Terrorismus-Experten, der bezweifelt, dass der Geiselnehmer von Sydney überhaupt Verbindungen zu IS hatte. "Wenn Terroristen eine Geiselnahme planen, dann handeln sie nie allein und es gibt immer einen Plan A und einen Plan B", sagte Adam Dolnik von der Universität Wollongong im Bundesstaat New South Wales, der etliche Regierungen bei Anti-Terror-Strategien und Verhandlungen mit politisch motivierten Geiselnehmern berät.
  • Falsche Flagge: Die Tat am Martin Place sei dagegen in großer Hast ausgeführt und nicht besonders gut organisiert gewesen. Das lasse sich daran ablesen, dass der Täter die falsche, nämlich die traditionelle Schahāda-Flagge mitgebracht hatte und noch während der Tat forderte, man möge ihm die IS-Flagge bringen. Auf dieser sind die Schriftzüge des islamischen Glaubensbekenntnisss anders angeordnet als auf der Schahāda-Flagge.
  • Ansätze von Wahnideen: Monis soll sich wiederholt mit Wikileaks-Gründer Julian Assange verglichen und Gerichtsverfahren gegen ihn als politische Kampagne der australischen Regierung gedeutet haben, die explizit gegen ihn persönlich gerichtet sei. Typische Versatzstücke von Verschwörungstheorien und Wahnvorstellungen, wie sie häufig bei einer schizophrenen Persönlichkeitsstörung vorkommen. Dass der Täter verlangte, den Premierminister zu sprechen, ist Terrorismus-Experte Dolnik zufolge typisch für jemanden, der aus selbstbezogenen Motiven handele und zeuge nicht von politisch motivierten Fanatismus.
  • Tätigkeit als Geistheiler und Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs: Gegen die These vom IS-Kämpfer spricht auch, dass Monis bisher weniger durch seine politischen Aktivitäten als durch kriminelle Handlungen aufgefallen ist. Er war unter anderem wegen Beihilfe zum Mord an seiner Ex-Frau angeklagt und soll in den Jahren 2000 bis 2002, in denen er als Geistheiler praktizierte, unter dem Vorwand spiritueller Praktiken mehrere Frauen sexuell belästigt haben soll.
  • Mutmaßliche kriminelle Vergangenheit in Iran: Das iranische Außenministerium soll die australische Regierungen vor Monis gewarnt haben. Dieser sei geistesgestört und habe sich bei seinem Asylantrag in Sydney nur als politischer Dissident ausgegeben. Tatsächlich habe er jedoch in Teheran eine Reiseagentur betrieben, dabei mehrere Kunden betrogen und sei nur deshalb aus seinem Heimatland geflüchtet, um nicht ins Gefängnis zu kommen.

Das Fazit von Terrorexperte Dolnik: "Die Referenzen zum 'Islamischen Staat' waren nur Zwischentöne in seiner Geschichte". Demnach könnte Monis ein psychisch gestörter Täter gewesen sein, der die Ideologie des IS nur als Vehikel nutze, um sein Handeln größer und bedeutender erscheinen zu lassen.

Das Bild, das derzeit von Terrorexperten und Menschen, die mit Monis Kontakt hatten, gezeichnet wird, ist allerdings uneinheitlich. Es gibt auch Aspekte, die nahelegen, dass die Tat nicht als das Werk als Psychopathen abzutun ist.

  • Politische Straftaten: Monis ist nicht nur wegen Beihilfe zum Mord und wegen sexuellen Missbrauchs aufgefallen. Der Sydney Morning Herald beschreibt, dass der 50-Jährige in den vergangenen Jahren häufig mit öffentlich geäußerten Hasstiraden aufgefallen sei. Zwischen 2007 und 2009 verschickte er etliche Schmähbriefe an die Hinterbliebenen australischer Soldaten, die im Krieg in Afghanistan oder im Irak getötet worden waren.
  • Öffentliches Lob für Terroristen: Außerdem hat Monis, vor allem über Facebook, Premierminister Abbott und andere ranghohe australische Politiker attackiert. Er bezeichnete die Außenpolitik der Regierung und ihr Engagement in Afghanistan als "rassistisch", er lobte den IS, der in Syrien und im Irak um die Menschen kümmere und Strukturen aufbaue und er hetzte gegen das von Abbott in einer Rede im August ausgerufene, sogenannte "Team Australia", zu dem sich jeder Bürger im Dienste der Terrorbekämpfung bekennen müsse. Monis setzte in seinen Hass-Postings das "Team Islam" dagegen.
  • Geiselnahme passt in das Raster des IS-Terrorismus: Terrorismusexperten in Australien sind sich weitgehend einig, dass Monis' Tat ziemlich genau in das Raster passt, in dem Dschihadisten heutzutage Anschläge begehen. Ziel ist demnach nicht mehr unbedingt der große Terroranschlag, sondern die kaum zu verhindernden Taten eines Einzelnen, eben eines solchen "einsamen Wolfes", als den sein früherer Anwalt Monis beschreibt. "Solche Anschläge sind einfach zu planen, brauchen nur sehr wenige Mittel und die Sicherheitsbehörden haben sie nicht auf dem Radar", sagte zum Beispiel Terrorismusexpertin Anne Aly von der Curtin University in Sydney dem Portal news.com. Tatsächlich fällt auf, dass die Terroranschläge in den vergangenen Jahren häufig das Werk von allein agierenden Tätern waren, deren Verbindungen zu Netzwerken wie Al-Qaida oder dem Islamischen Staat zum Teil eher lose waren. In dieses Muster passt zum Beispiel auch die Tat von Ottawa, wo im Oktober ein Mann einen Soldaten erschossen und dann das Parlament gestürmt hat.
  • Gefahr von Nachahmern: "Die Lehre aus den Aktion des IS sei, dass die Terrorgruppe nicht wählerisch ist bei der Frage, wer konkret die Tat ausführt", wird der Terrorismusexperte Greg Barton von der Monash University in Melbourne im Sydney Morning Herald zitiert. Demnach spielt es für die Terroristen des "Islamischen Staates" keine Rolle, ob ihre Kämpfer möglicherweise psychisch gestört sind. Die Gefahr ist Barton zufolge, dass die Geiselnahme von Sydney - so wirr und schlecht geplant sie auch erscheinen möge -, andere zum Nachahmen animieren könnte. Selbst wenn vieles im Falle Monis für die Einzeltäter-These spricht, bedeutet das nicht, dass seine Tat ein Einzelfall bleibt. Monis habe es immerhin geschafft, für 24 Stunden im Zentrum der Weltöffentlichkeit zu stehen und seine Geiseln gezwungen, über Youtube und Facebook Angstbotschaften zu verbreiten. Das sei genau im Sinne des IS und seiner auf die Wirkung von Medienberichterstattung ausgerichteten Strategie.

Am Ende dürfte es eine nur schwer zu ergründende Mixtur von persönlichen und religiösen Motiven sein, die den Täter von Sydney zu seinem Handeln getrieben haben. Vielleicht ist die Überschrift treffend, die der Sydney Morning Herald gewählt hat: "Inspiriert von IS, aber getrieben von einer persönlichen Krise".

Terrorismus-Experte Barton fasst die Gefahr, die durch Einzeltäter wie Monis droht, so zusammen: "Wenn Menschen ihr Leben ohnehin ruiniert haben, offeriert IS ihnen einen glorreichen Ausweg aus dieser Misere".

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

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